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Franz West: Kunst ohne Blut und Grund

07.03.2010 | 18:15 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Im Ludwig Museum Köln startete die erste West-Retrospektive in Europa seit Jahren. Im Herbst ist diese Kurzfassung eines Lebenswerks im Kunsthaus Graz zu sehen.

Die weiße Museumswand trägt das explosive Mal einer zerschmetterten Christbaumkugel, gefüllt mit der übrig gebliebenen Badezimmerfarbe der Pressesprecherin des Hauses – zufällig genau West-Rosa. Wien-Rosa. Aida-Rosa. Oder gar Zahnprothesen-Rosa, im Angedenken an die im Karl-Marx-Hof zahnärztlich ordinierende Mutter von Franz West? Über all diese weltlichen Referenzen kann auf einer Armada gewohnt unbequemer West-Diwans (aus der Sammlung Herbert) sinniert werden – direkt neben dem Kölner Dom, im Museum Ludwig. Hier startet die erste Retrospektive auf das Werk Österreichs international beliebtesten Künstlers seit Jahren, in Europa zumindest. In den USA heimste er gerade erst mit einer Wanderausstellung durch Baltimore und Los Angeles ordentlich Lob ein.

Ähnliches verspricht „Autotheater“, wie die Retrospektive heißt, die noch nach Neapel und Ende September ins Kunsthaus Graz reist. Sie ist kompakt und handlich, im besten Sinn, und trägt doch das Rüstzeug mit sich, das man braucht, um zu verstehen, was West für die Entwicklung der Skulptur im 20. Jahrhundert einzigartig macht. Er hat sie entauratisiert, hat sie jedem, der sie will, in die Hand gedrückt. Ganz nonchalant. Immer gekonnt zwischen hohem philosophischen Ernst und Wiener Schmäh changierend.

 

Ochsenjoch oder Herkuleskeule

So darf man seine Ende der 70er-Jahre entwickelten „Passstücke“ herkulisch über den Kopf schwingen, als steifen Kragen tragen oder auch als Joch – wie man es eben empfindet. Sie bescherten West in Köln bereits Anfang der 80er einen ersten internationalen Auftritt, als ihn Kaspar König zur Ausstellung „Westkunst“ (noch lange nicht nach dem damals Unbekannten benannt) einlud. Heute sind die Teile aus abwaschbarem Plastik. Damals waren sie aus weiß bemaltem Gips, recht fragil und wurden von Wiener Szene-größen wie Wests Schriftsteller-Bruder, Arbeiterdichter Otto Kobalek, vorgeführt. Er hatte den ähnlich verschrobenen Jüngeren mit der Wiener Gruppe und den Aktionisten bekannt gemacht – sie waren West aber zu martialisch, zu katholisch, zu autoritär.

Er wollte Kunst ohne Blut und Grund, Kunst allein für Kunst – daher auch sein Faible für Cy Twombly etwa, für den belanglosen Kringel, die Gedankenschleife, wie sie schon Wittgenstein gekritzelt hatte. Sonst unbeachtete Protuberanzen des Unbewussten. In Wests Werk eine Konstante. Aus zusammengeschweißtem Metall wogen sie heute quer über die Welt verstreut überkopfgroß auf im öffentlichen Raum. Auf ihren zu Hockern ausgeprägten Enden darf man getrost Platz nehmen und sich in die Denkerpose werfen. Auch im Ludwig Museum.

Platz nehmen ist überhaupt die beste Haltung, sich Wests Werk, das auf Mitarbeit und Gattungsüberschreitung à la Wiener Werkstätte angelegt ist, einzugliedern. Auf den Diwans, auf riesigen Wülsten oder vor einer von der Decke hängenden, halb transparenten Spiegelfolie. Hier soll man wohl in die „jubilatorische Geste“ im Lacan'schen Sinn verfallen (das Spiegelstadium des Kindes, die erste Selbsterkenntnis wiederholen). Doch dazu ringt sich unter Aufsicht der Museumswärter kaum einer durch.

Ähnlich zitathaft die Kojen, die derlei psychische Selbstentäußerungen – im Pissoir für die Villa Arson waren es schon einmal physischere – verbergen sollen. Man betritt die „Beichtstühle“ mit einem „Passstück“ in den Händen – und verlässt sie wieder. Was dazwischenliegen könnte? Von den skurrilen Situationen, in die wir Menschen uns von Kunst bringen lassen, berichten in der kunstgeschichtlichen Folge Erwin Wurms fotografierte One-Minute-Sculptures. Schwarze Hände neben den Werken ersparen in Köln jedenfalls unerwünschte Peinlichkeiten, geben Bescheid, ob Mitarbeit gerade erwünscht ist oder man doch wie gewohnt die Finger davon lassen sollte.

Etwa von den grob verklebten Schauwürfeln, in denen die verspielten Modelle zu den monumentalen Außenskulpturen zu sehen sind. Den pastellbunten Papiermasche-Meteoriten auf dünnen Metallstielen, Oder den anspielungsreichen Collagen. Ein exklusiv kölnisches Wiedersehen und Wiedersitzen gibt es noch zum Schluss: Nach Jahren im Depot wurde Wests „Kantine“ wieder hervorgeholt: 1981 gestaltete er für das Kölner Ludwig-Museums-Café weiße, magere Stühle und Tische. Doch zu viele Damenstrümpfe mussten daran glauben. Jetzt dürfen sie sich wieder daran erinnern.


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