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derStandard.at | Newsroom | Kultur | Bildende Kunst 
29. Jänner 2009
14:43 MEZ

"Gerhard Richter. Retrospektive", Ausstellung in der Albertina, 30. Jänner bis 3. Mai, tgl. 10-18 Uhr, Mi 10-21 Uhr, Zweibändiger Katalog erschienen im Verlag Hatje Cantz, 39 Euro,

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albertina.at

 

Im Bild rechts: Brigid Polk (1971, Öl auf Leinwand), links: Schädel mit Kerze /1983, Öl auf Leinwand).


Ständiger Stilwechsel als Leitmotiv
Deutscher Künstler führt seit 2004 Ranking der weltweit gefragtesten Künstler der Gegenwart an

Wien - Seit 2004 führt der Deutsche Gerhard Richter das jährlich erstellte Ranking der weltweit gefragtesten Künstler der Gegenwart an. Heute, Donnerstag, Abend wird in der Wiener Albertina eine große, 153 Werke umfassende Retrospektive des zurückhaltenden Malerstars eröffnet. Für die bis 3. Mai laufende Ausstellung wurde die 2008 für das Frieder Burda Museum in Baden-Baden zusammengestellte Schau mit Gemälden aus Privatsammlungen um einige weitere Leihgaben, vor allem aber um einen großen Bestand an Aquarellen und Zeichnungen ergänzt. "Ich finde diese Einbeziehung sehr schön", zeigte sich der wortkarge Künstler bei der Presseführung am Vormittag mit der Schau zufrieden, "Es war ein großes Geschenk, dass ich gar nichts machen musste."

"Der Widerspruch bleibt in seinem Werk inhärent"

Richter, der in wenigen Tagen seinen 77. Geburtstag feiert, gilt als Künstler, der völlig heterogene Stile pflegt. "Ich verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtung, ich habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen", ist eine der meist zitierten Selbstaussagen des 1961 in den Westen geflüchteten gebürtigen Dresdners. "Der Widerspruch bleibt in seinem Werk inhärent", hob Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, der mit Barbara Steffen die Ausstellung kuratierte, die "Negierung einer Festlegung" in Richters Arbeit hervor. Realismus und Abstraktion, graue Bilder und Farbexplosionen stünden hier nebeneinander. "Das alles lässt sich nicht in eine Evolution gießen."

Genau das sieht Schröder auch als das Geheimnis für Richters eklatanten Erfolg am Kunstmarkt: "Ein Künstler, der den Kanon unentwegt bricht, ist ein Spiegel unseres heutigen Lebens voller Brüche und Widersprüche. Der abrupte Stilwechsel, die Vermeidung jeglicher Festlegung, ist auch ein Symbol für die gesellschaftliche Indifferenz." Richter sei "einer der ganz wenigen Künstler, die wirklich weltweit von Bedeutung sind", sagte Schröder, "die ganze heutige chinesische Kunst mit ihrem Realismus gäbe es nicht ohne Gerhard Richter."

Ikonen

Im Rundgang durch diese erste Einzelschau in den vor drei Monaten eröffneten "Jeanne & Donald Kahn Galleries for Contemporary Art" im zweiten Obergeschoß des Museums stößt man zwar auf wenige wirkliche Ikonen aus dem Werk des vielfachen documenta-Teilnehmers - darunter Beispiele seiner Wolkenstimmungen und auch Vanitas-Motive wie Kerze und Schädel, die auf dem Kunstmarkt um etliche Millionen Euro gehandelt werden. Man erhält aber einen guten Eindruck von dem manchmal geradezu disparat wirkenden Stilpluralismus Richters.

Monochrome Farbtafeln sind hier zu finden, in allerlei Grautönen abgemalte Fotomotive, stark gestische Farbaufträge und fein gemalte Flächen, deren Oberflächen-Struktur an ein Wellenspiel auf dem Meer erinnert. Es gibt Städteansichten aus der Vogelperspektive und wie mit dem Weichzeichner bearbeitete Porträts. Zu den 63 Ölgemälden, zum großen Teil aus den Sammlungen Frieder Burda, Böckmann und Ströher, kommen etliche Papierarbeiten. Zahlreiche farbintensive, abstrakte Aquarelle stammen aus dem Kunstmuseum Winterthur, einige Zeichnungen aus dem Besitz des Künstlers selbst. Die von Kuratorin Steffen betonte Skepsis Richters gegen die Gefahr zu großer Lieblichkeit bestimmter Genres ist nahezu überall spürbar. Es scheint, als wolle er alles ausprobieren - und gleichzeitig subversiv dagegenarbeiten.

"Kapitalistischer Realismus"

Besonders lohnt es sich, den Anfang und das Ende des verwinkelten Parcours miteinander zu vergleichen. Im ersten Raum hängen graue Auto-Bilder von Mitte der 60er Jahre, "Alfa Romeo (mit Text)" und "Zwei Fiat", die dank ihrer Geschwindigkeit auf dem Bild nur schemenhaft wahrzunehmen sind. Ihnen gegenüber die gespenstische "Party" (1963): Ein graues Gruppenbild fröhlicher Partygäste, das danach heftig bearbeitet wurde. Rote Farbe zieht eine Blutspur, zahlreiche der Leinwand beigebrachte Schnitte wurden teilweise vernäht oder mit eingeschlagenen Nägeln bearbeitet. Ein unübersehbarer Kommentar des ehemaligen DDR-Bürgers, der sich mit dem ironisch proklamierten "Kapitalistischen Realismus" gegen das offiziell verordnete sozialistische Pendant wendete.

Im letzten Raum erwartet den Besucher nach der dichten Abfolge von unterschiedlichsten Arbeiten plötzlich so etwas wie Idylle. Landschaftsbilder und Blumenstillleben, die kitschig anmuten würden, hätte Richter nicht immer wieder einen kleinen Knick in die Optik eingebaut. Dazu muss sich der Betrachter auf des Spiel mit der Unschärfe einlassen und seine Distanz zu den Bildern verändern. "Man sieht etwas - und schon ist es wieder weg", nennt Steffen diesen Effekt. Rosen- und Tulpensträuße erhalten dadurch eine irritierende Spannung, die "Blumen" (1994) sind gleich gänzlich geknickt.

Von der Idee eines Gerhard Richter-Museums hält der Künstler übrigens nichts. "Es gibt schon zu viele Museen. Und ich bin ja in ihnen ganz gut vertreten." Für Wien gilt das allerdings nicht ganz. In dieser von den Österreichischen Lotterien als Sponsor unterstützten ersten großen Wiener Richter-Schau seit über zwei Jahrzehnten gibt es mit einem Aquarell sowie einem Gemälde der Sammlung Batliner genau zwei Werke aus Albertina-Bestand. (APA)

 

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