text breit  text schmal  
drucken 
Bilder keine Bilder

derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
26. Februar 2007
22:31 MEZ
Secession
Bis 15. 4. 
Foto: Secession/ Pez Hejduk
Kesses Zitat einer Ausstellung aus dem Jahr 2005: "Williams"-Gang mit Herberge für Arnulf Rainers "Gewitter".

Theorie der Kritzel
Die Ausstellung "Shandyismus. Autorschaft als Genre" in der Secession gebärdet sich als Ausstellung für Eingeweihte: Kurator Helmut Draxler ist der strengen Didaktik müde geworden.

Es ist für die Ausstellung nicht unbedingt notwendig The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman gelesen zu haben, heißt es in der Secession. Angesichts der neun Bücher, die der etwas spleenige Pfarrer und Schriftsteller Lawrence Sterne vor beinahe 250 Jahren dazu verwendet hat, die Geschichte des Shandy auszubreiten, ist das eventuell ein Grund erleichtert aufzuatmen. Richtiger ist aber vielmehr: Die Lektüre hätte auch so gut wie nichts genutzt. Denn für Shandyismus, kuratiert von Helmut Draxler, müssten jede Menge ganz anderer Dinge gelesen und gesehen worden sein...

Und so brauchen wir über Tristram Shandy, der überhaupt erst im dritten Buch seiner von ihm selbst erzählten Geschichte geboren wird, nicht viel mehr wissen, als dass er Hauptfigur eines Romans ist, der im englischen Sprachraum den Ruf eines experimentellen Klassikers genießt. Dieses Ur-Viech des Experimentellen pfeift auf lineare Erzählstränge, gibt sich ausufernd Abschweifungen hin und führt den Gedankengang einer Figur schon mal als Schleife am Papier fort. I am the Author- Shandy lässt Seiten ganz leer oder auch schwarz, überspringt leichtfüßig Kapitel, variiert Typographie bis zur Unlesbarkeit oder dekoriert mit Sternchen und Ausrufezeichen.

"Sollen wir immerfort neue Bücher machen, so wie Apotheker neue Mixturen mischen, indem sie es einfach von einem ins andere Gefäß umgießen," stellt der von der zeitgenössischen Kritik vernichtete Sterne, 1760 die Sinnfrage. Legt man sein Reflektionsmodell auf die Ausstellung um, resultiert die Frage: „Wieso hängt dieses Bild überhaupt da?“

Müde sei der Ausstellungsbetrieb über der Diskussion geworden, wie didaktisch und pädagogisch man arbeiten müsse, so Draxler. Seine Antwort auf so viel Ratlosigkeit ist ein spielerischer Mix à la Shandy, der sich mal inhaltlicher, mal ästhetischer an ein hybrides Monster aus thematischer Schau und Gruppenausstellung anschmiegt. Zu den eigenen, bewusst subjektiv gehaltenen Assoziationen, gesellen sich Themenvitrinen von Gastkuratoren und einige darüber gestreute künstlerische Shandyismus-Variationen.

Eine durchaus spannende Konzeption für das Reißbrett; umgesetzt im Hauptraum der Secession wirkt die Masse der Zugänge aber allzu uneindeutig. Auch Draxlers Bemerkung, die Ausstellung "funktioniert nur punktuell", mag nicht so Recht zu trösten, wenn punktuell Zitate vorangegangener Ausstellungen entdeckt werden sollen. Ein aufgeklärter frequent-visitor wird in der Ecke aber sicher die Wittgenstein-Schau von Joseph Kosuth aus dem Jahre 1989 erkennen und freudig in sich hineinschmunzeln. Kess auch der schmale Gang – zitiert von "Christopher Williams" 2005 - in der Arnulf Rainer eine versteckte Herberge findet.

Solche "Insider-Jokes", wie sie Draxler bezeichnet, finden sich gar viele. Zum Beispiel der "Ach, da hängt ja ein Taschenbuch an der Wand"-Witz: Hal Fosters Klassiker Anti-Ästhethik in gemeiner Nachbarschaft zu Martin Kippenbergers "Ohne Titel. Hängt die Verräter an die Wand". Ein richtiger Schenkelklopfer für Spezialisten ist das.

Oder nehmen wir die Vitrine, die von Shandys Schleifen zu den philosophischen Kringeln des 20. Jahrhunderts führt, zu den Visualisierungsformen von Text und Theorie. Ist es nicht buchstäblich zum Zerkringeln, wie ähnlich sich Deleuzes und Lacans Kringel winden, obwohl ihre Theorien so gegensätzlich rezipiert werden? Weniger schal der Humor bei Franz West. Seine Modelle zeigen Wittgensteins Kritzel als mannshohe Skulpturen im öffentlichen Raum.

Mehr als die kuratorischen Zusammenstellungen vermögen es einzelne Arbeiten, Charme zu versprühen. Neben Arbeiten von Marcel Duchamp, David Jourdan oder Ad Reinhardt ist das etwa Shane Simmons. Sein Comic The Long an Unlearned Life of Roland Gethers entwickelt sich über 89 Jahre des britischen Empires und hat dementsprechend viele Protagonisten. Allesamt wurden sie detailreich porträtiert und anschließend stark verkleinert, preist das Heft – unverhohlen gelogen - die Handwerklichkeit der ununterscheidbar schwarzen Charakter-Pünktchen.

Neben einiger solch klarer Pünktchen, bleiben in der Secsession aber viel verschnörkeltes Ornament und diffuse Knäuel über. - Draxler: "Der Besucher soll damit rausgehen, dass sich nicht alles aufschließen lässt". Na, dann. (Anne Katrin Feßler/ DER STANDARD, Printausgabe, 27.02.2007)


© 2007 derStandard.at - Alle Rechte vorbehalten.
Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.