Von Zeit zu Zeit bläst plötzlich kühler Wind
aus dem Aushub, und es hört sich so an, als rausche weiter unten
eine U-Bahn vorbei – was zu Szenen führt, wie man sie aus Billy
Wilders Film „Das verflixte 7. Jahr“ kennt: Blusen, Röcke und alles
Textile, was sich aufbauschen lässt, wird wie weiland bei Marilyn
Monroe in momentane Levitation versetzt. Dann ist der Spuk wieder
vorbei, es herrscht Ruhe.
So sieht sie also aus, die
Materialisation von Martin Kippenbergers „Metro-NET World
Connection“, die Pavillon-Kommissar Julian Heynen vorgenommen hat:
ein Lüftungsschacht, sonst nichts. Wo andere hoch hinaus wollen,
geht es im deutschen Staatenhaus hinab ins Reich subterraner
Vorstellungswelten. Going underground: Kippenbergers fiktives,
weltweites U-Bahn-Projekt, entstanden vor zehn Jahren, also zur Zeit
der beginnenden Internet-Hysterie, ist ein grotesk verzerrtes
Sinnbild für die zunehmende Unsichtbarkeit der Mobilität und zieht
Verbindungsstränge von der Metempsychose des Passagiers in der
Moderne zum Künstlerleiden an der Unmöglichkeit, noch
weltumspannende Utopien entwickeln zu können. Denn da ist keine
U-Bahn, nirgends. Nur Schlick, marode Holzpfähle und venezianisches
Brackwasser. Sowie Reste des ehemaligen „Padiglione Bavarese“, die
man beim Buddeln im Erdreich entdeckte.
Nebenbei zitiert
Kippenberger – posthum, wohlgemerkt, denn der Gitterrost ist ja eine
nachträglich gefertigte Filiation bereits bestehender Metro-NET-Ein-
und Ausgänge in Leipzig, Dawson City und auf Syros – auch noch jene
olle Pop- Mythe vom Untergrund herbei, in den man gehen müsse, der
Revolution oder der street credibility wegen, und was es da sonst
noch an imaginärem Subversions-Restbestand geben mag.
Es
ist also etwas Erstaunliches geschehen. Heynen hat aus Kippenberger
einen Minimalisten gemacht. Der schwarze Gitterrost erinnert an Carl
Andrés Bodenplatten – das würde Kippenberger nicht gefallen haben.
Immerhin: Heynens Wahl räumt mit dem Missverständnis auf, welches
dazu führte, dass man Kippenberger, der sich selbst „Malerschwein“
nannte, nachträglich zum Urvater gegenständlich malender
Zeitgenossen erklärt hat: Der Mann wollte nie nur „Leinwandküsser“
sein. Es hat vorab Kritik an Heynens Entscheidung gegeben, nicht
einen jungen Gegenwartskünstler, sondern das Werk eines Toten auf
der Newcomer-Börse Biennale auszustellen: Kippenberger band seine
Forschungen im Reich melancholisch-überdrehter Künstlermythen stets
an die eigene Person; er hätte sicher auch im Deutschen Pavillon
scharf gewürzte Anti-Pathos-Sauce gereicht, wie 1996, als er, zur
biennalelosen Zeit, sich einfach selbst nach Venedig einlud und –
„Frieda für alle!“ – seine eigene Biennale veranstaltete.
Nur ist andererseits die posthume Rezeption
Kippenbergers bereits in vollem Gange: Als nächstes wird sein Werk
in Wien und Eindhoven gezeigt werden, und zurück kommt er eben auch
nicht mehr. Es geht also weiter, wie einst beim Kunstschamanen
Beuys, der nach seinem Tod zunächst religiös verklärt wurde – heute
werden seine Räume so skrupulös wie selbstverständlich an vielen
Orten der Welt wieder aufgebaut.
Es war im übrigen
Beuys, der 1976 im Deutschen Pavillon eine niederrheinische
Straßenbahnhaltestelle neben einem Kanonendenkmal des barocken
Grafen Moritz von Nassau ausstellte, das damals als Sinnbild für den
kommenden Frieden galt. Außerdem nahm Beuys eine 24-Meter-Bohrung in
die Lagune vor: Auf diese Weise verband sich der Hinweis auf die
Kriegsgeschichte des NS-Pavillons mit einem Mobilitätssymbol des 20.
Jahrhunderts und der Grabung in vergangene Kapitel der Biennale.
Heynen geht weniger symbolisch mit dem Pavillon um: Er
sieht ihn in erster Linie als Ausstellungshalle. Es geht ihm um
Raum, nicht um die Geschichte: um „Metaphern der Verlorenheit und
der Deplatzierung“ in der Anmutung eines Untergrundes, den es nicht
gibt. Zwar haben sich die Geschichtsversessenen unter den
Pavillon-Künstlern seit der Biennale 1964 – Beuys, Haacke, auch
Polke – immer schon abgewechselt mit Positionen, die der
Vergangenheit eher neutral gegenüberstanden. Aber der – nahezu –
leere Hauptsaal strahlt so sein ganzes Pathos fast unwidersprochen
ab. Dennoch ist der Lüftungsschacht ein starkes Symbol – und auch
Candida Höfers holzgerahmte Bilder leerer Palazzi, Bibliotheken oder
Museen, teilweise schon mehrfach gezeigt und publiziert, spiegeln
als fotografische Arretierungen einer im Schwinden begriffenen
Öffentlichkeit, als Archive zweiter Ordnung, unbetretbare Träume von
Räumen wider, vor denen man, gleichsam als Detektiv jenseits der
Öffnungszeiten all dieser Kulturbauten, vergebens nach
Fluchtmöglichkeiten sucht.
Aber Höfers vergleichsweise
dicht gehängte, eindrucksvolle Interieurs bieten trotz ihres
inhaltlichen Italien-Bezugs – die Bibliotheca Hertziana in Rom, der
Palazzo Pisani Moretta und eine Parkhausspirale in Venedig – eine
Museumsausstellung, die so auch woanders hätte gezeigt werden
können. Die Spiegel-Kantine von Verner Panton, das Museum of Modern
Art, das Kunstmuseum Basel: altbekannte Favoriten. Was bleibt, ist,
endlich, eine umfassende Foto- Schau im Deutschen Pavillon – und
eine puristische wie auch fragwürdige Feldforschung zweier, auf
einander abgestimmter künstlerischer Positionen im Reich der
Nüchternheit, der Illusion, der Unsichtbarkeit und der Fiktion.
Die Ausstellungen in Venedig sind vom 15. Juni bis
2.November geöffnet. Der Katalog (it./engl.) kostet 60 Euro auf der
Biennale, 70 Euro im Buchhandel.
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