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30.12.2005 - Kultur&Medien / Medien
Was kriecht aus dem EU-Schoß?
"25 Peaces", Reaktionen: Autorin Streeruwitz, Architekt Peichl, Philosoph Liessmann.

Alle reden jetzt von Kunst, aber das ist nicht Kunst, sondern der Triumph des Dilettantismus!" Das sagt Gustav Peichl, Architekt, Karikaturist, Mitglied des Kunstsenates, zur EU-Plakatserie "25 Peaces" mit Höschen und nackten Politikern: "In Österreich gibt es wirklich gutes Design und grafische Künstler, die qualitativ hochwertig arbeiten, Humor haben und Ironie. Wir haben einen guten Ruf, und der ist ruiniert durch diese Aktion. Masken und nackte Körper, das ist doch uralt! Jetzt wird auch noch Schiele bemüht, um das zu erklären. Ein Hohn!", so Peichl: "Diese Plakate werden jetzt überall abgedruckt! Das Ganze ist einfach nur peinlich."

"Weder Künstler noch Medien haben absolute Freiheit", erklärt die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz: "Es ist immer ein Spiel zwischen Freiheit der Darstellung und Würde des Dargestellten. Auch die Würde eines Täters darf nicht geschändet werden. In Zeiten postmoralischer Bilderflut müsste die Frage der Veröffentlichung von Bildern völlig neu überdacht werden. Allerdings billige ich der ,Kronen Zeitung' in dieser Frage keine Kompetenz zu. Da frage ich mich schon, wie Pornografie Pornografie kritisieren kann." Streeruwitz zeigt sich "entsetzt über die Zufälligkeit der Auswahl und die Nonchalance der Mittel. Kunst hat aber mit Unbekümmertheit überhaupt nichts zu tun. Besser gar nichts machen als das."

"Nicht besonders gut gelungen, aber harmlos", urteilt der Philosoph Konrad Paul Liessmann. Das Bild mit den drei Staatsoberhäuptern sei "ein interessanter Gag", eine Anspielung auf die "Vernetzungsideologie der Globalisierung", ebenso wie der weibliche Unterleib mit EU-Slip, der die Frage stelle: "Was kriecht eigentlich aus dem EU-Schoß heraus, und wie sexy ist die EU?" Außerdem werde hier mit Klischees von Werbung und Bewerbung gespielt. "Würde eine Automarke damit beworben, wäre keiner entsetzt." Für Liessmann sind die Bilder keine Pornografie: "Dazu gehören zwei Dinge, die deutliche Darstellung sekundärer oder primärer Geschlechtsorgane, und der Zweck der Erregung sexueller Lust. Beides trifft hier nicht zu." Liessmann findet die Aufregung bedenklich: "Sie bestätigt nur die These, dass die EU zu einer Ideologie geworden ist, die nicht mehr kritisiert werden darf. So gesehen ist die Diskussion ganz gut, weil sie zeigt, dass das Gerede über die Freiheit nur ein Lippenbekenntnis ist." Und das, obwohl künstlerische Freiheit ein wichtiges europäisches Konzept sei. "Kunst im öffentlichen Raum muss viel mehr als Kunst im Museum darauf achten, was der Adressat fühlt, welche Vorstellung von Moral und Sittlichkeit er hat", mahnt der Kunstakademie-Rektor Stephan Schmidt-Wulffen: "Diese Sujets sind derart aberwitzig und abseitig, dass man sich gar nicht mit ihnen beschäftigen möchte. Das Kaliber der Waffe ist zu klein für dieses komplexe Thema. Künstler schleppen aus dem Museum immer ihr kleines Besteck in den öffentlichen Raum. Das aber versagt hoffnungslos bei so wichtigen Themen wie Europa-Skepsis oder europäische Verfassung. Das verhungert auf halber Strecke. Es ist ein grundsätzlicher Irrtum. Man kann nicht einfach nur machen, was witzig ist und einem gerade einfällt. Es ist nur ein Gag. Traurig."

"Ich finde es ein unprobates Mittel, wenn 75 Künstler eingeladen wurden und dann nur zwei herausgegriffen und skandalisiert werden", kritisiert der Künstler Richard Kriesche: "Die beiden Sujets halte ich für Schund und lächerlich. Sie haben mit zeitgenössischer Kunst nichts zu tun."

Kriesche: "Gerade im öffentlichen Raum muss man heute Botschaften formulieren, die nicht auf Trivialität aufbauen und nicht mehr auf die ,Schocktherapie' setzen. Das ist in der Kunstgeschichte abgespielt, da ist kein Inhalt mehr. Das Zitat von Courbet in diesem Fall ist nur eine Hilfskonstruktion, eine zu einfache Strategie, um etwas als Kunstwerk zu legitimieren. Das ist ein Missbrauch des Paragrafen Freiheit der Kunst zu Werbezwecken." Der Schriftsteller Peter Turrini meint nur knapp: "Da in Österreich Kunsturteile ohnehin von der ,Kronen Zeitung' gefällt werden, möchte ich mich an der Diskussion nicht beteiligen." sim/sp/bp

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