Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte
Kunst des Sammelns zwischen subjektivem Kunstgeschmack und der Korrektheit eines Erinnerungsspeichers

Heißer Raubzug für gefrorene Zeit

Agnes Essl und ihr Mann Karlheinz sammeln seit Jahrzehnten Kunst. Genauso frei von Vorurteilen, wie sie ihr sehr erfolgreiches Museum in Klosterneuburg führen. Foto: Sammlung Essl Privatstiftung

Agnes Essl und ihr Mann Karlheinz sammeln seit Jahrzehnten Kunst. Genauso frei von Vorurteilen, wie sie ihr sehr erfolgreiches Museum in Klosterneuburg führen. Foto: Sammlung Essl Privatstiftung

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Sammeln von Kunst als Arbeit am kulturellen Gedächtnis einer Kultur.
Aufzählung Öffentliche Pflicht steht privater Leidenschaft von Sammlern gegenüber.

Im letzten Jahrzehnt waren beim Stichwort Sammeln nur Klagelaute aus heimischen Museen zu hören. Peter Noever etwa bedauerte 1991 prinzipiell, das Museum sei nach 200 Jahren Geschichte eine Art "Mumifizierungsanstalt" für "erstarrte, tiefgekühlte Objekte" geworden.

Er änderte nach einer Bestandsaufnahme die Ankäufe des Museums für angewandte Kunst (MAK) in Richtung eines "Schutzraums der Kunst" für Zeitgenossen im utopisch anmutenden Depot des Flakturms Arenbergpark. Dem scheidenden Mumok-Direktor Edelbert Köb ging es hingegen darum, seine Depot- und Ausstellungsflächen zu erweitern, um überhaupt der Aufgabe des Museums als "Speicher des kulturellen Gedächtnisses" nachkommen zu können. Angesichts eines Ausstellungseinblicks in die 1600 Ankäufe seiner Direktion veranstaltet Köb am 10. und 12. April zwei Diskussionen zum Thema "Sammeln für ein neues Jahrhundert". Mit dabei sind die privaten Sammlergrößen Egidio Marzona und Dieter Bogner, die dem Museum beide unterstützend nahestehen, Kulturministerin Claudia Schmied und Künstlerinnen wie Brigitte Kowanz.

Die Kunst des Sammeln als Frage der Verantwortung

Die Kunst des Sammelns ist nicht nur eine Frage von Geld und Geschmack. Sie ist ebenso eine der Verantwortung. Neben staatlichen Museen fühlten sich seit jeher private Kunst-Liebhaber für diese Arbeit am kulturellen Speicher einer Gesellschaft verantwortlich.

Durch die Vollrechtsfähigkeit bedauern staatliche Museumsleiter, neben Adaptierungen und dem Aufrechterhalten des Ausstellungsbetriebs kein oder kaum Ankaufsbudget zu haben. Wie auch im Fall der Universitäten kommt das geheime Flüstern über Drittmittel ins Spiel – was das Heranziehen potenter Sammler und Sponsoren meint. Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder gelang das bis jetzt wohl am besten. Im Zuge des Umbaus genauso wie beim Anlocken von Mathias Forberg, Carl Djerassi sowie Rita und Herbert Batliner, die zumindest Teile ihrer Sammlung der klassischen Moderne, die in Wien unterrepräsentiert ist, der Albertina borgen oder sogar schenken.

Trotz gegenseitiger Konkurrenzierung haben die Museen den Leihverkehr zwischen ihren Sammlungen in Wien in den letzten Jahren gelockert, um bei teuren Leihgaben aus dem Ausland zu sparen. Ein richtiger Schritt, den der Rechnungshof kritisiert, weil dabei Leihgebühren oft wegfallen. Geld, das verwendet wird, um die Erhaltung der Exponate, also die großen Folgekosten des Sammelns bezahlen zu können.

Der Sparstift stellt also das zeitgemäß adäquate Füllen unserer Gedächtnisspeicher in Frage. Eine Kooperation der Museen wird wie die Bindung an potente Privatsammler in den nächsten Jahren noch wichtiger werden.

Das erste Haus am Platz, das Kunsthistorische Museum, hat es dabei am schwersten, denn die potenten Sammler von "Alten Meistern", die unter die Arme greifen könnten, gibt es in Wien derzeit nicht. Daneben drohen weitere Restitutionsverfahren wie um Vermeers "Malkunst". Zum Vorwurf an Museen, nur durch Raubzüge, Entwurzelungen und Enteignung von jüdischen und aristokratischen Familien zu ihrem Speicher gekommen zu sein, meldete sich kürzlich ein Künstler zu Wort: Erwin Wurm steht zum ersten Ort unseres kulturellen Gedächtnisses, seine strikte Ablehnung der Rückgabe trifft die gespaltene Öffentlichkeit ins Mark. Hier wird kulturpolitische Verantwortung aller gefordert.

Sammeltrieb laut Freud aus der analen Erotik abgeleitet

Das KHM hat seit der Wiedereröffnung des Liechtenstein Museums, eines privaten Sammlermuseums, das auf keinerlei Konzepte oder Reaktionen des Publikums Rücksicht nehmen muss, einen großen Rivalen. Den Sammeltrieb sah Sigmund Freud – selbstanalytisch mit ironischem Blick auf seine 3000 Exponate antiker Figuren – aus der analen Erotik des Kindes abgeleitet und diese Lust als Reaktion auf den Todestrieb. Von lustbetonten Kompensationstrieben ist Hans Adam II. von und zu Liechtenstein wenig geplagt. Er hat zwar wie Freud eine Neigung zur Archäologie, sammelt aber nach eigener Aussage nur, um die Verluste seiner Vorfahren – sein Vater musste etwa nach dem Zweiten Weltkrieg ein Gemälde Leonardos verkaufen – zu kompensieren. Nach Reorganisation des Familienvermögens gelang der Wiederaufbau der Sammlung – seit 1999 im Rossauer Sommerpalais, in zwei Jahren wird das Stadtpalais Bankgasse die Biedermeiersammlung aufnehmen.

Das breite Publikum hat das Museum bis jetzt nicht angenommen; diese Reserviertheit liegt neben der Langsamkeit im Akzeptieren von Neuerungen am Verlust historischer Erinnerung an die Schließung 1938. Statt Freude über die Rückkehr spielt auch Neid gegenüber dem Glanz des Hauses Liechtenstein durch seine Bankenpolitik – gerade in Zeiten der Finanzkrise – eine Rolle.

Das Kunstverständnis ist retrospektiv, die Schwerpunkte Barock und 19. Jahrhundert, weil Rückkäufe wie Canaletto, Rubens-Zyklen oder Skulpturen und Tapisserien vorrangig sind. Der Preis spielt – wie im Fall des teuersten Möbels der Welt, des "Badminton Cabinets" von 1720/30 – weniger eine Rolle, gespart wird aber im kaufmännischen Betrieb. Das Aufrechterhalten der Öffnungszeiten durch Kunsthändler als Partner und der Ankauf zweier aus dem Belvedere und dem Kunsthistorischen restituierter Gemälde – Amerlings "Mädchen mit dem Strohhut" und Frans Hals’ "Männliches Porträt" – brachten heiße Debatten noch mehr zum Kochen. Es liegt weder am Sammler noch an der Museumspolitik, vielleicht aber an der Erwartungshaltung an ein "gehobenes" Publikum, das so heute nicht existiert.

Leidenschaftliches Kaufen ohne Berührungsängste

Grundsätzlich anders ist das in Klosterneuburg beheimatete Sammlermuseum von Karlheinz und Agnes Essl angelegt. Das Unternehmerehepaar ist seit seinem Kennenlernen in der damaligen Kunsthauptstadt New York zunehmend leidenschaftlich dem Sammeln verfallen. Ohne Berührungsängste zu Publikum und Künstlern. Ihr Kooperieren mit teils als skandalös verschrienen Performern der Gegenwart wirkt zwar manchmal paradox, doch die Anteilnahme ist offenbar Lebensmaxime. Sie pflegen eine postkoloniale Kunstsicht und lassen viele an ihrem Firmenreichtum partizipieren, betreiben einen Gratisbus von der Stadt zum Museum in Klosterneuburg und drehen da auch einmal selbst die Lichter auf. Vielleicht ist ihre Sammlertätigkeit von evangelischen Glaubensgrundsätzen mitgeprägte Haltung. Nicht jedes angekaufte Werk würde klassischen Qualitätskriterien standhalten, oft wurden große Werkblöcke angekauft, doch die Inkonsequenz ihrer subjektiven Geschmäcker wirkt sympathisch. Was sie damit erreichen, obwohl ihr architektonisch ansprechendes Museum nicht in Wien steht, sind hohe Besucherzahlen.

Ein Zwitter zwischen Sammler-oase und staatlichem Museum ist das Museum Leopold. An sich haben es alle Steuerzahler mit erworben, wenn auch nicht mitbestimmt, dass der Vertrag den Sammler selbst zum Direktor machte. Verbliebene Grundlagen des Privatrechts führen dazu, dass Restitutionsforderungen nicht Folge geleistet werden muss. Damit sind nicht alle kulturell Engagierten einverstanden. Die Leidenschaft Rudolf Leopolds als Sammler von Schiele und Werken aus Wien um 1900 traf jedoch die Herzen der Besucher der letzten Jahre. Wer in Auktionen Zeuge eines Zugriffs durch Leopold wurde, weiß dass der Sammeltrieb in die tiefsten Schichten des Unterbewussten führt – "unseren dunklen Kontinent", wie der von Gehirnforschern jüngst rehabilitierte Freud es nannte. Das Museum ist aktuell Sammelparadies subjektiver Prägung neben versuchter Objektivität und Korrektheit eines Erinnerungsspeichers – ein Widerspruch. Sammeln wird anhaltende gesellschaftspolitische Debatten auslösen.

Printausgabe vom Dienstag, 06. April 2010
Online seit: Montag, 05. April 2010 17:52:01


Kommentare zum Artikel:

06.04.2010 17:07:00 Gutes Gespür...
... für wertvolle Kunst hat offensichtlich der Direktor der Albertina. Besonders die riesige Sammlung Batliner hat mit Sicherheit einige tausend Besucher in das Museum gelockt. Finde die Werke selbst fantastisch - speziell nach der Neueröffnung vor wenigen Wochen.
Florentina
Kommentar senden:
Name:

Mail:

Überschrift:

Text (max. 1500 Zeichen):

Postadresse:*


* Kommentare werden nicht automatisch veröffentlicht. Bitte beachten Sie unsere Regeln.
Die Redaktion behält sich vor Kommentare abzulehnen. Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als Leserbrief in der Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die Angabe einer nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese Adresse wird online nicht veröffentlicht.

Wiener Zeitung · 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Mail: online@wienerzeitung.at