08/2003
Im Mythenmixer Deutschland sucht den Superkünstler – größte Chancen hat
Martin Kippenberger Wenn du in eine Ausstellung gehst und von einem Künstler gute
und schlechte Bilder finden kannst, das ist gut!“ Ein typischer Satz von Martin
Kippenberger, typisch, weil er sich sowohl als Albernheit abtun lässt wie auch
einlädt zur längeren Reflexion. Ähnlich fällt es einem in einer
Kippenberger-Ausstellung oft schwer, zwischen Blöd- und Tiefsinn zu
unterscheiden, man kann dort von Banalitäten genervt wie von hinreißenden
Einfällen entzückt werden. Auch die große Retrospektive, die dem Künstler nun im
Museum für Neue Kunst in Karlsruhe gewidmet wird, ließe sich nach Kippenbergers
eigenem Kriterium als gute Ausstellung würdigen: Es gibt dort gute und schlechte
Bilder – und solche, die gut und schlecht in einem sind. Abb.: Katalog Schon lange war klar, dass dieser Schau, die in den nächsten Wochen von
weiteren Kippenberger-Schauen in anderen Städten eskortiert wird, die Aufgabe
zukommt, den in den letzten Jahren entstandenen Mythos um den 1997 Verstorbenen
endgültig festzuklopfen. Deutschland sucht den Superkünstler, und Kippenberger
erscheint als Idealbesetzung: witzig wie Polke, laut wie Baselitz, produktiv wie
Richter und vielleicht sogar so deutsch wie Kiefer. Dabei ist er jünger als sie
alle und hat mehr drauf als die Posen eines Bürgerschrecks, eines
Künstlerfürsten oder eines Genies. Er ist Leitfigur für eine jüngere Generation,
die genug hat vom elitären Künstlergehabe: Dass Kippenberger einige Bilder beim
Kinomaler in Auftrag gab, statt sie selbst zu malen, dass er in einer Band oder
in Filmen spielte, Ausstellungen anderer Künstler kuratierte oder Teilhaber
eines Restaurants in Los Angeles war, macht ihn zum Protagonisten postmodernen
Lebens. Vermutlich darf man nicht erwarten, dass eine einzige Ausstellung dies alles
vorführt; in Karlsruhe ist vor allem die Malerei zu sehen, ergänzt um
Skulpturen, Installationen und die berühmten Plakate. Doch konnte sich das
Museum nicht entscheiden: Sollte es den frech-unübersichtlichen Charakter jener
Ausstellungen rekonstruieren, die Kippenberger selbst mit Vorliebe gestaltet
hatte? Oder sollte es sich kunsthistorisch-abgeklärt geben und die Exponate
systematisch ordnen? Herausgekommen ist eine Mischung aus beidem: Der Besucher
wird wahllos bedient, zugleich ist alles clean und bedeutsam dargeboten, so als
hätten die Bilder von Anbeginn im Museum hängen sollen. Warum hat man sich nicht
nur um das Beste bemüht, sondern Sammlern die Gelegenheit gegeben, ihre
Kippenbergers durch eine Teilnahme an der Retrospektive wertsteigernd
vorzuführen? Dabei ist es durchaus ein Gewinn, die Werke musealisiert wahrnehmen zu
können: Sie müssen mit einem nüchternen Schildchen auskommen, statt von
Anekdoten geschmückt zu sein. Und einige Bilder erscheinen dadurch tatsächlich
schon wie Klassiker. Insbesondere etliche der Selbstporträts verführen zum
Schwärmen: Zwei Bildnisse aus dem Jahr 1988 zeigen den 35-Jährigen in
halblanger, unvorteilhaft über den Bierbauch gezogener Unterhose: einmal mit
schlaffem Oberkörper, hängenden Schultern, aber kritisch-wachem, geradezu
aggressivem Blick; das andere Mal beim Versuch, vor dem Spiegel doch noch eine
gute Figur abzugeben. Zwar ist der Bauch rausgedrückt, aber zugleich streckt
Kippenberger den Kopf nach oben und hält die Arme gewollt elegant so hinter dem
Rücken, als kämpfe er um seine Eitelkeit. Während dieser Auftritt schmunzeln
lässt, fällt im selben Moment auf, wie weltverloren der Maler sich hier
abbildet. Am meisten verstört, dass der Betrachter zwar den Spiegel sieht und
davor den Künstler, doch das Spiegelbild selbst kaum zu erkennen ist. Es ist in
Umbrabraun und Schwarz modelliert und dabei so dunkel, dass Kippenbergs Züge –
erst recht sein Blick – fast unidentifizierbar bleiben. Zugleich wird er aber,
wie der gesamte Oberkörper, von einem Nimbus umgeben. Clowneske
Selbstentblößung, ängstlich-vereinsamte Selbstverbergung und stolze
Selbstverklärung, sie finden hier schlüssig zusammen. Selbst im Scheitern noch geadelt Das Bild ist zudem fabelhaft gemalt, und gerade das im Spiegelbild
auftauchende Gesicht gehört zu den virtuosesten Partien, die die Malerei in
ihrer jüngeren Geschichte zu bieten hat – sofort vergisst man alle Zweifel an
dieser Gattung. Gleichwohl erscheint die neuerdings ausgerufene Aktualität der
Malerei als fragwürdig, kann doch ein Medium niemals an sich zeitgemäß oder
überholt sein. Es kann allein darum gehen, was jemand damit macht. Keineswegs immer gelingt es Kippenberger, die Malerei so gut zu vertreten.
Zumal in seinen späteren Bildern folgte er der vom Kunstmarkt belohnten Mode des
großen Formats, doch vermochte sein Bildwitz die Bildgröße nur selten zu füllen.
Man erschrickt, wie monströs und grob Bilder, die als kleine Reproduktionen noch
gut aussehen, im Original wirken; sie erscheinen wie Theaterrequisiten, die man
aus Versehen aus zu großer Nähe anschaut und die dabei jegliche Illusionsmacht
einbüßen. Schon in früheren Jahren wusste Kippenberger jedoch, wie er auch schwächere
Bilder gut platzieren konnte. Er schmuggelte sie ein in Serien aus sechs, acht
oder noch mehr Gemälden, die er zu einer Einheit mit gemeinsamem Obertitel
erklärte. Schade, dass Wols das nicht mehr miterleben darf oder 8
Bilder zum Nachdenken, ob’s so weitergeht heißen zwei dieser auch in
Karlsruhe gezeigten Tableaus. Hier wird die Idee des singulären Meisterwerks
preisgegeben und dafür ein Plural der Bilder in Szene gesetzt. Der Betrachter
widmet sich mehr den Bezügen zwischen ihnen als jedem für sich. Damit hat
Kippenberger einen zerstreuten Umgang mit Bildern vorbereitet, wie er spätestens
seit der letzten Documenta zu einem Kennzeichen zeitgenössischer Kunst avanciert
ist: Das einzelne Bild wird, anders als in der gesamten Moderne, nicht mehr so
wichtig genommen, sondern gerät zum Teil einer Gesamtinszenierung. Dass er sich als einer der Ersten frei vom Leistungsdruck der Avantgarde
fühlte und unbefangen, ohne Angst vor Peinlichkeiten, loslegte, macht
Kippenbergers Qualität aus – erklärt aber auch, warum er oft unter seinem
eigenen Niveau blieb. Dies fällt vor allem bei den Installationen auf, die
selten mehr sind als ein Patchwork von Einzelteilen. Hier schlägt sich
Kippenberger mit denselben Problemen wie jeder Provinzkünstler herum und vermag
funktionale Elemente wie Stützen oder Sockel nicht in seine Formensprache zu
integrieren. Natürlich ist die Kunstkritik nicht verlegen, solche Problemzonen
zu überspielen: Wo Kippenberger scheitert, wollte er angeblich scheitern, denn
es ging ihm um eine Persiflage der Kunst. Und außerdem war er ja so enorm
produktiv: Die Masse der Arbeiten wird zum Gradmesser seines Schaffensdrangs,
und Genialität erweist sich auf einmal als Frage der Quantität. Auch das zur
Karlsruher Ausstellung publizierte Katalogbuch ist voll von Aussagen dieser Art,
und es reicht den Autoren nicht, Kippenberger eine Lust am Machen zu
unterstellen; sie reden lieber vom „inneren Zwang zur Prokreativität“. Die
Mythenmaschine läuft auf Hochtouren und klappert so laut, dass alles Lob kakofon
wird. So etwas wünscht man niemandem, und zu Kippenberger passt schon gar nicht,
ihn im Nachhinein für unfehlbar zu erklären. Daher ist die Ausstellung
tatsächlich gut, denn indem sie mehr zeigt als nur das Beste, ermöglicht sie,
Kippenberger ganz nüchtern zu betrachten. Beruhigt reist man ab, hat man doch
einen großen Künstler gesehen, ohne dass deshalb eine Renaissance des Geniekults
nötig würde. Nein, Deutschland braucht keinen Superkünstler. Bis zum 27. April: der Katalog kostet 29,- Euro; weitere Ausstellungen:
im Kunstverein Braunschweig vom 1.3. bis 4.5.; in der Kunsthalle Tübingen vom
12.3. bis 22.6.