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derStandard.at | Newsroom | Kultur | Bildende Kunst 
05. Juli 2009
18:41 MESZ

Berechtigter Jubel nach der Uraufführung der "Ägyptischen": Dirigent Peter Jan Marthé und Hermann Nitsch in Mistelbach.


Eine Orgie der Obertöne
Rund 200 Musiker brachten in Mistelbach die monströse, zwei Stunden dauernde Symphonie "Die Ägyptische" von Hermann Nitsch zur Uraufführung

Dirigent  Peter Jan Marthé leistete Erstaunliches: Man blieb gebannt sitzen.

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Mistelbach - Der Dirigent versprach keinen "schönen Abend", nur ein "außergewöhnliches Klangereignis", eine "elementare Erfahrung". Es war von Peter Jan Marthé taktisch sicherlich klug gewesen, vor der Uraufführung der Ägyptischen von Hermann Nitsch das Publikum über das zu informieren, was folgen würde: eine Symphonie, die in ihrer Monumentalität alles überbietet, was der Aktionskünstler bisher an Musik geschrieben hat. Wenn man nicht wahnsinnig werden wolle, so Marthé, müsse man sich auf die Magie der Klänge einlassen - und man werde einen Quantensprung erleben.

In der Tat: Das Publikum ließ sich darauf ein. Kaum einer verließ am Samstag den Saal des Nitsch-Museums. Und zum Schluss bedachte man den zweistündigen Wahnsinn, der von 200 Musikern dargeboten worden war, mit Bravo-Rufen und Jubel. Vielleicht auch deshalb, weil die Symphonie viel musikalischer, vielschichtiger, abwechslungsreicher geriet, als man es hatte befürchten müssen.

Die VII. Symphonie zum Beispiel, 1985 beim Steirischen Herbst in Graz durch den Meister persönlich aus der Taufe gehoben, war vor allem kakofonisch. Was auch nicht verwunderte: Man hatte das Orchester eigens für die Uraufführung zusammengestellt. In Mistelbach aber beseelte ein arrivierter Dirigent die auf Millimeterpapier gemachten Angaben zu Lautstärke und Dauer mit Harmonien. Zudem war Marthé mit "seinem", dem 1994 zusammen mit Lord Yehudi Menuhin gegründeten European Philharmonic Orchestra angereist.

Wenn man Wagner an Wucht überbieten will, braucht es aber noch weitere Klangkörper: ein Lärmorchester (Trillerpfeifen, Ratschen), den A Capella Chor Weinviertel und die Stadtkapelle Mistelbach, die einen Schuhplattler und den Erzherzog-Albrecht-Marsch intonierte. Nitsch ließ die Ensembles miteinander agieren oder gegeneinander: Da türmten sich enorme Klangwände auf, die Paukisten trommelten sich die Seele aus dem Leib, die Glocken bimmelten und die Obertöne flirrten wie wild.

Die vier Sätze hatten durchaus unterschiedliche Motive: Auf die kreischende "Exposition" und das spritzige "Scherzo", in dem die Flöten für Heiterkeit sorgten, folgten ein kontemplatives "Adagio" und das orgiastische Finale mit "Fünfzehn Minuten alles C-Dur!"

Bei den Aufführungen des Orgien Mysterien Theaters in Prinzendorf verstärkt die Musik das Geschehen. Hier nun musste man sich die passenden Aktionen (Ausweiden eines Stiers, Prozession durch die Felder etc.) dazudenken. Was leicht gelang. Schließlich gab es ein beeindruckendes Bühnenbild: Die großformatigen, farbenfrohen Ergebnisse der jüngsten Malaktion von Hermann Nitsch. (Thomas Trenkler, DER STANDARD/Printausgabe, 06.07.2009)

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