Textarchiv OÖNachrichten www.nachrichten.at/archiv
vom 25.11.2005 - Seite 021
"Bilder versteht man auf der ganzen Welt"

130.000 Leute sahen seine letzte Ausstellung in San Francisco. Im März eröffnet er seine erste museale Großpräsentation in Linz: Die OÖN trafen den österreichischen Künstler Gottfried Helnwein bei den Vorbereitungen im Lentos.

VON IRENE JUDMAYER

OÖN: Sie sind das erste Mal im Linzer Kunstmuseum Lentos. Wie gefällt Ihnen das Haus?

HELNWEIN: Es hat durch seine Materialien trotz seiner Masse eine traumhafte Transparenz und Leichtigkeit. Das ist der beste Museumsbau, den ich kenne.

OÖN: Ihre künstlerischen Inhalte sind seit Anbeginn Ihrer Tätigkeit menschliche Abgründe, Verletzungen, Schmerz, Tod. Was hat sie dazu gebracht?

HELNWEIN: Ich hatte schon als Kind ein naives aber tief verwurzeltes und sehr ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Habe mich auch viel mit dem Holocaust auseinandergesetzt, mit Attacken gegen Wehrlose, später mit dem Thema sexueller Missbrauch.

OÖN: Ein selbsttherapeutischer Ansatz aus einer eigenen Wehrlosigkeit heraus?

HELNWEIN: Eigentlich nicht. Nein, ich habe nur gemerkt, dass die meisten anderen diese Thematiken verdrängen, dass es schwierig war, darüber zu reden. Ich hab aber immer nachgebohrt, war wahrscheinlich ein unangenehmes Kind. Sobald ich lesen konnte, habe ich Zeitung gelesen. Von Prozessen gegen Kriegsverbrecher. Vom KZ. Von Morden, von Gräueltaten an Frauen, an Kindern. Von Folterungen. Da ich die Zeichnung schon damals brauchte, um das Grauen aus der Distanz der Ästhetik aufzulösen, fügte sich eines ins andere.

OÖN: Arbeiten dieser inhaltlichen Dimension bieten immer viel Platz für Spekulation. Welche Erfahrungen machen Sie mit Besuchern Ihrer Ausstellungen?

HELNWEIN: Ich habe gemerkt, dass die Missverständnisse vor allem bei Leuten bestehen, die sich professionell mit Kunst beschäftigen. Die irren sich aber oft, wie wir wissen. Müssen sich aufgrund ihres Berufsethos den Werken distanziert nähern. Flüchten sich dann oft in Zynismen, in intellektuelle Konstrukte, die keiner mehr versteht.

OÖN: Wie sollte Ihr Publikum sein?

HELNWEIN: Das Publikum ist für mich Teil meines künstlerischen Prozesses. Ich wünsche mir einen völlig naiven Betrachter, der sich auf emotionale Erfahrungen einlassen kann.

OÖN: Also eine Art Kas-par Hauser der Kunst?

HELNWEIN: Genau.

OÖN: Wie stehen Sie zur heutigen Konzeptkunst?

HELNWEIN: Eine Mode-Erscheinung. Da ist eines verpönt: nämlich Gefühl. Was man erwartet, ist eine Kunst, die intellektuell ist, die kalt ist, einen intelligenten Sarkasmus hat, minimal ist. Jede Art von Pathos wird mit größtem Misstrauen betrachtet. Als absolute Katastrophe und Entgleisung. Darunter leiden Künstler wie ich, das macht uns ängstlich, vorsichtig.

OÖN: Glauben Sie, dass dieser Ansatz der Kunst generell schadet?

HELNWEIN: In der Ausschließlichkeit und im Diktat auf jeden Fall.

OÖN: Gibt es etwas, das Sie der analytischen Kunst vorwerfen?

HELNWEIN: Dass sie selbstverliebt ist, sich im Großen oft mit pseudoästhetischen Problemen beschäftigt. Oft Spielerei ist, ohne Relevanz. Für einen ganz kleinen elitären Kreis von Zynikern. Kunst hat für mich den Auftrag, auf die Zeit zu reagieren. Auf die Konflikte der Zeit. Kunst muss die Macht, die Kraft haben, in ihrer emotionalen Dimension jemanden zu berühren, zu verunsichern.

OÖN: Womit werden Sie uns im Lentos verunsichern?

HELNWEIN: Mit einem Überblick über die letzten zwanzig Jahre. 1985 stellte ich in der Wiener Albertina aus, seither ist doch sehr viel passiert.

OÖN: Sie haben innerhalb der Kunstszene immer für viel Aufregung gesorgt, haben eine unbändige Lust am Experiment mit neuen Techniken, Möglichkeiten.

HELNWEIN: Für mich persönlich war und ist es immer wichtig, Neuland zu betreten, Risiken zu wagen. Ich habe mich grundsätzlich nie an Regeln gehalten. Habe nie versucht, einer Erwartungshaltung zu entsprechen. Hab' sehr radikale Sachen gemacht, die alles verletzt haben, was man machen darf.

OÖN: Gibt es für Sie eine Funktion der Kunst?

HELNWEIN: Kunst ist der wichtigste Faktor der Welt. Langfristig: Ohne Kunst würde jede Form von Ethik und Moral zusammenbrechen. Streichen Sie einmal alles aus der Geschichte, das nicht mit Kunst - Bildender, Musik, Literatur - zu tun hat. Was bleibt über? Leute, die sich gegenseitig die Birne einhauen!

OÖN: Was ist für Sie das Faszinierende an der Kunst?

HELNWEIN: Es fasziniert mich und es ist phantastisch, dass es eine universelle Sprache ohne Limits ist. Bilder versteht man auf der ganzen Welt.

Der geniale Maler Gottfried Helnwein mit einer Arbeit und im Gespräch mit OÖN-Kulturchefin Irene Judmayer

Fotos: VKB, Fediuk-Winter

Gottfried Helnwein

8. 10. 1948 geboren in Wien. Kunststudium bei Rudolf Hausner. Frühe aktionistische Arbeiten, erste Bilder als "Blut- und Narben-Maler". Ausstellungen in der Albertina und der Londoner Tate Gallery. Titelbilder für Spiegel, Stern, Playboy. Plattencovers (u. a. für die Scorpions und Franz Morak), zahlreiche Bühnenbilder. Verheiratet, vier Kinder, lebt seit 1997 in Irland.


© Alle Rechte vorbehalten. Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf.