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Ausstellung: Wie besoffen von der Bibel

20.03.2008 | 18:55 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Das Wiener Dommuseum zeigt Hrdlickas Beschäftigung mit den dunklen Seiten des Christentums.

Gästebücher in Ausstellungen sind selten geworden, noch seltener sind darin Schlachten des Wortes. Im Wiener Dom- und Diözesanmuseum findet man zurzeit beides, dank des durchaus als mutig zu würdigenden neuen Direktors Bernhard Böhler. Richtete er schließlich mit Alfred Hrdlicka einem lautstark bekennenden Marxisten und Atheisten eine Ausstellung zum 80.Geburtstag aus – bisher übrigens die einzige museale dieses Jubiläumsjahres in Österreich.

Und sie begann gleich mit einem Paukenschlag, jedenfalls für diesen Ort: Prominent am Beginn der Ausstellungsräume hing Hrdlickas große Radierung „Lionardos Abendmahl, restauriert von Pier Paolo Pasolini“ von 1984. Das Blatt zeigt, was der Titel verspricht: eine recht derbe Orgie unter Männern, irritierend ergänzt von einer Kreuzigung. Das Motiv lässt sich durch Hrdlickas damals zeitgleiche Faszination von da Vincis Abendmahlssecco in Santa Marie della Grazie sowie dem mysteriösen Tod des Regisseurs Pasolini erklären, den der Künstler wegen dessen Schicksals als von Gesellschaft und Kirche Geächteter öfters als Schmerzensmann darstellte. Hrdlicka selbst erklärte das Bild bei der Presseführung schlichter: „Es gab ja keine Frauen.“ Und: „Schon Leonardo war der Meinung, dass die Apostelrunde von Homoerotik zusammengehalten wurde.“

Letztendlich ist die Arbeit aber eine Karikatur, die zusammenführt, was für die Kirche nicht zusammengehören darf. Auch heute nicht. Diese Wiener Version des Karikaturenstreits, diese Schlacht (nicht nur) im Gästebuch des Museums, hat die Kunst verloren. Über die Osterfeiertage wird die Radierung abgehängt. Was wäre eine Hrdlicka-Schau im Dommuseum schließlich ohne Erregung.

Dabei greift der streitbare Bildhauer bereits seit Ende der 40er-Jahre religiöse Themen auf. „Ich war wie besoffen von der Bibel“, erinnert sich der nach längerem Dahinsiechen endlich wieder Rekonvaleszente heute. „Sie ist spannend wie ein Kriminalroman und literarisch unerreicht.“ 1987 fiel Hrdlicka damit dem Kölner Jesuitenpater Friedhelm Mennekes auf, der in seiner Analyse „Kein schlechtes Opium: das Religiöse im Werk von Alfred Hrdlicka“ Verbindliches fand: Geht im Christentum alles von der Fleischwerdung Gottes aus, geht bei Hrdlicka „alle Kunst vom Fleische aus“.


Der Mensch im Mittelpunkt

Hier wie dort steht jedenfalls der Mensch im Mittelpunkt. Und es sind dessen dunkle Seiten, die Hrdlicka faszinieren: Perversion und Gewalt, Grausamkeit und Erotik, beides findet sich auch in Bibel und Kirchengeschichte en masse – Lot und seine Töchter, Samson und Delilah, die Hexenverfolgungen, die Passion Christi. In Dutzenden Werken nahm Hrdlicka die Kreuzigung immer wieder auf: die Wunde, das Fleisch, der Mensch. Selten wurde das unprätentiöser und glaubwürdiger dargestellt.

Es ist ein Versäumnis, dass die Kirche diese künstlerische Berserkerkraft für sich bisher nicht nutzte. Was sich bald ändern könnte: Kardinal Schönborn möchte, wie die „Presse“ am Gründonnerstag erfuhr, Hrdlicka einladen, der 1998 selig gesprochenen Schwester Maria Restituta im Stephansdom ein Denkmal zu setzen. Die widerständige Kranken- und Klosterschwester wurde 1942 von den Nazis wegen „Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat“ zum Tode verurteilt und 1943 geköpft. Vor ihr drei Kommunisten, nach ihr drei Kommunisten. Zumindest das müsste Hrdlickas Kräfte noch einmal stärken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2008)


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