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Dicht an dicht: Traurige Teeparty mit Egon

16.02.2011 | 18:20 | von Almuth Spiegler (Die Presse)

Schiele-Doyenne Jane Kallir enttäuscht mit einer intimen Schiele-Ausstellung im Belvedere. Sie verspricht neue Blicke auf Schieles Porträts. Und zeigt doch nur Altbekanntes.

Das ist keine opulente Wien-um-1900-Ausstellung, kein „der ganze Schiele“, „der ultimative Klimt“ in zehn hochglänzenden Sälen. Nein. Wir befinden uns nicht einmal in den Prunkräumen des Unteren Belvedere, sondern nebenan, in der schmalen Orangerie. Hier windet man sich elegant in die Eingeweide von Schieles Leben. Auf rosé-farbenen, sich zu intimen Kojen schwingenden Wänden hängen dicht an dicht rund 100 Porträts und Selbstporträts. Eine schwermütige Teeparty schwermütiger Charaktere, die es bisher noch nie zueinandergeschafft haben sollen.

Und doch haben Schiele-Doyenne Jane Kallir und Belvedere-Chefin Agnes Husslein aus dieser Chance keinen großen Wurf gemacht. Zu viele Schlüsselwerke fehlen, zu begrenzt, zu farblos wird dieses im Katalog schmackhaft gemachte Wahnsinnsthema in der Ausstellung selbst abgehandelt.

 

Die Mutter und die Geliebte

Dabei strotzt alles nur so vor Leben und Drama, geht es doch um die Menschen in Schieles Bildern, denen der Künstler nicht nur „Seele“, sondern auch fassbare Identität zugestanden hat: Mutter Marie, Geliebte Wally, Ehefrau Edith, der strenge Vormund Czihaczek, der schlaue Vermittler Roessler, die Freunde Max Oppenheimer und Erwin Osen – und natürlich, immer und immer wieder, das billigste aller Modelle, Egon himself.

Gleich zu Beginn treten wir ihm vor die romantisch verschatteten Augen, 16 Jahr war er da, der jüngste Schüler der Wiener Kunstakademie – in deren Gemäldegalerie er auch die Vorlage für dieses Künstlerselbstbild gesehen haben muss, Anthonis van Dycks 1615 gemaltes Selbstporträt. Den Vergleich bleibt man uns schuldig, man zeigt Schiele pur, was didaktisch zu einigen Rumplern führt.

So ist die Entwicklung vom braven Frühwerk, vom Porträt der stumpf-depressiv blickenden Mutter von 1907 zum dämonisch-insektenhaften Akt-Selbstporträt von 1910 eigentlich nicht nachvollziehbar. Liegen dazwischen doch die Bekanntschaft zu Schieles Vorbild Klimt, der Austritt aus der Akademie – und die Liebe zu javanischen Schattenspielfiguren des Freundes Roessler, die einige der bizarrsten Körperstellungen in Schieles Werk erklären. Um seine Körperinszenierungen, die nervösen Hände, die Grimassen, die Verrenkungen zu verstehen, muss also nicht unbedingt auf Studien von Geisteskranken zurückgegriffen werden, wie es Experten bisher oft taten. Es reicht, wenn man den Einfluss des modernen Ausdruckstanzes sowie der Pantomimen des frühen Stummfilms berücksichtigt.

 

Was will man hier verstecken?

Für derlei Erkenntnisse muss allerdings auf den Katalog zurückgegriffen werden. Partout will man gerade bei diesem großen Thema im Kabinettformat bleiben – während in den Haupträumen des Unteren Belvedere der Futurismus herrscht. Eine seltsame Dynamik. Will man hier etwas verstecken? Eine Verkaufsausstellung von Kallir etwa, die in New York die Galerie St. Etienne betreibt? Böse, wer Böses denkt – nur zwei Blätter tragen die Courtesy der Galerie. Viele stammen allerdings aus nicht näher definiertem Privatbesitz, einige davon erstmals in Wien zu sehen.

Danke dafür – trotzdem wirkt alles irgendwie altbekannt. Eher fällt auf, was fehlt: etwa das einzige Auftragsporträt einer Frau, das Schiele malte. Friederike Maria Beer hieß die Mutige, die sich 1914 im Wiener-Werkstätte-Kleid vor das junge Genie auf den Boden legte. Das Ölgemälde scheint unabkömmlich, angereist ist immerhin eine Zeichnung dazu aus Berner Privatbesitz. Schade, immerhin versucht man zu belegen, dass Schiele ein neues Frauenbild schuf – am Ende seiner Karriere. Da durfte auch Gattin Edith, für die er die nicht standesgemäße Geliebte verlassen hatte, nicht nur aus den wie üblich traurigen Augen, sondern im Großformat auf den Betrachter blicken, ja, sie bekam sogar „beseelende“, verkrampfte Schiele-Hände zugestanden. Bedenkt man die Zeit, in der Weiningers Theorien über das seelenlose Weib bejubelt wurden, und ihre obsessive Kunst, in der Rodin abertausende Masturbierende zeichnete, muss frau aber wohl froh sein, einmal nicht mit aufgerissenen Schenkeln festgehalten worden zu sein.

Immerhin hat Schiele auch sich selbst nicht geschont – faszinierend und extrem selten in der Kunstgeschichte zeigte er sich mit der Hand auf seinem Geschlecht. Allerdings nicht in dieser Ausstellung, keine Angst, sondern in gut verwahrten Blättern in der Albertina oder dem Metropolitan Museum. Während die meisten seiner Auftragsporträts recht konservativ wirken, findet sich Schieles Aktualität in seinen Selbstporträts. Er schlüpfte in unterschiedlichste Rollen, vom Praterstrizzi zum heiligen Sebastian. Er kroch, wand, verrenkte sich vor Spiegeln und Kameras. Er inszenierte sich unsympathisch eitel, als doppelter „Seher“, als Erleuchteter, als Verzweifelter in der Zelle nach seinem Prozess, den er verlor, weil er pornografische Zeichnungen in einem Raum verwahrte, zu dem auch Kinder Zutritt hatten.

 

Von Schiele zu Muehl

Otto Muehl wird ein halbes Jahrhundert später hier ansetzen und ein Verbrechen daraus machen. Und das ist nicht die einzige Spur, die zu den Wiener Aktionisten führt: Zu Beginn wie in der Mitte des 20. Jahrhunderts suchten die mutigsten Künstler auf radikale Weise ein neues Menschenbild, benutzten dafür ihre nackten Körper – und sahen sich als Opfer, als Märtyrer. Brus, Nitsch, Schwarzkogler und Muehl machten in den frühen 1960er-Jahren dort weiter, wo Schiele aufgehört hatte. Sie alle schafften in ihrer Kunst gesellschaftliche Revolutionen, während sie privat in den tradierten Rollenbildern verhaftet blieben.


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