"Wir konnten es kaum glauben", erzählte der Fotohistoriker Christoph Schaden über die Nachforschungen, die auf den Fund folgten. Alles, was einen Hinweis auf die Umstände dieser Bilder der bekanntesten Fotografen Europas bot, war ein Plakat, das die Ausstellung für 1956 im (geheizten!) Ausstellungsraum des Grazer Joanneum ankündigt. Bisher hatte man die im gleichen Jahr auf der Kölner "photokina" gezeigte Magnum-Ausstellung für die erste Gruppenschau der Agentur gehalten. "Jetzt wissen wir mit Sicherheit, dass 'Gesicht der Zeit' die erste Wanderausstellung war", so Schaden. Neben Graz wurde sie damals auch in Innsbruck, Wien, Linz und Bregenz gezeigt. "Und nach ihrer Rücksendung wohl einfach irgendwo abgestellt." Vergessen, selbst von der Agentur oder Fotograf Erich Lessing.
"Wahrscheinlich ein Glück", meinte Schaden, denn heute bringe man der Fotografie eine ganz andere Wertschätzung entgegen. "Hätte man die Bilder vor 20 Jahren gefunden, wären sie vielleicht auf den Müll gekippt worden." Auf farbigen Hartfaserplatten hängen sie nun in "bemerkenswert gutem Zustand" und dokumentieren als "Herrscher des Augenblicks, der gleichzeitig infrage stellt und entscheidet", wie Henri Cartier-Bresson seine Kamera gerne nannte, das vielseitige Gesicht ihrer Zeit. Mahatma Ghandis letzte Tage und die Verzweiflung der Massen bei seiner Einäscherung zeugen da ganz schlicht von historischen Emotionen. Daneben geleitet Inge Moraths "Mayfair"-Serie britische Ladies und Gentlemen durch die Straßen von London. Und Ernst Haas' Aufnahmen vom Filmset des 1954 gedrehten "Land der Pharaonen" kontrastieren mit einer filmisch-archaischen Pseudorealität.
"In diesen Fotos kann man schon die linke Verortung dieser Magnum-Generation sehen - wenn man will", so Schaden. So sind mit Dalmatien und Ungarn zwei osteuropäische Regionen als eigene Serie vertreten, Magnum-Gründer Robert Capa, der mit seinen Aufnahmen aus dem spanischen Bürgerkrieg zu einer Ikone der Kriegsfotografie wurde, wählte für "Gesicht der Zeit" lediglich drei Bilder von einem Volksfest im Baskenland aus. Und Erich Lessing packte das ganze Nachkriegs-Wien in eine Hand voll Fotos von Kindern, die sich an den markanten Orten der Stadt tummeln. Vor dem Belvedere, wo sie mit Mäntelchen und Käppchen die Kieselsteine des Parks mit Schaufel und Kübel bearbeiten. In einem Wienerwald-Gasthaus, wo sie Bier zu trinken bekommen, oder im Rathauspark, wo sie ihre Nasen in den Wasserstrahl des Brunnens stecken.
Die Nummern auf einigen der Platten, die Anleitungen im Inneren der ebenfalls ausgestellten Holztruhen und auch die Bilderauswahl selbst lassen auf eine sorgfältige Zusammenstellung schließen, den damaligen Kurator konnte man dort allerdings ebenso wenig ausfindig machen wie in der Erinnerung von Fotografen und der damaligen Magnum-Sekretärin. Nicht vergessen wurde das "Gesicht der Zeit" allerdings von den Archiven der österreichischen Feuilletons. "Eine zur 'Ausstellung' aufgebauschte Pariser 'Drucksachen-Sendung'", urteilte etwa die Wiener Zeitung 1956. So ändert sich die Wahrnehmung - auch von etwas, das 50 Jahre lang nicht gesehen wurde. (APA)