Personalia des Surrealisten und Dadaisten Max
Ernst im MdM Mönchsberg
Pyrotechniker der Seele
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Max Ernsts "Frontispiz, Leonora Carrington, La Dame ovale" aus 1939.
Foto: VBK, Wien
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Von Anton
Thuswaldner
Nie wollte
Max Ernst seinen Drang unterdrücken zu erzählen, was seine Fantasie und
sein Unbewusstes auch immer hergaben. Er suchte dabei gar nicht erst den
Umweg über die Sprache, er schuf Bilder, in denen die Schrecken und die
Schönheit der Existenz, verborgen in den unausgeleuchteten Katakomben
des Geistes und der Seele, gebannt werden sollten. Wo Freud kraft seines
scharfen Intellekts Ordnung zu schaffen suchte, beließ es Max Ernst bei
den Freuden der Unvernunft.
Ihm ging es nicht um Erklärungen der Geister, die in unserem Wesen
toben, er forderte sie heraus, ans Licht zu kommen. Sie sollten sich der
Öffentlichkeit zeigen und ihre private Scham ablegen. Denn so subjektiv
all diese Findungen und Erfindungen des Künstlers auch sein mögen, der
Betrachter weiß genau, dass es in seinem eigenen Inneren nicht
ordentlicher zugeht. Die Dramen des Max Ernst sind auch seine eigenen.
Aber er muss erst selbst etwas daraus machen. Denn für eine Lehre, mit
der man sich zurückziehen kann und vielleicht gar durch ein ganzes Leben
kommt, ist Max Ernst nicht zu haben.
Romane in Bildern
Die Literatur nahm für Ernst einen besonderen Stellenwert in seinem
Leben ein. Er las regelmäßig und viel, zählte Literaten zu seinen
Freunden und tauschte sich intensiv mit ihnen aus. Er illustrierte
Bücher, die ihm wichtig waren, und schuf gar eigenständige Romane in
Bildern. Romane? Das darf man ihm nicht so abnehmen, wie er es
vordergründig unter die Leute zu bringen gedachte, denn an eine
kontinuierliche Geschichte, die sich nacherzählen ließe, dachte er nie.
Grafische Werkzyklen und illustrierte Bücher stehen, flankiert von
Gemälden, Plastiken und herausragenden Einzelblättern, im Mittelpunkt
der Ausstellung "Albtraum und Befreiung" im Museum der Moderne in
Salzburg, die sich chronologisch der Entwicklung Max Ernsts widmet. Man
sehe sich nur den Collageroman "Die weiße Woche. Ein Bilderbuch von
Güte, Liebe und Menschlichkeit", 1934 in fünf Heften erschienen, an.
Jedes Blatt ein Rätsel und ein Angriff auf den schönen Schein des
harmonischen Lebens unter den Menschen.
Die Vorlagen stammen aus gängigen trivialen Zeitschriften und
Katalogen des 19. Jahrhunderts. Ernst entreißt Einzelheiten ihres
Kontextes und montiert sie neu. Und schon wird es grausam und
unheimlich. Ein dem Betrachter zugewandter Mann, durchaus bürgerlich
gekleidet wie eine Stütze der Gesellschaft, ist mit mächtigem, zur Seite
geneigtem Raubvogelkopf ausgestattet. Das bedeutet nichts Gutes.
Richtig, mit einem Messer in seiner Rechten durchbohrt er die Fußsohle
einer Frau, die vor ihm schwebt. Eine Opfer-Täter-Geschichte vor grauem
Hintergrund findet statt, ein Drama, das nichts mit dem Alltag zu tun
hat, aber in dem Ohnmacht und Herrlichkeit in einen mörderischen Dialog
treten.
Ernsts Facetten
Kein Wunder, dass solch ein Visionär den Nazis suspekt sein muss.
1937 werden zwei seiner Arbeiten in der Ausstellung "Entartete Kunst"
gezeigt, damit ist Deutschland für den Künstler verlorenes Terrain. Nach
längerem Frankreich-Aufenthalt emigriert er in die USA, wo er zwischen
1941 und 1953 lebt.
Max Ernst, der Pyrotechniker der Seele, ist nur eine Facette. Er war
auch einer der großen Neuerer, der sich in Strukturen verlieben konnte,
die er gerade als Abrieb von einer Holzmaserung genommen hatte. Der wird
zum Ausgangspunkt für die weitere Bearbeitung: Der Zufall und der
künstlerische Wille verbünden sich, um in der Frottage eine neue
Wirklichkeit zu schaffen.
Mit der Fülle in der Salzburger Ausstellung wird man nie ganz zurande
kommen.
Ausstellung
Albtraum und Befreiung
Toni Stooss, Esther Ruelfs
(Kuratoren)
Museum der Moderne Mönchsberg
bis
3. Oktober 2010
Printausgabe vom Mittwoch, 16. Juni 2010
Online
seit: Dienstag, 15. Juni 2010 16:29:00
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