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Der ORF ist Vergangenheit – am 1. Juli startet Danielle Spera als Direktorin des Jüdischen Museums in Wien

Fokus auf die lebendige Gegenwart

Spera 
zur Israel-Kritik: "Israel wird mit zweierlei Maß gemessen, damit 
habe ich ein Problem." Foto: apa

Spera zur Israel-Kritik: "Israel wird mit zweierlei Maß gemessen, damit habe ich ein Problem." Foto: apa

Von Alexia Weiss

Aufzählung Spera: Nicht-Juden haben Scheu, Fragen über das Judentum zu stellen.
Aufzählung "Shoa soll nicht die Gegenwart verdecken."

Wien. Den Abschied vom Bildschirm hat sie bereits hinter sich gebracht: Vergangene Woche moderierte Danielle Spera zum letzten Mal – und dabei heiser – die "Zeit im Bild", der sie mehr als 20 Jahre lang ihr Gesicht gegeben hatte. Mit 1. Juli übernimmt sie die Leitung des Jüdischen Museums Wien. Mit der "Wiener Zeitung" sprach Spera über die Schwellenangst der Österreicher, wenn es um das Judentum geht, die Inhalte, die sie künftig im Museum transportieren will, aber auch, was von ihr in Zukunft in Sachen Politik an Stellungnahmen zu erwarten ist.

"Wiener Zeitung": Wie sehr sind Sie im Kopf noch beim ORF, wie tief stecken Sie bereits in Arbeiten für das Haus in der Dorotheergasse?

Danielle Spera: In den vergangenen Monaten habe ich mich schon intensiv mit dem Jüdischen Museum auseinandergesetzt, allerdings habe ich noch nicht den Einblick, den ich erst nach meinem Amtsantritt bekommen kann, noch sind meine Vorgänger im Amt. Vor allem habe ich versucht, mir einen guten Überblick darüber zu verschaffen, wie die anderen jüdischen Museen in Österreich und in Europa aufgestellt sind, und da haben wir in Wien heute Aufholbedarf.

Als eines Ihrer Ziele für Ihre Arbeit im Museum nannten Sie, den Österreichern die Schwellenangst beim Thema Judentum zu nehmen. Wie äußern sich diese Ängste?

Nach meinem Gefühl wollen die Nichtjuden etwas über das Leben der Juden erfahren, sie haben aber oft Scheu, danach zu fragen, oder sie kennen niemanden, der Jude ist, würden aber gern etwas mehr wissen. Auch ich bin immer wieder gefragt worden, sei es aus dem Kollegenkreis oder auch von Zuschauern, die mich auf der Straße oder im Autobus angesprochen haben: "Können Sie mir erklären, was das oder jenes bedeutet.. ." Vor allem zu den Feiertagen gibt es immer wieder Fragen wie: "Warum feiern die Juden Neujahr im September?" oder "Was ist eine Bar Mitzwa?"

Haben Sie schon eine konkrete Vorstellung, wie man diese Schwellenangst senken kann?

Ein wichtiger Schritt dazu ist sicherlich, die Religion vorzustellen, das jüdische Leben nachvollziehbar zu machen. Wir haben im Jüdischen Museum Wien eine wunderbare Sammlung von Objekten zu den Feiertagen, diese Objekte möchte ich erlebbar machen, indem man sie Geschichten erzählen lässt.

Wie kann man dieses lebendige Judentum in einer Ausstellung präsentieren, ohne es auf Brauchtum zu reduzieren?

Da gibt es viele Möglichkeiten, es kommt ganz auf die Gestaltung an. Wir feiern unsere Feste auf lebendige Art und Weise, daher ist es keine Reduktion auf Brauchtum, sondern die Darstellung von Tradition und Gegenwart des Judentums.

Im aktuellen Judentum gibt es auch Tabuthemen. Könnten Sie sich vorstellen, Konversion zum Thema zu machen, Mischehen, die Schwierigkeit, in Österreich einen jüdischen Partner zu finden?

Selbstverständlich sollen auch kontroverse Themen beleuchtet werden, gar keine Frage.

Inwieweit ist es auch Aufgabe eines Jüdischen Museums, sich mit der Shoa auseinanderzusetzen?

Die Shoa stellt einen immer zu reflektierenden Einschnitt in der Geschichte der Juden dar. Sie sollte auch in einem jüdischen Museum dargestellt werden, allerdings soll man damit nicht die Gegenwart verdecken.

Mit welchen konkreten Fragestellungen wollen Sie sich diesem Thema nähern?

Die Verfolgungsgeschichte der Juden kann etwa in einem Diskussionsprozess für die Bewältigung der Probleme der heutigen Minderheiten Platz greifen. Das soll dazu führen, dass wir es heute besser machen als die Menschen in den 1930er Jahren.

Sie sind Tochter eines jüdischen Vaters, der von den Nazis verfolgt worden ist, und besuchten eine katholische Schule. Ihre Eltern wollten nicht, dass Sie als jüdisch wahrgenommen werden. Heute treten Sie nach außen als selbstbewusste Jüdin auf. Wie haben sich aus Ihrer Sicht die Zeiten geändert?

Die Situation in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg war lange davon geprägt, dass man die jüdischen Vertriebenen weder zur Rückkehr eingeladen hat, geschweige denn, dass man sich für die Shoa entschuldigt hätte. Das war schmerzhaft für die Überlebenden. Diese Situation hat sich – vor allem durch Bundeskanzler Vranitzky und seine klaren und deutlichen Worte – geändert. Bei seiner berührenden Rede 1993 in Jerusalem war ich dabei, diesen Moment werde ich nie vergessen.

Als ORF-Journalistin mussten sie Äquidistanz bewahren. Werden Sie sich nun öfter politisch äußern?

Es gibt eine politische Vertretung der Juden in Österreich und das ist die Kultusgemeinde. Das heißt allerdings nicht, dass ich ein Schweigegelübde ablegen werde.

Israel steht aktuell wieder einmal im Zentrum der internationalen Kritik. Wie gehen Sie als in der Diaspora lebende Jüdin damit um?

Israel wird mit zweierlei Maß gemessen, damit habe ich ein Problem. An Israel werden Ansprüche gestellt wie an kein zweites Land auf der Welt.

Inwieweit werden Sie auch Israel im Museum zum Thema machen?

Auch zu diesem Thema sollen Diskussionen stattfinden.

Werden dabei auch kritische Stimmen einen Platz haben?

Warum nicht?

Derzeit sorgt der in Österreich geborene israelische Historiker Shlomo Sand mit dem Buch "Die Erfindung des jüdischen Volkes" für ein Rauschen im Blätterwald. Wäre das ein Thema für das Jüdische Museum?

Die Diskussion über die Definition des Judentums – Volk oder Religion – ist vermutlich so alt wie das Judentum selbst. Die Thesen von Shlomo Sand sind jedenfalls nicht belegbar und wissenschaftlich umstritten. Dass er damit provoziert hat, ist ihm jedenfalls gelungen.

Aufzählung Museum

Das Jüdische Museum der Stadt Wien wurde 1988 gegründet, um jüdische Geschichte, Kultur und Religion zu vermitteln. Mehr als 100 Ausstellungen wurden bisher gezeigt. Insgesamt vier Sammlungen verwaltet das Museum, die weitaus größte davon ist die der Israelitischen Kultusgemeinde. 1994 wurde die Bibliothek eröffnet, deren Bestand zurzeit bei 38.000 Werken liegt. Seit 2000 hat das Jüdische Museum mit dem Museum Judenplatz eine Außenstelle, in der die Überreste der 1420/21 zerstörten Synagoge präsentiert werden und das jüdische Leben im Mittelalter dokumentiert wird. Beim Jüdischen Museum arbeiten insgesamt 67 Mitarbeiter.

Printausgabe vom Mittwoch, 16. Juni 2010
Online seit: Dienstag, 15. Juni 2010 17:16:00

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