DiePresse.com | Kultur | Kunst | Artikel DruckenArtikel drucken


MAK: Botschaften aus einer sanften Welt

08.12.2010 | 18:43 | SABINE B. VOGEL (Die Presse)

Eva Schlegel, eine der bekanntesten Künstlerinnen Österreichs, arbeitet mit dem Weichzeichner - auch wenn es um das Thema Schweben und Scheitern geht.„In Between“ zeigt im MAK Schlegels Gesamtwerk.

Fünfzehn Monate war er in den berüchtigten Bleikammern des Dogenpalastes in Venedig eingekerkert, bevor Giacomo Casanova die Flucht gelang. Neben Gotteslästerei saß er wegen Unzucht ein – ob Eva Schlegel diesen berühmten Libertin beim Entwurf ihrer Bleikammer im Sinn hatte? Denn in ihrer großen Einzelausstellung im MAK präsentiert sie in dem massiven begehbaren Bleikubus eine stattliche Auswahl kleiner Pornobilder. Aber es ist nicht die Grenzerfahrung, sondern die Doppeldeutigkeit, die Schlegel hier interessiert. Blei sei hochgiftig, aber auch schützend, erklärt sie, und daher sei diese Kammer ein „Schutzraum für Erotik“.

„In Between“ nennt die 1960 in Tirol geborene Künstlerin ihre Schau. Es ist eine Retrospektive der besonderen Art. Denn Schlegel zeigt hier ihr Gesamtwerk, ohne dafür frühere Arbeiten erneut der Kritik auszusetzen. Schon lange arbeitet sie mit dem sehr malerisch wirkenden, in vielen Farben changierenden Blei, auf das sie ihre gefundenen Bilder druckt und so die Bildmotive vielschichtiger wirken lässt. Jetzt zeigt sie eine Serie von Wolken auf Blei.

Ein zweites Erkennungsmerkmal ihres Werkes sind die unscharfen Fotomotive, Anfangs Porträts, im MAK die Serie der Catwalk-Damen. „Die Fotografie an sich hat mich nie interessiert, deswegen habe ich immer versucht, den Raum zusätzlich zu bearbeiten – ich wollte, dass die Porträts sich auch im Raum auflösen, dass sie schweben“, erklärt Schlegel ihre Entscheidung für die Unschärfe. „Wohlfühl-Ästhetik“ nennt der Kulturtheoretiker Wolfgang Ullrich die bis in die Romantik zurückreichende Tradition unscharfer Bildelemente, die eine „sanftere Welt suggerieren“ – vielleicht ein Grund für den erstaunlichen Kunstmarkterfolg gerade ihrer weichgezeichneten Bilder?

 

Wann ist ein Text ein Text?

Mit Unschärfe spielt Schlegel auch in ihren Textarbeiten, die sie auf Trennwänden und Scheiben anbringt – prominentestes Beispiel dafür ist sicher ihr Biennale-Venedig-Beitrag 1995 zusammen mit Coop Himmelb(l)au oder die Trennwand im Essl Museum zwischen Buch-Shop, Cafe und Ausstellungsraum. Dafür kopiert und vergrößert sie einzelne Seiten aus Büchern so lange, bis nur noch eine abstrakte schwarz-weiße Struktur übrig bleibt, die vage an ein Druckbild erinnert, aber nichts Lesbares mehr bietet. „Wann erkenne ich Text als Text, wenn auf der primären Informationsebene alles weggelassen ist?“, fragte sie dazu rhetorisch. Im MAK ist es der einleitende Wandtext, der natürlich nur in einer verdoppelten Version verunscharft ist – statt radikaler Schritte setzt Schlegel lieber auf den Schutzraum der visuell verführerischen Momente.

Ein dritter Rückgriff ist zugleich ihre neueste Arbeit im MAK: Als Studentin hat sie den Film eines Ventilators auf einen Ventilator projiziert. Jetzt ist sie weniger experimentell: Auf den Blättern der drei riesigen Flugzeugrotoren schweben Menschen, fliegen Vogelschwärme vorbei und legt sich zwischendurch ein riesiger Ballon todbringend über Gesichter – eine Szene aus einem frühen Science-Fiction-Film. Dazwischen schwebt ein Text über die Rotoren, der von der hauchdünnen Grenze zwischen Fliegen und Fallen spricht.

Die bewegten Rotoren, die unscharfen Catwalk-Fotos, die massive Bleikammer, die raumhohe Wand aus weißen Wetterballons im MAK, parallel dazu in der Galerie Krinzinger ihre neuen Bleibilder von Fliegenden und die modularen Spiegeltische – all diesen Objekten und Bildern gemeinsam ist Schlegels konstantes Interesse am Schweben. Neu ist ihre Betonung der damit verbundenen Gefahr des Scheiterns, die Kombination von Fliegen und Fallen. Allerdings erleben wir in diesen Werken die eng verbundenen Gegensätze nicht als Grenzsituationen, sondern als recht wortwörtliche Übersetzungen in Bilder.Denkt man dagegen an Yves Kleins berühmten „Sprung in die Leere“, wird deutlich, wie weit das Spektrum von „Fliegen und Fallen“ reichen kann. Yves Klein springt auf dieser Fotografie mit weit ausgebreiteten Armen von einer Mauer, er veröffentlichte das Dokument in einer Zeitung, die nur an diesem einzigen Tag im November 1960 erschien. Mit seinem Sprung lenkte er den Blick nicht auf das Schweben, sondern auf die Leere – als Raum voller „Sensibilität“, wie er es nannte, was eine geistige Essenz oder eine Art universalen Bewusstseins bezeichnet, vielleicht sogar als der Ort der Kunst gedeutet werden kann.

Schlegel greift in ihren neuen Bleibildern diesen Sprung wortwörtlich auf, springt dabei aber nicht in einen Raum voller Möglichkeiten, sondern schwebt in einem bildlich hübschen, visuell effektvollen, aber unbestimmten Etwas. In dieser Ausstellung erleben wir das Schweben und Scheitern nicht als spannungsgeladenes „Dazwischen“, wie es der Titel verspricht, sondern als ein Spiel mit Assoziationen. Darum auch steht die Bleikammer hier in keinerlei Zusammenhang mit dem Gefängnis, aus dem Casanova entkam und damit seinen Ruhm begründete, sondern als Schutzraum für – nicht jugendfreie – Bilder.


© DiePresse.com