Albertina: Personale zu Heinrich Kühns
"vollkommener Fotografie"
Malerei unter der Linse
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Malerische Fotografie: Kühns "Frauentorso im Sonnenlicht", um 1920.
Foto: Estate
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Von Brigitte
Borchhardt-Birbaumer
Wie nahe
einander um die vorletzte Jahrhundertwende Malerei und Fotografie kamen,
zeigt die Ausstellung "Heinrich Kühn. Die vollkommene Fotografie" in
der Albertina. Nicht von Ungefähr ist der berühmteste deutsche
"Pikturalist", der ab 1888 in Innsbruck lebte, in die Propter Homines
Halle eingezogen, wo Dürer, Munch und Alt präsentiert wurden.
Bei aller Liebe zur Technik, die sogar die Erfindung von Linsen und
Fotoapparaten sowie chemischen Verfahren mit sich brachte, ging es Kühn
(1866–1944) vor allem um eins: die Fotografie als Kunst zu etablieren.
Am Glauben, dass dies durch Nähe zu Grafik und Malerei vor sich geht,
hielt er in der Zeit der "Neuen Sachlichkeit" fest. Die langjährige
Freundschaft mit dem amerikanischen Pikturalisten Alfred Stieglitz
zerbrach aber nach 30 Jahren an Kühns konservativer Haltung, die sich
auch politisch bemerkbar machte.
Erfolglos beworben
Der in Dresden Geborene erlernte während eines nicht abgeschlossenen
Medizinstudiums mikroskopische Fotografie, aus der er später Methoden zu
tele- und stereoskopischen Aufnahmen weiterentwickelte und patriotisch
dem Militär im Ersten Weltkrieg überließ. Als Amateurfotograf begann er
mit hochalpinen pittoresken Ausschnitten, bald danach gelang es ihm, mit
Landschaftsausschnitten die Grenze zur bildenden Kunst des
Impressionismus zu überwinden.
Nach seiner Aufnahme in den Wiener Camera-Club folgte die
Zusammenarbeit mit Hugo Henneberg und Hans Watzek. Viktor Spitzer
knüpfte Kontakte zur Secession; und neben dem Hagenbund wurde Carl Molls
Galerie Miethke Mittelpunkt für die in Künstlerkreisen verehrte
Fotoavantgarde um 1900.
1904 lernte Kühn Stieglitz kennen, 1907 kam auch der für sein
"Synographie"-Verfahren der Helldunkelkontraste vorbildliche Edward
Steichen nach Bayern und Tirol; 1906 hatte Kühn seine erste Ausstellung
in New York, 1911 ist er in Stieglitz’ "Camera-Work" abgebildet.
Als das Vermögen seines Vaters verloren ist, bewirbt er sich auch in
der Kriegszeit mehrmals für Professuren, scheitert aber; in Innsbruck
hat er kurz eine private Fotoschule. Gewerblich zu arbeiten widersprach
seinem perfektionistischen Künstlerethos. So meldete er Patente an,
entwickelte die Kühn-Stegemann-Kamera und die Kühn-Anchromat Linse, die
weichzeichnende Unschärfe ermöglicht und von Rodenstock bis in die
1990er verwendet wurde. Er ging mit Adalbert Defner in die
Postkartenproduktion und arbeitete als Mitherausgeber der Münchner
"Photographischen Rundschau", um die Familie zu ernähren.
Kuratorin Monika Faber führt vor, dass die Rückwärtsgewandtheit Kühns
ab 1920 zwar im malerischen Umriss, nicht aber in seiner der Avantgarde
nahen flachen Komposition und anhaltenden Experimentierfreude zu finden
ist. Auch das Pathos der Heimatfotografie, das durch Kühns Beitritt zur
NSDAP zu erwarten wäre, haben seine Familienporträts in hügeliger
Landschaft nicht.
Ausstellung
Heinrich Kühn: Die vollkommene Fotografie
Monika
Faber (Kuratorin)
Albertina
bis 29. August
Printausgabe vom Freitag, 18. Juni 2010
Online
seit: Donnerstag, 17. Juni 2010 17:13:00
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