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Kunstberichte
Kunsthistorisches Museum Wien: Eine Bilanz über das erste Jahr der Sabine Haag als Direktorin des Hauses

Kunst im Bahnhof und im Grünen

Konsequente Vorkämpferin für ein offenes Museum: KHM-Direktorin Sabine Haag. Foto: apa/Herbert Pfarrhofer

Konsequente Vorkämpferin für ein offenes Museum: KHM-Direktorin Sabine Haag. Foto: apa/Herbert Pfarrhofer

Von Christoph Irrgeher und Judith Schmitzberger

Aufzählung Sabine Haag hat neue Gelder für das KHM beschafft.
Aufzählung Gebracht hat sie dem Haus Öffnung und neue Themen.
Aufzählung Die internationale Positionierung kommt zu kurz.

Wien. Unterm Seipel hätt’s das nicht gegeben: Mitten in einer Wiener Bahnhofshalle prangt Bruegels "Bauernhochzeit". Mit einem Mann daneben, der allfällige Fragen beantwortet. Da, weist er auf eine Stelle der Papp-Reproduktion, finde sich ein Symbol für Fruchtbarkeit. Und an jenem Detail erkenne man den Wohlstand des Bauern.

Verantwortlich für diese volksnahe Lehrstunde im Vorjahr: Sabine Haag. Damit setzte die neue Direktorin des Kunsthistorischen Museums (KHM) nur konsequent um, was sie bereits bei ihrem Einstand Anfang 2009 verkündet hatte – "Öffnen und Eröffnen sollen das Grundthema meiner Arbeit sein." Anders gesagt: Die Normalverbraucher sollten der Kunst gewonnen werden. Und das, nota bene, nicht mit goldglänzenden Blockbuster-Ausstellungen, wie sie in der Ära von Vorgänger Wilfried Seipel Usus waren. Weg vom Museum als Ort für Kunst-Pilgerfahrten hin zur offenen Kunstbegegnung.

Ein Jahr nach Dienstantritt darf man der gebürtigen Vorarlbergerin nun Rosen streuen – wenn auch mit einigen Dornen. Denn die Kunstkammer-Leiterin, die Kulturministerin Claudia Schmied zur allgemeinen Verblüffung ins hohe Amt hievte, konnte bis heute einige Erfolge verbuchen – ihr Kurs ist aber auch kritisch zu sehen und weist in einigen Bereichen noch Spielraum nach oben auf. Vor allem, was das Image des KHM betrifft.

Da zeugte es etwa nicht unbedingt von Fingerspitzengefühl, dass das altehrwürdige Kulturinstitut just mit einer Partnerschaftsagentur eine Kooperation einging. Und da geriet auch der Start der geplantermaßen "leichtfüßigen" Ausstellungsreihe "Intermezzo" ungeschickt: Trotz üppiger Sujets ("...sinnlich, weiblich, flämisch") konstatierten Kritiker mangelnde Substanz. Aber auch schwerwiegendere Vorwürfe wurden laut: Unter Haag, sagen manche, vernachlässige das KHM seine Auslands-Kontakte – und würde aus dem internationalen Blick verschwinden, gäbe es mit Vermeers "Malkunst" nicht eine spektakuläre Restitutions-Debatte.

Greifbare Details statt großer Blockbuster

Vermeer ist allerdings auch das Stichwort für eine Haag’sche Leistung: Die gleichnamige Schau zur "Malkunst" hebt den Wissensstand zum umfehdeten Kunstwerk anschaulich-pädagogisch. Haag lenkt den Fokus damit auf bestimmte Werke, holt wichtige Objekte aus den Depots, stellt Zusammenhänge her und weiß diese auch ihrem Publikum zu vermitteln. Die Schau kommt allerdings ohne internationale Leihgabe aus – zieht sich damit vom weltweiten Museumsmarkt zurück.

Auch "Karl der Kühne" ist kein Thema für die breite Masse. Haag punktete hier mit Kontext und Vermittlung. Nicht das Volk möge zu Bildung pilgern, sondern Bildung wird an den Menschen herangetragen – ein erfrischend unelitärer Ansatz. Die Linie, statt auf Blockbuster auf Details zu setzen, ist zugleich Chance und Risiko. Langfristig ist das eine ohne das andere kaum erfolgversprechend.

Für Besucher erfreulich: die Jahreskartenaktion und der freie Eintritt für Jugendliche. Aktionen wie "Schule schaut Kunst" sprechen gezielt junge Besucher an.

Ein wichtiger langfristiger Schritt ist Haag mit der Beschaffung neuer Gelder für das KHM gelungen. Ein regensicheres Depot auf der grünen Wiese war dringend nötig, ist aber eine interne Investition. Die momentan geschlossene Kunstkammer bleibt dies weiter, Geld für die Renovierung ist jedoch gesichert. Dass die Schätze dieser Sammlung dem Publikum bis zur sicher sensationellen Wiedereröffnung in zwei, drei Jahren vorenthalten werden, ist dabei nicht ideal. Räume für eine Zwischenlösung gäbe es im Haupthaus zur Genüge. Es muss ja nicht die Saliera-Vitrine sein.

Das Kunsthistorische Museum

Größe zeigt das Kunsthistorische Museum seit jeher: Hier wurden 1891 kaiserliche Sammlungen vereint. Die Gemäldegalerie geht bis auf das 17. Jahrhundert zurück; die ägyptische Sammlung entstand aus Ankäufen, Schenkungen und Grabungen im 19. und 20. Jahrhundert. Unter den exquisiten Objekten der Kunstkammer findet sich die berüchtigte Saliera – deren Raub und Wiederbeschaffung dem Museum in der Ära Seipel Negativ-Schlagzeilen sicherte. Getadelt wurde das KHM unter dem Langzeitdirektor (1990-2008) aber auch durch den Rechnungshof, der "gravierende Mängel" ortete.

Vorreiterrolle hatte das KHM bei der Ausgliederung der Bundesmuseen: Schon 1999 erlangte es die Vollrechtsfähigkeit. Durch die Angliederung des Völkerkunde- und Theatermuseums hinterließ Seipel seiner Nachfolgerin schließlich ein veritables Kunst-Imperium. Dieses wurde im Vorjahr von 1,14 Millionen Besuchern frequentiert, 513.911 waren im Haupthaus. Der Staat subventioniert den KHM-Verbund heuer mit rund 25,5 Millionen Euro.

Printausgabe vom Donnerstag, 18. März 2010
Online seit: Mittwoch, 17. März 2010 19:11:00

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