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Der Wahnsinn des Alltäglichen

Der Zeichner Norbert Trummer und der Schriftsteller Franzobel arbeiten gern gemeinsam: Das Ergebnis sind Bücher zum Lesen und Schauen.

TT: Sie interessieren sich offensichtlich für dieselben Themen. Das Ergebnis sind Bücher zum Lesen und Schauen. Wie funktioniert so etwas?
Franzobel: Unser jüngstes Buch "Austrian Psycho" basiert auf einer Idee des Kunstrats Mürzzuschlag, der die Arbeit von Norbert Trummer gemeinsam mit Bodo Hell gekannt hat und sich etwas Ähnliches mit mir gewünscht hat. Ich bin prinzipiell offen für jegliche Experimente, ich mag die Zusammenarbeit mit anderen, bin neugierig, was auf diese Weise entsteht.
TT: Ein Teil der Zeichnungen für "Austrian Psycho" sind nun im Kunstpavillon zu sehen. Sie sind zu Stillleben gepuzzelte Momentaufnahmen, erzählen aber keine wirkliche Geschichte, sind aber auch keine Illustrationen zum Text Franzobels.
Trummer: Franzobel und ich haben zur selben Zeit am selben Ort recherchiert, jeder auf seine Weise. Meine Buntstiftzeichnungen sind direkt vor Ort entstanden, zeigen Fundstücke der Realität aus der Natur, von Straßen, aus Lokalen. Besonders wichtig ist mir das Detail, das kleine Format, der sehr persönliche Zugang.
Franzobel: Der Norbert sieht sehr viele Dinge durch sein Sitzen und Schauen, die ich gar nicht wahrnehme. Ich bin viel mehr geschichtensüchtig, wobei Orte und Stimmungen wesentliche Anreger sein können.
TT: Was "Austrian Psycho" von anderen Büchern unterscheidet, ist die Tatsache, dass hier das Bild nicht dem Text als rein illustrierendes Element untergeordnet, sondern diesem gleich gestellt ist.
Trummer: Unsere Arbeiten passieren auf einer pa-
rallelen Ebene, ergänzen sich ideal, sind aber etwas völlig anderes. Gleich ist nur der Spielort.
TT: Sie haben am Donnerstag aus "Austrian Psycho" gelesen. Worum geht es hier?
Franzobel: Es ist eine rabiate Geschichte. Von der Grundgeschichte her ist es die Fortsetzung vom "Hödlmoser" Reinhard P. Grubers, der Ende der sechziger Jahre so eine Art Heimatroman geschrieben hat. Mir war aber auch wichtig, Elemente in den Text einzubeziehen, die in der nicht-Mundart-Literatur normalerweise nicht vorkommen. Thematisiert wird im konkreten Fall die Situation eines sozial vereinzelten Menschen, der kurz vor dem Amoklauf steht.
TT: Die Krimiliteratur erlebt derzeit einen Boom. Warum?
Franzobel: Zu "Austrian Psycho" habe ich mich vom amerikanischen Trash-Roman inspirieren lassen. Mit drastischen Geschichten hat man am ehesten die Chance, an die Leute heranzukommen. Trotz der Drastik meiner Geschichten kommt bei mir aber das Lachen nie zu kurz. Meine Geschichten sind ohnehin meist jenseits von allem. Wenn ich zu schreiben beginne, habe ich primär immer eine liebe kleine Geschichte im Kopf, die mir während des Schreiben aber entgleitet. Die Alltagsnormalität mündet bei mir fast immer in einem gewissen Wahnsinn. Das passiert mir eher, ist keine Strategie.
TT: Gibt es weitere gemeinsame Buchprojekte?
Franzobel: Ja und zwar eines, das vor einem Jahr in Innsbruck entstanden ist. Damals haben wir zehn Tage den Zirkus beobachtet. Die Geschichte ist allerdings noch nicht geschrieben. Geplant sind auch Projekte in Mexiko und Gugging. Beides gute Orte für gute Bilder und gute Geschichten.
TT: Nächste Woche beginnt in Klagenfurt wieder das große Wettlesen. Sie haben 1995 den Bachmann-Preis gewonnen. Hat er Ihnen genützt?
Franzobel: Geschadet hat es mir sicher nicht. Der Bachmann-Preis ist bei mir gerade zur richtigen Zeit gekommen. Ich war sozusagen reif dafür.
TT: Für Sie ist das Klagenfurter Wettlesen also kein Anachronismus.
Franzobel: Nein, ich glaube es ist gut für die Literatur und die Literaten. Wie bekommt man sonst so eine große Öffentlichkeit, wenn auch mit der Gefahr, als Literat zerstört zu werden.
2002-06-21 14:26:52