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18.10.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung | ||
Wurm: Wenn der Alltag ins Museum kracht | ||
VON ALMUTH SPIEGLER | ||
Interview. Erwin Wurm über seine Kritik der Kleingeist-Idylle, ab Donnerstag im Museum moderner Kunst. | ||
Ein gigantisches Großraumbüro, schwirrend von powermobilen Assistenten und devot verhuschten Arbeitern. Ein feudales Schloss als repräsentative Residenz, wie es sich die deutschen Malerfürsten so gerne leisten. Exzesse, Orgien und sonstige modische Eitelkeiten. Das, zumindest, würde man sich erwarten im Umfeld von Österreichs international zurzeit wohl erfolgreichstem bildenden Künstler, Erwin Wurm, dessen "One Minute Sculptures" 2003 die "Red Hot Chili Peppers" zu ihrem Video "Can't Stop" inspirierten - und dessen offensiv witzige Skulpturen wie ein völlig verfetteter Alfa Romeo, gierige Sammlerherzen rund um die Welt trotz Preisen bis zu 250.000 € erobern. Doch nichts von derlei Attitüden. Der 1954 in Bruck
geborene und in Graz aufgewachsene Künstler und Angewandte-Professor
ist fast schon beängstigend am Boden geblieben. Sein Atelier muss man
irgendwo im zweiten Bezirk suchen, versteckt im dunklen Eingangsschlurf
neben einem Taschengeschäft. Gerade einmal zwei Mitarbeiter traf man in
dem kargen mittelgroßen Raum eine Woche vor Eröffnung der bisher
größten Wurm-Retrospektive diesen Donnerstag im Museum moderner Kunst. Ein Schloss? Eine Bürde! Und das Schloss in Niederösterreich, das Wurm sich tatsächlich gerade gekauft hat und von dem die Szene so neidisch tuschelt, das sei mehr der Platznot und den hohen Wiener Immobilienpreisen entsprungen als einem Repräsentationsbedürfnis. Seufzt der Künstler. "Hören Sie mir auf mit diesem Renaissance-Schlösschen. Das ist nur eine Bürde. Wichtig an diesem Areal, das ich vom Stift Altenburg kaufte, waren die 2000 m2 Hallenfläche im ehemaligen Meierhof." Ein unprätentiöses Gespräch, unterbrochen nur vom
lauten Nachmittagstratsch an den Nebentischen. Nicht etwa beim
Nobelitaliener, sondern im geschmacksresistenten Café ums Eck, einem
echten "Hausfrauencafé", meint Wurm schmunzelnd. Er scheint das zu
mögen. Dabei ist es gerade diese Kleingeist-Idylle, die er in vielen
seiner Skulpturen angreift. Eine Kartoffel, die surreal-monströs
horizontal aus der Museumswand zu wuchern scheint. Täuschend echte
Wurstsemmel-Skulpturen, die sich durch heruntergelassene Mini-Gangways
als "Unbekannte Fleischerei Objekte" outen. Der verfettete
Luxusschlitten als provinzielles Sehnsuchtsmodell, das Einfamilienhaus,
das er gestern auf das Dach des Mumok hat krachen lassen. Horror durch die Hintertür Der fast platte Witz von Wurms Arbeiten dient als Verführung, so versuche er, die Leute überhaupt erst heranzuholen, erklärt der Künstler. "In Wahrheit aber ist es nicht lustig, sondern bösartig, tauchen von hinten herum die verschiedensten Themen auf." Viele von diesen sind Reminiszenzen an das kleinbürgerliche Umfeld, in dem er aufgewachsen ist, sagt Wurm. Seine mittlerweile verstorbenen Eltern waren selbst glücklich "in so einem Häusl", erzählt er. "Aber wenn diese Idylle im Kleingeist zur Epidemie wird, kippt sie ins Grässliche." Wurm scheint fast physisch unter der
"Vervorstädterung des Landes" zu leiden, die er aus den USA schon kennt
- "nur dort ist sie vielfältiger". Der in Österreich vorherrschende
Fertigteilhaus-Geschmack ist ihm ein Gräuel. "Dabei gibt es doch auch
gute Fertigteilhäuser und gute Architekten", klagt er. Für maßgeblich
beteiligt an der Verbreitung dieses Geschmacks hält er das Fernsehen:
"Bei ,Derrick' zum Beispiel hat man immer Wohnungen von ausgesuchter
Hässlichkeit gesehen. Und die Banken haben dann für jeden Einzelnen die
Verwirklichung des Häuslbauer-Traums ermöglicht." Fast liegt einem schon wieder Wurms Schloss auf der
vorwurfsvollen Zunge - aber nein. Er wolle diese Praxis gar nicht
werten, beschwichtigt Wurm. Nur zeigen, warum es "zu diesen
Grässlichkeiten" komme: die Baumärkte, die das Material so günstig
anbieten. Die Ö-Norm, die völlig daneben ist. Der Widmungsplan, der
alles in Reih' und Glied ordnet. Und dann die Baumeister, die diese
Vorgaben erfüllen. "Was mich stört, ist diese kunst- und
wissenschaftsfeindliche Haltung", ärgert sich Wurm. "Innovation hat es
nicht leicht in unserem Land." Wie aber hievte er sich einst selbst heraus aus dem
Kleinbürgerlichen? Seine Eltern hatten mit Kunst nichts zu tun, sagt
er. Woher sein Interesse also kam, könne er gar nicht sagen. Werner
Schwab jedenfalls sei ein Jugendfreund von ihm gewesen, man habe
diskutiert, sich selbst fortgebildet. Seine "Einstiegsdroge" mit 14
Jahren, müsse er gestehen, sei allerdings der Fantastische Realismus
gewesen. Nichts lieber hätte er damals getan, als bei Ernst Fuchs
Malerei zu studieren. Geworden ist es dann Konzept-Theoretiker Bazon
Brock auf der Wiener Angewandten. Und Wilfried Skreiner entdeckte
schließlich den trotzig den Skulpturenbegriff hinterfragenden jungen
Künstler. "Wende hat mich wahnsinnig aufgeregt" Den Mund hat Wurm sich nie gerne verbieten lassen. Der Künstler als politischer Mensch, hier ist er noch zu finden. Auf die schwarzblaue Wende 2000 reagierte Wurm mit Postkarten, auf denen Sätze standen wie: Österreich, ich verachte dich. Österreich, ich schätze dich. Österreich, wo gehst du hin? "Ich habe einfach meine Sorge kundgetan", sagt Wurm. "Diese Koalition hat mich wahnsinnig aufgeregt - und regt mich auch heute auf, es ist ja schließlich noch nicht ausgestanden." Arbeiten, die zu stark auf Tagespolitik Bezug
nehmen, würden sich allerdings schnell überholen und so ihre
Legitimität verlieren, hat Wurm gelernt. Heute hält er es mit
subversiveren Taktiken: Für eine US-Galerie, in der man nicht rauchen
durfte, entwickelte er etwa das für die Wiener Ausstellung jetzt
titelgebende Objekt "Keep a cool head": ein Kühlschrank mit Kopfloch,
über dem handschriftlich die Erlaubnis steht, im Inneren Rauchen und
Biertrinken zu dürfen. |
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