Keine Rose ohne Dornen
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Die Bewohner von Leymebamba haben Elisabeth Gehrer in guter Erinnerung.
Im Mai 1998 legte sie in dem Amazonasdorf gemeinsam mit dem
Anthropologen Horst Seidler und den beiden Dorfvertretern Virgilio
Escobedo und Doña Petronila Ríos Tafur den Grundstein für ein
Mumienmuseum. Die österreichische Politikerin muss einen nachhaltigen
Eindruck hinterlassen haben. Denn fünf Jahre später kommt sie wieder,
zur Einweihung der Casa de Cultura Elisabeth Gehrer.
Im heimatlichen Vorarlberg war die Gruppe der Gehrer-Fans bei den
letzten Nationalratswahlen kleiner als in Leymebamba. Gerade einmal 63
Personen gaben der Erstgereihten der Landesliste die Vorzugsstimme.
Wenige Tage nach der Wahl erklärte die langgediente Ministerin ihren
Rückzug aus der Politik. Ihre bildungspolitischen Irrtümer trugen mit
zum Absturz der ÖVP bei. Auch in der Museumspolitik wird ihr Name nicht
mit Modernisierung, sondern mit biederem Konservativismus verknüpft
bleiben. Und das, obwohl die österreichischen Museen in den Jahren
ihrer Amtszeit einen Epochenbruch erlebten.
Mit dem 1998 beschlossenen Gesetz über die „Rückgabe von
Kunstgegenständen aus den Österreichischen Bundesmuseen und
Sammlungen“, kurz Kunstrestitutionsgesetz genannt, bekamen jüdische
Exilanten eine rechtliche Grundlage, um an ihr von den
Nationalsozialisten geraubtes Hab und Gut heranzukommen. Nicht nur die
aus der Nazizeit stammenden Bestände wurden unter die Lupe genommen,
sondern auch die dubiosen Sammlungsbestände aus der Zeit nach 1945, in
der aufgrund des Ausfuhrverbotsgesetzes vielen Exilanten ihre
Sammlungen abgeluchst wurden, indem man ihnen „großzügig“ einige Stücke
aushändigte.
Über 6000 Kunstgegenstände wurden inzwischen restituiert, in Erinnerung
bleiben wird aber die „Goldene Adele“ von Gustav Klimt, die im Jänner
dieses Jahres vom Belvedere an die Erben der dargestellten Adele
Bloch-Bauer ausgehändigt wurde. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit
erklärte sich Gehrer zu diesem Schritt bereit. Ihr richtiger
Standpunkt: „Ich kann nicht Vermögenswerte, die den Österreicherinnen
und Österreichern gehören, nach Gutdünken zurückgeben.“ Statt die
Freigabe der Bilder aber als Geste konsequenter Restitutionspolitik zu
propagieren, setzte Gehrer eine Miene auf, als hätte sie gerade eine
Zahnwurzelbehandlung hinter sich. Die 1994 in der großen Koalition
unter Bundeskanzler Franz Vranitzky zur Bundesministerin für Unterricht
und kulturelle Angelegenheiten ernannte Vorarlbergerin machte einen für
eine Kunstministerin fatalen Fehler: Sie verstand es nicht, ihre
Leistungen in positive Bilder zu übersetzen.
1998 wurde im Parlament das Museumsgesetz beschlossen, das die
Bundesmuseen aus der kameralistischen Verwaltung durch das Ministerium
herauslöste und ihnen inhaltliche und organisatorische
Selbstständigkeit einräumte. „Ohne diesen Schritt in die
Selbstständigkeit hätte es nicht den Anschluss der Bundesmuseen an die
großen internationalen Museen gegeben“, sagt Albertina-Direktor Klaus
Albrecht Schröder, „seither spielt die Politik in unserem Programm, in
der Auswahl der Ankäufe und der Mitarbeiter keine Rolle mehr. Die
Vollrechtsfähigkeit hat zu einer Selbstentmächtigung der Politik
geführt.“
Seine Kollegin Gabriele Zuna-Kratky vom Technischen Museum beschreibt
das realitätsnahe Klischee der Museen vor der neuen Zeit so:
„Verstaubte Vitrinen, in denen ein paar tote Fliegen liegen.
Herumschlurfende Beamte, die vierzig Jahre auf ihre Pensionierung
warten und deren einziger Auftrag lautet: ‚Besucher dürfen den
Museumsbetrieb nicht stören!‘“ Das Technische Museum hatte 1992, vor
seiner renovierungsbedingten Schließung, 170.000 Besucher – genauso
viele wie im Eröffnungsjahr 1918; heute sind es doppelt so viele. Die
von Schröders Vorgänger Konrad Oberhuber kuratierte Ausstellung
„Humanismus in Bologna“ (1988) wurde von Kunsthistorikern geschätzt;
sie hatte gerade einmal 3000 Besucher. Allein in der letzten Langen
Nacht der Museen kamen mehr als viermal so viele Menschen in die
Grafische Sammlung.
„Wir haben hier in Dresden das unflexibelste und statischste Modell,
das man sich überhaupt vorstellen kann“, sagt Martin Roth,
Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die von Größe
und Geschichte her mit dem Kunsthistorischen Museum vergleichbar sind.
Er findet die österreichische Situation dank des Museumsgesetzes um
einiges besser. „Wir sind nichts anderes als eine ausführende Behörde.“
Roth ist für seine Fähigkeit bekannt, Sponsorengelder aufzutreiben. Er
kann damit aber nicht wie seine österreichischen Kollegen mehr Leute
einstellen und Ausstellungen finanzieren, sondern muss die
Mehreinnahmen an das Ministerium abgeben. „Alles, was ich mache, um das
Haus lebendig zu halten, ist immer am Rande der Legalität.“ Gehrer
indes gelang es nicht, den Schritt in die Vollrechtsfähigkeit als
Fortschritt zu verkaufen. Mit ihrer patzigen und halsstarrigen Art
passte sie nicht in die flexible Dienstleistungsgesellschaft, deren
Geist ihre Regierung eigentlich propagierte. „Von diesen ständigen
Analysen der Experten und Journalisten halte ich nichts“, wischte sie
in einem Presse-Interview kritische Einwände vom Tisch.
Auch wurde das Museumsgesetz nie als Lex Gehrer gesehen. Es galt von
Anfang an als von ihrem Duzfreund Wilfried Seipel, dem Direktor des
Kunsthistorischen Museums, verfasst. Die Nähe zu dem sich gierig andere
Museen einverleibenden ÖVP-Wahlhelfer – er übernahm das Theater- und
das Völkerkundemuseum – war für Gehrers öffentliche Wahrnehmung fatal.
Der wenig geschmackssichere Museumsmann, der auch im letzten Wahlkampf
mit viel Engagement den schwarzen Prügelknaben spielte, und die spießig
wirkende Ministerin: Diese Kombination gab kein Bild weltoffener
Urbanität ab. Dabei wurde unter Gehrer auch bei heiklen Projekten wie
den Ausstellungen von Otto Muehl und Günter Brus im Mak und in der
Albertina nicht politisch interveniert. Ihr Vorgänger Erhard Busek
dagegen rief einst zum Boykott des Thomas-Bernhard-Stücks „Heldenplatz“
auf – und gilt dennoch als Vorzeigeliberaler.
Nach dem Diebstahl der Skulptur Saliera des Renaissancemeisters
Benvenuto Cellini lehnte Gehrer erwartungsgemäß Seipels
Rücktrittsangebot ab. „Die Saliera war ausreichend gesichert“, nahm sie
den bestverdienenden Kulturmanager Österreichs (Jahresgage 246.000
Euro), der auch nicht davor zurückschreckt, seine Jahresbilanz mit
einem schmuddeligen Lipizzanermuseum aufzubessern, in Schutz. Keiner
seiner Kollegen verstand es so geschickt, die scheinbare
Entpolitisierung der Museen in eigenen politischen Einfluss umzumünzen.
Auch als der Rechnungshof Seipels Management harsch kritisierte, war
von Distanz keine Spur. Diese persönliche Loyalität interessierte
niemanden – außer Seipel; er wird bei Vertragsende 2008 insgesamt 18
Jahre den Museumskaiser gespielt haben. In Erinnerung wird jenes Foto
bleiben, das Gehrer und Seipel nach Wiederauffindung der Saliera zeigt,
glücksstrahlend die wertvolle Skulptur in die Kamera haltend wie einen
gemeinsam erlegten Hasen.
Zum Diebstahl wäre es gar nicht gekommen, wenn Seipel nicht die
Kunstkammer geschlossen hätte, in der die Saliera seit jeher
ausgestellt war. Erst danach wanderte das Salzfass in die
Gemäldegalerie. Der Grund dafür ist das fehlende Geld für die
Renovierung. „Menschenskinder, das ist ja wahnsinnig!“, wundert sich
Martin Roth, dessen Grünes Gewölbe genannte Schatzkammer unlängst nach
einem 45 Millionen Euro teuren Umbau wieder eröffnet wurde. „Das ist
eines der Herzstücke der österreichischen Geschichte, das muss doch
zugänglich sein!“ Seipel sucht mit lyrischen Worten – „Wunder brauchen
Zeit. Etwas weniger mit Ihrer Hilfe“ – nach privaten Geldgebern für den
Umbau.
Es ist toll, was in Österreich – auch in den Bundeshauptstädten – in
Museen investiert wurde“, sagt der Museumskonsulent Dieter Bogner. In
der Ära Gehrer wurden im Rahmen der noch in Schillingzeiten sogenannten
„Museumsmilliarde“ rund 270 Millionen Euro investiert. Auch das
Museumsquartier mit einem Gesamtaufwand von rund hundert Millionen Euro
wurde fertiggestellt. Zusätzlich standen zwischen 2001 und 2003 für die
Neueröffnung der Albertina, die Adaptierung des Palais Mollard, die
Restaurierung der Sandsteinfassaden der beiden Ringstraßen-Museen und
den 2007 abzuschließenden Umbau des Museums für Völkerkunde sechzig
Millionen Euro zur Verfügung. Trotz dieser beträchtlichen Mehrausgaben
aus dem Budget eines Nulldefizit-Finanzministers bliebe, so Bogner, ein
schaler Nachgeschmack übrig. Besonders unangenehm stößt ihm das von
Museumsdirektoren inbrünstig intonierte Wort „Selbstständigkeit“ auf.
„Die Bundesmuseen sind eben nicht in die Selbstständigkeit entlassen
worden, sondern gehören der Bevölkerung.“
Durch die Ausgliederung sind die Einkünfte der Museen aus
Eintrittsgeldern, Sponsoring, Shops und Vermietungen stark gestiegen.
Anlässlich des jährlichen Kulturberichts präsentiert Gehrer die
wirtschaftlichen Zahlen stets als Beweis für den Erfolg des
Museumsgesetzes; damit ist für sie der Fall erledigt. „Es weiß niemand,
was von ihm verlangt wird – außer Quote“, kritisiert Bogner. „Über die
schweren strukturellen Mängel wird nicht diskutiert“, sagt
Mumok-Direktor Edelbert Köb.
So leistet sich die Republik mit der Österreichischen Galerie Belvedere
und dem Leopold Museum zwei miteinander konkurrierende Museen für
österreichische Kunst. Das erst spät in die MQ-Planung aufgenommene
Museum des Sammlers Rudolf Leopold verfügt über eine größere
Ausstellungsfläche als das Mumok, das aus Platznot nicht in der Lage
ist, seine Sammlung adäquat zu präsentieren. Fehlende Ankaufbudgets
verhindern Neuerwerbungen, die für den Leihverkehr im internationalen
Museumsbusiness notwendig wären. Und alle wollen Gegenwartskunst; die
ist relativ günstig ausstellbar und hat nicht den Makel des
Museal-Verstaubten. „Die Museumssituation bedarf keiner Einmischung in
das konkrete Geschäft“, sagt Bogner. „Es fehlt ein strategisches
Management. Der Eigentümer sollte ein langfristiges, deklariertes Ziel
formulieren.“ Gehrer zeigte sich dieser Kritik gegenüber immun: „Ich
verstehe nicht, woher die Sehnsucht nach einer zentralen Steuerung der
Museumslandschaft kommt.“
Die arme Gehrer“, verteidigt Seipel seine Chefin. „Sie hat ein
Mammutressort, muss 120.000 Lehrer aus ihrem Budget bezahlen; 94
Prozent sind Personalkosten. Da bleibt nicht viel Spielraum für
Umverteilung.“ Tatsächlich ist der Museumsposten ein Krümel im
Vergleich zu den Budgethämmern Universität und Schule. Allein der vom
Ministerium an die Universität Wien überwiesene Sockelbetrag betrug
2004 mehr als das Vierfache der Geldmittel für alle Museen zusammen.
Die ständigen Geldwünsche der Museumsdirektoren konnten Gehrer nicht
aus der Fassung bringen: „In Österreich jammert man immer
prophylaktisch.“
Im Museumsgesetz steht auch ein Geldbetrag, nämlich genau 68.748.502
Euro. Das ist die jährliche Basisabgeltung für alle Museen und die
Nationalbibliothek zusammen. Steigende Personalkosten für nach
Beamtenschema bezahlte Mitarbeiter, Instandhaltungskosten und der
Mietzins für die großen Gebäude zehren am Budget für die
wissenschaftliche Arbeit und die Ausstellungen. „Die Summe wurde wie
beim Würfeln festgelegt“, sagt Schröder von der Albertina. „Da es keine
Kostenwahrheit gab, hat man gesagt: ‚Was habt ihr in dem Jahr gerade
gebraucht? Das kriegt ihr die nächsten zehn Jahre.’“
Die Albertina bekommt vergleichsweise wenig, nämlich 5,7 Millionen im
Jahr. Durch Sponsoren schuf Schröder neue Ausstellungsflächen,
renovierte die Prunkräume der Albertina und baute nach Plänen von Hans
Hollein ein neues Wahrzeichen des Museums; das Vordach in Form eines
Flügels heißt nach dem Sponsor Soravia-Wing. Wie in amerikanischen
Museen danken goldene Tafeln den edlen Spendern. „Für die Steuerzahler
gibt es keine Tafel“, ärgert sich Dieter Bogner, „der Wing ist
symptomatisch; er verdeckt die Sache, um die es eigentlich geht – das
Museum. In der Bevölkerung entsteht so der Eindruck, das zahlen eh
alles die Reichen.“ In der Folge entstünde eine Entfremdung zwischen
der Schickimicki-Museumswelt und dem zum Kartenkäufer degradierten
Volk. Von einer „prosecco-faschistischen Innenwelt“ spricht überspitzt
die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz. „Wir reden von einem
Staatsschatz, von einer gesellschaftlichen Identität, und das hat mit
der Politik und den Machtverhältnissen zu tun. Und da kann man nicht
sagen, wir überlassen das dem freien Spiel der wirtschaftlichen
Kräfte“, sagt Martin Roth.
In der Albertina äußert sich die Stärke des Museumsgesetzes: Ohne die
9,3 Millionen Euro, die das Museum etwa im Jahr 2004 zur Basisabgeltung
dazuverdiente, hätte es keine großen Ausstellungen gegeben. Die
Schwäche des Gesetzes liegt darin, dass Schröder aus dem Museum eine
Ausstellungsindustrie machen konnte, die, wie im Falle des unrechtmäßig
verliehenen Dürer-Aquarells, öffentliches Eigentum zur Gewinnsteigerung
einsetzt. Erst durch die „Feldhasen-Affäre“ wurden die Folgen der
Ausgliederung einer breiteren Öffentlichkeit bewusst. In diesem Fall
störte Gehrer die als Autonomie verkaufte Selbstherrlichkeit eines
Direktors; die Grafik durfte nicht in den Madrider Prado reisen. Martin
Roth, der in Dresden die längst verstaatlichten Familiensammlungen des
Albertina-Gründers Albert von Sachsen-Teschen betreut, propagiert ein
anderes Amtsverständnis als sein Wiener Kollege: „Wenn ein Haus beinahe
450 Jahre alt ist, fügen Sie sich demütig in eine lange Kette von
Vorgängern und Nachfolgern ein.“
Die Ministerin verzichtete darauf, sich in das Bild ihrer
profilierungsneurotischen Direktoren zu drängen. Diese noble
Zurückhaltung wurde als Schwäche interpretiert, nicht ohne sachlichen
Grund. So verlängerte sie etwa auch den Vertrag des Mak-Direktors Peter
Noever, obwohl der das neue Bundesmuseen-Gesetz höchst eigenwillig
interpretierte. Ausgestattet mit einer relativ hohen Pauschale von acht
Millionen Euro fuhr der große Befürworter der Ausgliederung das als
Kunsthalle für zeitgenössische Kunst missbrauchte Museum für Angewandte
Kunst auf einen Notbetrieb herunter; monatelang stehen die großen
Ausstellungshallen leer. 2004 lukrierte das Mak 262.000 Euro an
Eintrittsgeldern, die Albertina 3,5 Millionen. Nun werden auch die
stets frischen roten Rosen des Mak-Direktors im Büro der glücklosen
Ministerin verblühen.
nur mit schriftlicher Genehmigung der Falter Zeitschriften Gesellschaft m.b.H. gestattet.