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Keine Rose ohne Dornen

Im Vergleich zum Bildungsbereich waren die Bundesmuseen im Ministerium von Elisabeth Gehrer Nebensache. Obwohl sie eine blühende Museumslandschaft hinterlässt, steht ihr Name nicht für Aufbruch. Eine Bilanz.
 
Falter 44/2006 vom 1.11.2006
Ressort Kultur > Kulturpolitik
Autor Matthias Dusini


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Die Bewohner von Leymebamba haben Elisabeth Gehrer in guter Erinnerung. Im Mai 1998 legte sie in dem Amazonasdorf gemeinsam mit dem Anthropologen Horst Seidler und den beiden Dorfvertretern Virgilio Escobedo und Doña Petronila Ríos Tafur den Grundstein für ein Mumienmuseum. Die österreichische Politikerin muss einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben. Denn fünf Jahre später kommt sie wieder, zur Einweihung der Casa de Cultura Elisabeth Gehrer.
Im heimatlichen Vorarlberg war die Gruppe der Gehrer-Fans bei den letzten Nationalratswahlen kleiner als in Leymebamba. Gerade einmal 63 Personen gaben der Erstgereihten der Landesliste die Vorzugsstimme. Wenige Tage nach der Wahl erklärte die langgediente Ministerin ihren Rückzug aus der Politik. Ihre bildungspolitischen Irrtümer trugen mit zum Absturz der ÖVP bei. Auch in der Museumspolitik wird ihr Name nicht mit Modernisierung, sondern mit biederem Konservativismus verknüpft bleiben. Und das, obwohl die österreichischen Museen in den Jahren ihrer Amtszeit einen Epochenbruch erlebten.
Mit dem 1998 beschlossenen Gesetz über die „Rückgabe von Kunstgegenständen aus den Österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen“, kurz Kunstrestitutionsgesetz genannt, bekamen jüdische Exilanten eine rechtliche Grundlage, um an ihr von den Nationalsozialisten geraubtes Hab und Gut heranzukommen. Nicht nur die aus der Nazizeit stammenden Bestände wurden unter die Lupe genommen, sondern auch die dubiosen Sammlungsbestände aus der Zeit nach 1945, in der aufgrund des Ausfuhrverbotsgesetzes vielen Exilanten ihre Sammlungen abgeluchst wurden, indem man ihnen „großzügig“ einige Stücke aushändigte.
Über 6000 Kunstgegenstände wurden inzwischen restituiert, in Erinnerung bleiben wird aber die „Goldene Adele“ von Gustav Klimt, die im Jänner dieses Jahres vom Belvedere an die Erben der dargestellten Adele Bloch-Bauer ausgehändigt wurde. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit erklärte sich Gehrer zu diesem Schritt bereit. Ihr richtiger Standpunkt: „Ich kann nicht Vermögenswerte, die den Österreicherinnen und Österreichern gehören, nach Gutdünken zurückgeben.“ Statt die Freigabe der Bilder aber als Geste konsequenter Restitutionspolitik zu propagieren, setzte Gehrer eine Miene auf, als hätte sie gerade eine Zahnwurzelbehandlung hinter sich. Die 1994 in der großen Koalition unter Bundeskanzler Franz Vranitzky zur Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten ernannte Vorarlbergerin machte einen für eine Kunstministerin fatalen Fehler: Sie verstand es nicht, ihre Leistungen in positive Bilder zu übersetzen.
1998 wurde im Parlament das Museumsgesetz beschlossen, das die Bundesmuseen aus der kameralistischen Verwaltung durch das Ministerium herauslöste und ihnen inhaltliche und organisatorische Selbstständigkeit einräumte. „Ohne diesen Schritt in die Selbstständigkeit hätte es nicht den Anschluss der Bundesmuseen an die großen internationalen Museen gegeben“, sagt Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, „seither spielt die Politik in unserem Programm, in der Auswahl der Ankäufe und der Mitarbeiter keine Rolle mehr. Die Vollrechtsfähigkeit hat zu einer Selbstentmächtigung der Politik geführt.“
Seine Kollegin Gabriele Zuna-Kratky vom Technischen Museum beschreibt das realitätsnahe Klischee der Museen vor der neuen Zeit so: „Verstaubte Vitrinen, in denen ein paar tote Fliegen liegen. Herumschlurfende Beamte, die vierzig Jahre auf ihre Pensionierung warten und deren einziger Auftrag lautet: ‚Besucher dürfen den Museumsbetrieb nicht stören!‘“ Das Technische Museum hatte 1992, vor seiner renovierungsbedingten Schließung, 170.000 Besucher – genauso viele wie im Eröffnungsjahr 1918; heute sind es doppelt so viele. Die von Schröders Vorgänger Konrad Oberhuber kuratierte Ausstellung „Humanismus in Bologna“ (1988) wurde von Kunsthistorikern geschätzt; sie hatte gerade einmal 3000 Besucher. Allein in der letzten Langen Nacht der Museen kamen mehr als viermal so viele Menschen in die Grafische Sammlung.
„Wir haben hier in Dresden das unflexibelste und statischste Modell, das man sich überhaupt vorstellen kann“, sagt Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die von Größe und Geschichte her mit dem Kunsthistorischen Museum vergleichbar sind. Er findet die österreichische Situation dank des Museumsgesetzes um einiges besser. „Wir sind nichts anderes als eine ausführende Behörde.“ Roth ist für seine Fähigkeit bekannt, Sponsorengelder aufzutreiben. Er kann damit aber nicht wie seine österreichischen Kollegen mehr Leute einstellen und Ausstellungen finanzieren, sondern muss die Mehreinnahmen an das Ministerium abgeben. „Alles, was ich mache, um das Haus lebendig zu halten, ist immer am Rande der Legalität.“ Gehrer indes gelang es nicht, den Schritt in die Vollrechtsfähigkeit als Fortschritt zu verkaufen. Mit ihrer patzigen und halsstarrigen Art passte sie nicht in die flexible Dienstleistungsgesellschaft, deren Geist ihre Regierung eigentlich propagierte. „Von diesen ständigen Analysen der Experten und Journalisten halte ich nichts“, wischte sie in einem Presse-Interview kritische Einwände vom Tisch.
Auch wurde das Museumsgesetz nie als Lex Gehrer gesehen. Es galt von Anfang an als von ihrem Duzfreund Wilfried Seipel, dem Direktor des Kunsthistorischen Museums, verfasst. Die Nähe zu dem sich gierig andere Museen einverleibenden ÖVP-Wahlhelfer – er übernahm das Theater- und das Völkerkundemuseum – war für Gehrers öffentliche Wahrnehmung fatal. Der wenig geschmackssichere Museumsmann, der auch im letzten Wahlkampf mit viel Engagement den schwarzen Prügelknaben spielte, und die spießig wirkende Ministerin: Diese Kombination gab kein Bild weltoffener Urbanität ab. Dabei wurde unter Gehrer auch bei heiklen Projekten wie den Ausstellungen von Otto Muehl und Günter Brus im Mak und in der Albertina nicht politisch interveniert. Ihr Vorgänger Erhard Busek dagegen rief einst zum Boykott des Thomas-Bernhard-Stücks „Heldenplatz“ auf – und gilt dennoch als Vorzeigeliberaler.

Nach dem Diebstahl der Skulptur Saliera des Renaissancemeisters Benvenuto Cellini lehnte Gehrer erwartungsgemäß Seipels Rücktrittsangebot ab. „Die Saliera war ausreichend gesichert“, nahm sie den bestverdienenden Kulturmanager Österreichs (Jahresgage 246.000 Euro), der auch nicht davor zurückschreckt, seine Jahresbilanz mit einem schmuddeligen Lipizzanermuseum aufzubessern, in Schutz. Keiner seiner Kollegen verstand es so geschickt, die scheinbare Entpolitisierung der Museen in eigenen politischen Einfluss umzumünzen. Auch als der Rechnungshof Seipels Management harsch kritisierte, war von Distanz keine Spur. Diese persönliche Loyalität interessierte niemanden – außer Seipel; er wird bei Vertragsende 2008 insgesamt 18 Jahre den Museumskaiser gespielt haben. In Erinnerung wird jenes Foto bleiben, das Gehrer und Seipel nach Wiederauffindung der Saliera zeigt, glücksstrahlend die wertvolle Skulptur in die Kamera haltend wie einen gemeinsam erlegten Hasen.
Zum Diebstahl wäre es gar nicht gekommen, wenn Seipel nicht die Kunstkammer geschlossen hätte, in der die Saliera seit jeher ausgestellt war. Erst danach wanderte das Salzfass in die Gemäldegalerie. Der Grund dafür ist das fehlende Geld für die Renovierung. „Menschenskinder, das ist ja wahnsinnig!“, wundert sich Martin Roth, dessen Grünes Gewölbe genannte Schatzkammer unlängst nach einem 45 Millionen Euro teuren Umbau wieder eröffnet wurde. „Das ist eines der Herzstücke der österreichischen Geschichte, das muss doch zugänglich sein!“ Seipel sucht mit lyrischen Worten – „Wunder brauchen Zeit. Etwas weniger mit Ihrer Hilfe“ – nach privaten Geldgebern für den Umbau.
Es ist toll, was in Österreich – auch in den Bundeshauptstädten – in Museen investiert wurde“, sagt der Museumskonsulent Dieter Bogner. In der Ära Gehrer wurden im Rahmen der noch in Schillingzeiten sogenannten „Museumsmilliarde“ rund 270 Millionen Euro investiert. Auch das Museumsquartier mit einem Gesamtaufwand von rund hundert Millionen Euro wurde fertiggestellt. Zusätzlich standen zwischen 2001 und 2003 für die Neueröffnung der Albertina, die Adaptierung des Palais Mollard, die Restaurierung der Sandsteinfassaden der beiden Ringstraßen-Museen und den 2007 abzuschließenden Umbau des Museums für Völkerkunde sechzig Millionen Euro zur Verfügung. Trotz dieser beträchtlichen Mehrausgaben aus dem Budget eines Nulldefizit-Finanzministers bliebe, so Bogner, ein schaler Nachgeschmack übrig. Besonders unangenehm stößt ihm das von Museumsdirektoren inbrünstig intonierte Wort „Selbstständigkeit“ auf. „Die Bundesmuseen sind eben nicht in die Selbstständigkeit entlassen worden, sondern gehören der Bevölkerung.“
Durch die Ausgliederung sind die Einkünfte der Museen aus Eintrittsgeldern, Sponsoring, Shops und Vermietungen stark gestiegen. Anlässlich des jährlichen Kulturberichts präsentiert Gehrer die wirtschaftlichen Zahlen stets als Beweis für den Erfolg des Museumsgesetzes; damit ist für sie der Fall erledigt. „Es weiß niemand, was von ihm verlangt wird – außer Quote“, kritisiert Bogner. „Über die schweren strukturellen Mängel wird nicht diskutiert“, sagt Mumok-Direktor Edelbert Köb.
So leistet sich die Republik mit der Österreichischen Galerie Belvedere und dem Leopold Museum zwei miteinander konkurrierende Museen für österreichische Kunst. Das erst spät in die MQ-Planung aufgenommene Museum des Sammlers Rudolf Leopold verfügt über eine größere Ausstellungsfläche als das Mumok, das aus Platznot nicht in der Lage ist, seine Sammlung adäquat zu präsentieren. Fehlende Ankaufbudgets verhindern Neuerwerbungen, die für den Leihverkehr im internationalen Museumsbusiness notwendig wären. Und alle wollen Gegenwartskunst; die ist relativ günstig ausstellbar und hat nicht den Makel des Museal-Verstaubten. „Die Museumssituation bedarf keiner Einmischung in das konkrete Geschäft“, sagt Bogner. „Es fehlt ein strategisches Management. Der Eigentümer sollte ein langfristiges, deklariertes Ziel formulieren.“ Gehrer zeigte sich dieser Kritik gegenüber immun: „Ich verstehe nicht, woher die Sehnsucht nach einer zentralen Steuerung der Museumslandschaft kommt.“

Die arme Gehrer“, verteidigt Seipel seine Chefin. „Sie hat ein Mammutressort, muss 120.000 Lehrer aus ihrem Budget bezahlen; 94 Prozent sind Personalkosten. Da bleibt nicht viel Spielraum für Umverteilung.“ Tatsächlich ist der Museumsposten ein Krümel im Vergleich zu den Budgethämmern Universität und Schule. Allein der vom Ministerium an die Universität Wien überwiesene Sockelbetrag betrug 2004 mehr als das Vierfache der Geldmittel für alle Museen zusammen. Die ständigen Geldwünsche der Museumsdirektoren konnten Gehrer nicht aus der Fassung bringen: „In Österreich jammert man immer prophylaktisch.“
Im Museumsgesetz steht auch ein Geldbetrag, nämlich genau 68.748.502 Euro. Das ist die jährliche Basisabgeltung für alle Museen und die Nationalbibliothek zusammen. Steigende Personalkosten für nach Beamtenschema bezahlte Mitarbeiter, Instandhaltungskosten und der Mietzins für die großen Gebäude zehren am Budget für die wissenschaftliche Arbeit und die Ausstellungen. „Die Summe wurde wie beim Würfeln festgelegt“, sagt Schröder von der Albertina. „Da es keine Kostenwahrheit gab, hat man gesagt: ‚Was habt ihr in dem Jahr gerade gebraucht? Das kriegt ihr die nächsten zehn Jahre.’“
Die Albertina bekommt vergleichsweise wenig, nämlich 5,7 Millionen im Jahr. Durch Sponsoren schuf Schröder neue Ausstellungsflächen, renovierte die Prunkräume der Albertina und baute nach Plänen von Hans Hollein ein neues Wahrzeichen des Museums; das Vordach in Form eines Flügels heißt nach dem Sponsor Soravia-Wing. Wie in amerikanischen Museen danken goldene Tafeln den edlen Spendern. „Für die Steuerzahler gibt es keine Tafel“, ärgert sich Dieter Bogner, „der Wing ist symptomatisch; er verdeckt die Sache, um die es eigentlich geht – das Museum. In der Bevölkerung entsteht so der Eindruck, das zahlen eh alles die Reichen.“ In der Folge entstünde eine Entfremdung zwischen der Schickimicki-Museumswelt und dem zum Kartenkäufer degradierten Volk. Von einer „prosecco-faschistischen Innenwelt“ spricht überspitzt die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz. „Wir reden von einem Staatsschatz, von einer gesellschaftlichen Identität, und das hat mit der Politik und den Machtverhältnissen zu tun. Und da kann man nicht sagen, wir überlassen das dem freien Spiel der wirtschaftlichen Kräfte“, sagt Martin Roth.
In der Albertina äußert sich die Stärke des Museumsgesetzes: Ohne die 9,3 Millionen Euro, die das Museum etwa im Jahr 2004 zur Basisabgeltung dazuverdiente, hätte es keine großen Ausstellungen gegeben. Die Schwäche des Gesetzes liegt darin, dass Schröder aus dem Museum eine Ausstellungsindustrie machen konnte, die, wie im Falle des unrechtmäßig verliehenen Dürer-Aquarells, öffentliches Eigentum zur Gewinnsteigerung einsetzt. Erst durch die „Feldhasen-Affäre“ wurden die Folgen der Ausgliederung einer breiteren Öffentlichkeit bewusst. In diesem Fall störte Gehrer die als Autonomie verkaufte Selbstherrlichkeit eines Direktors; die Grafik durfte nicht in den Madrider Prado reisen. Martin Roth, der in Dresden die längst verstaatlichten Familiensammlungen des Albertina-Gründers Albert von Sachsen-Teschen betreut, propagiert ein anderes Amtsverständnis als sein Wiener Kollege: „Wenn ein Haus beinahe 450 Jahre alt ist, fügen Sie sich demütig in eine lange Kette von Vorgängern und Nachfolgern ein.“
Die Ministerin verzichtete darauf, sich in das Bild ihrer profilierungsneurotischen Direktoren zu drängen. Diese noble Zurückhaltung wurde als Schwäche interpretiert, nicht ohne sachlichen Grund. So verlängerte sie etwa auch den Vertrag des Mak-Direktors Peter Noever, obwohl der das neue Bundesmuseen-Gesetz höchst eigenwillig interpretierte. Ausgestattet mit einer relativ hohen Pauschale von acht Millionen Euro fuhr der große Befürworter der Ausgliederung das als Kunsthalle für zeitgenössische Kunst missbrauchte Museum für Angewandte Kunst auf einen Notbetrieb herunter; monatelang stehen die großen Ausstellungshallen leer. 2004 lukrierte das Mak 262.000 Euro an Eintrittsgeldern, die Albertina 3,5 Millionen. Nun werden auch die stets frischen roten Rosen des Mak-Direktors im Büro der glücklosen Ministerin verblühen.

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