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3  2002
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Sabine B. Vogel :  Nichts weniger als ‹Kunst und Militanz› haben die beiden Gastkuratoren Alice Creischer und Andreas Siekmann unter dem einprägsamen Titel ‹Die Gewalt ist der Rand aller Dinge› zum Thema ihrer Gruppenausstellung gewählt. Die Unterzeile präzisiert es noch: ‹Subjektverhältnisse, politische Militanz und künstlerische Vorgehensweise›.

«Die Gewalt ist der Rand aller Dinge» in der Generali Foundation


links: Gerd Arntz · Bildstatistisches Elementarwerk, 1930

Das Wiener Kuratorenteam grenzt sich bereits über den Titel von vergleichbaren, zeitgleichen Ausstellungen ab, die als Nachwirkungen des 11.-September-Ereignisses gelesen werden können: im Grazer Kunstverein ‹Angst› oder jetzt im Zürcher Museum Bellerive ‹GewaltBilder›. Während im Museum Bellerive die Frage nach ‹der Darstellbarkeit von Gewalt› und ‹Gewaltsamkeit als künstlerische Strategie› gestellt wird, sehen Creischer/Siekmann die Verbindung zwischen Kunst und Militanz in ‹Form von Aufführung oder Demonstration, die verbunden ist mit der wichtigen Anmassung, öffentlich im Namen anderer zu handeln oder sich zu artikulieren›. Dies lässt sich leichter verstehen, wenn der Ausgangspunkt des Konzeptes genannt wird: die Proteste gegen die Politik der WTO, IWF und der G8-Treffen, ‹jedenfalls bevor ein Verständnis für politische Militanz zwischen die Mahlsteine von Terror und staatlichem Gegenterror zu geraten drohte›. So finden sich keine direkten Bezüge zum 11. September, dafür aber eine ‹politische Geschichte der Militanz›, welche das Kuratorenteam mit der französischen Revolution beginnen lässt. Zehn Schwarzweissfotografien der Pariser Commune 1871 leiten den Ausstellungsrundgang ein, gefolgt von Blättern aus Otto Neuraths ‹Bildstatistischem Atlas› und faszinierenden Drucken seines Grafiker-Kollegen und Partners Gerd Arntz aus dem ‹Bildstatistischen Elementarwerk› (1930). Während Neurath und Arntz mit ihren Mengenbildern und -piktogrammen soziale Situationen und auch Kämpfe darstellen, finden als nächste Station Charlotte Posenenskes Vierkantrohre ihre Position in dieser Geschichte wohl vor allem über ihren Rückzug 1968: Kunst könne nichts zur Lösung ‹drängender gesellschaftlicher Probleme beitragen›. Umso bemerkenswerter sind dagegen Gerard Fromangers (*1939) beeindruckende Ölbilder, die bislang weniger aus Ausstellungen denn aus einem Buch von Deleuze/Foucault bekannt sind. Fromanger greift in seinem Diptychon mit den Mitteln der Malerei die Debatte zwischen der Bourgeoisie und ihrer sozialrevolutionären Kritik auf.

Bemerkenswerterweise entspricht der vorgeschlagene thematische Rundgang nicht der räumlichen Hängung, die eine eigene und eigenwillige Inszenierung bildet. So kann die Gleichzeitigkeit historischer und zeitgenössischer Werke als nachzulesende Geschichte verfolgt oder die Ausstellung mit einigen bemerkenswerten, bisher viel zu wenig beachteten KünstlerInnen gesehen werden. ‹Gewalt› oder ‹Militanz› tritt darin eher als Randthema auf. ‹Die Ausstellung hat nicht den Anspruch, eine Art globale Phänomenologie zum Thema Militanz zu liefern. Sie kann nur eine einseitige – eine sehr parteiische – Skizze bleiben› schreiben Creischer/Siekmann in ihrem Statement – und lösen genau dies ein. Im März folgt ein Katalog.

Bis 21.4.


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Ausgabe 3  2002
Autor/in Sabine B. Vogel
Künstler/in Otto Neurath
Künstler/in Charlotte Posenenske
Künstler/in Gerard Fromanger

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