DiePresse.com | Kultur | News | Artikel DruckenArtikel drucken


Kunstrestitution: Vertrieben, aber in Wien begraben

10.03.2008 | 18:21 |  (Die Presse)

Jenny Steiner, einst Besitzerin von Egon Schieles „Häusern am Meer“ – eine skizzenhafte Biografie.

Zeitgeist-Zeitschriften würden Jenny Steiner (1863–1958) wohl als „Power-Frau“ bezeichnen, obwohl sie nicht wie eine Business-Lady aussieht: Ein Foto zeigt sie 1940 in Nizza, eine nachdenkliche Oma mit Hündchen auf dem Schoß. Geboren wurde Jenny Steiner in Budapest, berichtet Sophie Lillies „Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens“ (1437 Seiten, Czernin-Verlag). Ihrer Ehe mit Wilhelm Steiner entstammten fünf Kinder. Nach dem frühen Tod ihres Mannes führte sie die familieneigene Seidenmanufaktur mit ihrem Neffen Albert Steiner weiter. Außerdem schätzte sie Klimt, förderte die Secession.

Ihr gewaltiges, von den Nationalsozialisten mit rund sechs Millionen Reichsmark bewertetes Vermögen wurde im Oktober 1938 durch das Finanzamt Innere Stadt per Exekution eingezogen. Gleichzeitig wurde wegen 1,5 Millionen Reichsmark an „Reichsfluchtsteuer“ ein Steuersteckbrief erlassen. Nach dem Selbstmord von Jennys Neffen Albert Steiner im März 1938 führten dessen nichtjüdische Witwe Friederike Steiner und deren Sohn Gustav die Seidenwarenerzeugung, an der Jenny Steiner zu 35Prozent beteiligt war, weiter und retteten sie über die Kriegsjahre.


Paris–Portugal–Brasilien–New York

Die prunkvoll ausgestattete Wohnung in der Zedlitzgasse, die Jenny Steiner mit ihrer Tochter Klara bewohnt hatte, „arisierte“ die Südostdeutsche Kohlenhandels-GesmbH. Die wichtigsten Sammlungsstücke wurden für die Ausfuhr gesperrt. Drei altdeutsche Reliefs wurden unter dem sogenannten „Führervorbehalt“ für das Kunstmuseum in Linz beansprucht, alles Weitere wurde dem Finanzamt zur freien Verfügung gestellt und ab 1940 über das Dorotheum verkauft.

Jenny Steiner selbst floh unmittelbar nach dem „Anschluss“ mit ihrer ältesten Tochter Daisy und deren Mann Wilhelm Hellmann, ihrer Tochter Anna Weinberg und ihrer Enkelin nach Paris und konnte im Herbst 1940 über Portugal nach Brasilien einreisen. Da war sie bereits hochbetagt. 1941 gelangte sie in die USA. Mit 95 starb sie in New York. Ihrem Wunsch entsprechend wurde sie in der von Oskar Strnad entworfenen Familiengruft am Wiener Zentralfriedhof beerdigt: Eine Verfolgte, Vertriebene, die trotzdem in der Heimat begraben sein wollte.


Bürokratische Kulturgüterrückgabe

Zu Lebzeiten erhielt Jenny Steiner aus ihrer Sammlung nur wenige Stücke zurück. Die Kulturgüter-Rückgabe-Gesetze der Nachkriegszeit waren milde ausgedrückt sehr bürokratisch. Aus der Dorotheums-Versteigerung erwarb Johann Ernst Schieles „Häuser am Meer“, sein Sohn verkaufte das Bild 1952/53 an Rudolf Leopold, der sich auf einen Erwerb in gutem Glauben beruft. Sagt jedenfalls Anwalt Andreas Nödl, Mitglied des Vorstandes der Leopold-Stiftung. Er wies darauf hin, dass Jenny Steiner den Schiele nicht beanspruchte, anders als z.B. einen Degas, den sie zurückerhalten habe. IKG-Präsident Muzicant am Montag dazu: „Jenny Steiner wusste nicht, wo ,Häuser am Meer‘ war, daher konnte sie das Bild auch nicht zurückverlangen.“

Die Leopold-Stiftung veröffentlicht seit 1995 Provenienzen. Das Museum rühmt sich auf seiner Homepage, sämtliche Sammlungsbestände seit 2001 im Internet zu haben. Allerdings fehlen in vielen Fällen Abbildungen, aus technischen Gründen, wie das Museum sagt. bp

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2008)


© DiePresse.com