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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Aufregung um Muehl 
02.03.2004
19:58 MEZ
Kommune statt Kommunion
Wichtelstaatsvernichtung oder Zwergerlaufstand: Was blieb von alternativen Lebens- und Kunstpraxen?

Gesellschaftspolitik. Bei diesem Wort krampft es Post-68er zuweilen leicht zusammen - schwingt dabei nicht süßsaurer Duft aus Basisgruppenländern mit? Und dann liest man noch T. C. Boyles Abrechnung mit dem Kommunenwesen als alternativer Lebensform (Drop City, 2003) und freut sich auf sein bequemes Sofa.

Und dann wieder einmal, wie ein überinszeniertes langweiliges, weil vorhersehbares Theater, wieder einmal Otto Muehl. Aktionstheater jenseits eines echten Diskurses, einer sachlichen Forschung.

Daneben bleiben Fragen, die die Welt bedeuten: Die Kommune - ein Zwergerlauf-stand inmitten eines, wie Otto Muehl gerne schrieb, "Wichtelstaates", mit seinen Wichtelehen, seiner heiligen katholischen Wichtelkirche und was es sonst noch wichtelig Wichtiges gab? Oder verspricht sie doch "Nachhaltigkeit"? Das Österreich der Nachkriegszeit, und nicht nur Österreich, löste sehr wohl Energien aus.

Die dürftig bis gar nicht aufgearbeitete Vergangenheit - geschweige denn die kunstgeschichtliche Vergangenheit - lag brach. Und Hermann Nitsch konnte es als Sieg betrachten, als Mann in der Apotheke Damenbinden (als Material für seine Arbeiten) zu erstehen, damals so etwas wie ein Tabu. Mehr als das: Kriminelle Energien wurden frei, die selber etwas Befreiendes hatten.

Überzeichnet wird dies etwa im deutschen Film Rote Sonne von Rudolf Thome, wo eine Frauenkommune beschließt, dass jede nur fünf Tage mit einem Mann zusammenbleiben und ihn dann töten solle - d. h. also ziemlich autonom über ihre "Liebe" zu bestimmen. Freiheit wird binnen kurzem zum Regelwerk: Als eine der Frauen gegen das vorgegebene "freie" Muster verstößt, muss sie sterben.

Kampf gegen die Gesellschaft bestand auch darin, nicht in abgeschotteten Zirkeln die Frauen oder Männer der anderen mehr als begehren zu dürfen, sondern radikal gegen die Strukturen von Herrschaft und Macht vorgehen zu wollen - siehe RAF in Deutschland.

Kunst & Krimi

Parallelen zur Muehl-Kunst-Kommunen-Kriminellen-Diskussion ergeben sich von selbst: Im Vorfeld der Berliner RAF-Ausstellung in den Kunst-Werken spult(e) sich das komplette Erregungsprogramm ab. Enormes Rauschen im Blätterwald vorher über die öffentlichen Subventionen von Ausstellungen, Skandalberichte und sehr viel nicht aufgearbeitete Geschichte. Und ehemalige Spontis als Minister, welch schöne Geschichte für die Journalisten! Von Gelassenheit, die nötig wäre, keine Spur. Dafür Modestrecken mit Prada-Meinhof.

Eine paradoxe Situation: Etablierte Museen musealisieren und konservieren einerseits ehemalige Bürgerschrecks, die Kunst in Leben zu überführen trachteten, in aller Konsequenz. Andererseits fehlt immer noch jeglicher seriöser Diskurs darüber.

Genau wie in Sachen RAF: In den jüngsten deutschen Kinostreifen zum Thema bemühen sich die Darsteller um möglichst authentische Verkörperung der Protagonisten. Darüber hinaus gibt es nichts Wesentliches. Hände hoch also: Kunst oder Leben! (Doris Krumpl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. 3. 2004)


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