Das Museumsviertel
Zwischen den mittelalterlichen Dächern, die Teil des Unesco-Weltkulturerbes sind.
Altes bewahren und trotzdem Neues wagen. Dieser Satz ist trifft für die beiden zur Zeit spektakulärsten und zentralsten Baustellen der steirischen Landeshauptstadt zu. Blickt man vom Schlossberg auf die Gegend rund um den Hauptplatz hinunter, stechen auch beide sofort ins Auge. Auf einer Seite ragt noch ein hoher gelber Kran weit über die umliegenden Häuser in den Himmel: Hier soll schon im nächsten Jahr rund um das zweitgrößte Museum Österreichs, um das von Erzherzog Johann gegründete Universalmuseum Joanneum, eines der modernsten Museumszentren Europas entstehen. Der imposante neobarocke Bau in der Neutorgasse sieht von außen noch relativ unverändert aus.
Doch innen, wo sich früher die Alte Galerie befand, die mittlerweile ins Schloss Eggenberg an den Stadtrand siedelte, wird nichts sein, wie es war: Hier wird ab November 2011 die Neue Galerie, die bisher in der Grazer Sackstraße - schräg gegenüber des Kaufhauses Kastner & Öhler - vor allem zeitgenössische Kunst ausstellte, ihr neues Quartier beziehen. Außerdem wird Platz für Künstler und Kunstströmungen vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, für die multimediale Sammlung, das Bild- und Tonarchiv und für das sogenannte Bruseum, einer eigenen Abteilung für das Werk von Günter Brus, gemacht.
Graben im Kern der Altstadt
An der Rückseite des Museums gilt es auch das Joanneum-Stammhaus im barocken Lesliehof in der Raubergasse und die Landesbibliothek in der Kalchberggasse, die jahrzehntelang eher ein Schattendasein für bibliophile Freaks fristete, in das neue Museumsviertel einzubinden. Dass man dabei im Kern der als Ganzes streng geschützten Altstadt gräbt und baut, machte das Projekt der ARGE Nieto Sobejano Arquitectos aus Spanien und des Österreichers Gerhard Eder von den eep architekten zu einem sehr komplexen, mit vielen Auflagen erschwerten Unterfangen.
Dort, wo jetzt die Grube klafft, soll jedenfalls ein freundliches, lichtdurchflutetes Besucherzentrum unter der Erde entstehen. Das Naturkundemuseum im Stammhaus wird dann 2012 den Um- und Ausbau komplettieren.
Der Intendant des Joanneums, Peter Pakesch, plant auch inhaltliche Adaptierungen: "Der inhaltliche Facettenreichtum des Joanneums ist ein besonderes Alleinstellungsmerkmal, das wir als das größte Universalmuseum Mitteleuropas nicht nur in unserem öffentlichen Auftritt, sondern auch programmatisch ganz bewusst in den Vordergrund stellen. Besonders zum 200-Jahr-Jubiläum nächstes Jahr wird unser Ausstellungsprogramm eindrucksvoll die weitgespannte inhaltliche Bandbreite der Sammlungen abbilden."
Die Handschrift der Madrider Architekten Fuensanta Nieto und Enrique Sobejano sieht man, wenn man vom Schlossberg herunter schaut, auch noch auf der anderen Seite des Hauptplatzes in der Sackstraße: Dort baut das Kaufhaus Kastner & Öhler sein Stammhaus um - und setzt einen markanten Punkt in die Grazer Dachlandschaft. Nachdem die Spanier 2005 den Wettbewerb gewannen, dauerte es ein Jahr und erforderte einige Nachbesserungen, bis auch die Unesco zustimmte. Der Gemeinderat stand dabei hinter dem architektonischen Wagnis, wofür sich das Kaufhaus auch schriftlich auf seinem Dach bei Graz bedankte.
Am 20. Oktober eröffnet nun der "neue Kastner". Mit der vierfachen
Verkaufsfläche, nunmehr 40.000 Quadratmeter, zwei neuen Lichthöfen und
24 neuen Rolltreppen. Die Dachterrasse mit Restaurant ist erst 2011
begehbar.
(Colette M. Schmidt / DER STANDARD, Printausgabe, 23.9.2010)
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