KulturSPIEGEL 2/2004 - 12. Februar 2004
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MoMa-Ausstellung in Berlin
 
Kunst für Millionen

Von Jan Fleischhauer und Ulrike Knöfel

Das Museum of Modern Art in New York wird umgebaut. Das ist teuer. Deshalb reisen 200 Spitzenwerke zum Geldverdienen nach Berlin. 700.000 Besucher braucht die Schau "Das MoMa in Berlin", um die saftigen Leihgebühren für die Kunstklassiker zu finanzieren.

MoMa-Kunstwerke auf Kaffeebechern: Merchandising mit Matisse
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DER SPIEGEL / Monika Zucht
MoMa-Kunstwerke auf Kaffeebechern: Merchandising mit Matisse
Diese Worte klingen wie eine Beschwörung der deutsch-amerikanischen Freundschaft: "Mehr noch als durch gemeinsame Not werden die Beziehungen zwischen den Völkern durch den Austausch geistiger Güter gefördert. Gerade auf diesem Gebiet ist die Begegnung mit den Amerikanern für uns West-Berliner sehr fruchtbar geworden." Und nicht zu vergessen: Man sei "zu aufrichtigem Dank verpflichtet, dass Berlin als einzige deutsche Stadt für diese Ausstellung ausersehen wurde".

Als der Berliner Kultursenator Joachim Tiburtius diese Sätze 1958 für ein Katalogvorwort verfasste, brach gerade die eisigste Phase des Kalten Kriegs an, und im geteilten Deutschland herrschte, dies- und jenseits der Grenze, große Skepsis gegenüber experimentierfreudiger neuer Kunst.

Amerika gab auf seine Weise Nachhilfeunterricht: Das berühmte New Yorker Museum of Modern Art, kurz MoMA, schickte - nicht zum ersten Mal nach Kriegsende - eine Auswahl seiner Bestände nach Deutschland. Den Westdeutschen sollte, mit dem Wohlwollen der CIA, die Abstraktion wieder nahe gebracht werden. Der Realismus war in den USA verpönt, denn er galt als Pflichtstil solch feindlicher Regime wie der Sowjets. Ein weiteres Unwort hieß "Verprovinzialisierung", und dieser sollte in Deutschland mit Farborgien von Jackson Pollock oder Mark Rothko entgegengewirkt werden.

Die Zeiten haben sich geändert. Kunsthistorische Nachhilfe ist nicht mehr nötig, provinziell möchte Berlin aber auch heute auf keinen Fall wirken. Am 20. Februar eröffnet die Neue Nationalgalerie die Schau "Das MoMA in Berlin. Meisterwerke aus dem Museum of Modern Art, New York", und die soll vor allem eines sein: ein glitzernder Event. Schirmherren sind Außenminister Joschka Fischer und sein US-Kollege Colin Powell. Auf der knallrosa Ausstellungshomepage (http://www.das-moma-in-berlin.de/) ertönt eine Fanfare, die an Hollywood-Trailer erinnert. Der Rest der Hauptstadt ruft für 2004 die "American season" aus; so heißt das Rahmenprogramm zum MoMA-Spektakel.

Für die Veranstalter stehen die Superlative schon fest: Alles wird äußerst anspruchsvoll, aufwendig, aufregend. Die Schau läuft mit sieben Monaten sogar doppelt so lang wie vergleichbare Sonderausstellungen. Möglich ist das, weil das MoMA in Manhattan gerade umgebaut wird - und Berlin sich fix als Ausweichquartier anbot.

Seit der Vertragsunterzeichnung erinnert die Nationalgalerie gern und oft an die "traditionsreichen und wertvollen Beziehungen" zu den New Yorkern, und das nicht ohne Grund: Zum Luxuspaket aus dem MoMA gehören 200 berühmte Skulpturen und Bilder, darunter Gemälde von Stars wie Cézanne, van Gogh, Kandinsky, Matisse, Picasso, Pollock, Rothko, Rauschenberg.

Eine ähnliche Präsentation mit Leihgaben aus dem New Yorker Museum war zwar vor kurzem im texanischen Houston zu sehen. Berlin aber ist - und darauf sind auch die Initiatoren des Jahres 2004 stolz wie einst Senator Tiburtius - die einzige europäische Station dieser Zwei-Etappen-Wanderschau. Peter-Klaus Schuster, Chef der Staatlichen Museen zu Berlin im Allgemeinen und der Nationalgalerie im Besonderen, kann sich Triumphgefühle und Marktschreierei nicht verkneifen: "Es wird eine Jahrhundertausstellung und das Kulturereignis des Jahres 2004."

Hoffentlich. Denn das Gastspiel des MoMA ist ungewöhnlich teuer und deshalb auf sehr, sehr viele zahlende Besucher angewiesen.

Schon der Transport kostet, außer viel Aufwand und Nerven, jede Menge Geld. Die Werke, deren Gesamtwert - mindestens - mehrere hundert Millionen Euro beträgt, werden über den Atlantik geflogen, verteilt auf mehrere Maschinen, damit bei einem Absturz nicht gleich alle Picassos im Meer versinken. 21 Kuriere begleiten die Fracht; sie sind dabei, wenn die Klimaboxen im Laderaum der Cargomaschinen von Lufthansa oder KLM verstaut werden, und sie sitzen in den Lastwagen, mit denen die Kisten von den internationalen Flughäfen in Amsterdam und Frankfurt nach Berlin chauffiert werden.

Das alles will bezahlt werden. Und noch mehr: Das MoMA verlangt eine saftige Leihgebühr. Sie soll, da widersprechen auch die Initiatoren nicht, mehrere Millionen Euro betragen.

Solche Abmachungen galten im Ausstellungsbetrieb lange als unüblich. Inzwischen ist es nur noch verpönt, über exakte Summen und Vertragsdetails zu sprechen. Michael Eissenhauer, Präsident des Deutschen Museumsbundes, nennt Leihgebühren ein "Thema, das uns bekümmert". Denn "eigentlich besteht Einigkeit, dass sich Gebührenforderungen gegenseitig hochschaukeln und dazu führen, dass sich die meisten Museen Sonderausstellungen mit vielen Leihgaben dann nicht mehr leisten können".

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DER SPIEGEL / Monika Zucht
Auch das Berliner Projekt könnte sich zur Schuldenfalle entwickeln. Allerdings nicht für Museumschef Schuster, sondern für den gemeinnützigen Verein der Freunde der Nationalgalerie, der für fast alle Kosten aufkommt. Die Höhe des Etats betrage inklusive der Leihgebühr 8,5 Millionen Euro, verrät Peter Raue, ein Berliner Rechtsanwalt und umtriebiger Vorsitzender des Vereins. Es ärgere ihn allerdings, "dass alle nur über das Geld reden und nicht über die einzigartige Kunst".

Raue konnte, der hochkarätigen Kunst und seiner guten Kontakte wegen, eine Bank als Sponsor gewinnen. Ansonsten rechnet er mit Rekordeinnahmen, vor allem durch den Verkauf der bis zu zwölf Euro teuren Eintrittskarten und des Katalogs, der eine Auflage von 50000 Exemplaren hat.

Mindestens 700000 Menschen werden sich die Schau ansehen, lautet Raues ehrgeizige Prognose. Das wären 50000 Besucher mehr, als zur vergangenen Documenta in Kassel pilgerten - die zwar nur drei Monate dauerte, aber weltweit bei Kunstfreunden als Pflichttermin galt. "100000 Besucher pro Monat, das ist für uns doch zu schaffen", beharrt Raue. Experten wie Wulf Herzogenrath, Chef der Bremer Kunsthalle, sind skeptisch: "Ein Event ist deshalb attraktiv, weil es vergleichsweise kurz und einmalig ist, und nicht, weil es zur siebenmonatigen Dauerveranstaltung wird."

Doch die Berliner denken lieber positiv und stellen vorsorglich "Stauberater" ein - junge Hilfskräfte mit dem schönen Titel "Momanizer", die das Schlange stehende Publikum mit einer kunsthistorischen Einführung unterhalten und es, falls es im Museum zum großen Gedränge kommt, umleiten soll. Gegebenenfalls in den eigens für die Dauer der Schau auf 140 Quadratmetern eingerichteten Museumsshop.

Dessen Sortiment umfasst 600 Artikel, darunter viel üblichen Nippes, zum Beispiel mit Gemäldeklassikern dekorierte Kaffeebecher, Mouse-Pads und T-Shirts. Zu den "assoziativen Produkten", wie sie von den Marketingexperten der Berliner genannt werden, gehört etwa ein Ring aus Fell passend zur berühmten Pelztasse der Surrealistin Meret Oppenheim. Mag sein, dass diese kommerzielle Einbettung der Kunstklassiker kurios wirkt. Doch die Amerikaner, Vorreiter in Sachen Merchandising, wären die Letzten, die sich darüber beschweren würden.

Für das MoMA lohnt sich der Auftritt in Deutschland - das aber weniger wegen der millionenhohen Einmalgebühr für die Leihgaben; der Umbau des Museums, der eher ein Neubau ist, verschlingt über 850 Millionen Dollar, da kommt man mit den Euros aus Berlin auch nicht viel weiter.

Die Leihgeber nutzen vielmehr die Gelegenheit, das eigene Museum und dessen 75-jährige Geschichte endgültig zum Mythos zu verklären - rechtzeitig vor der Wiedereröffnung im kommenden Winter. Gut ein Jahr hat Chefkurator John Elderfield am Ausstellungskonzept gearbeitet, dabei wenig dem Zufall oder den Kollegen aus Deutschland überlassen. Er war es, der die Auswahl aus den insgesamt 3200 Kunstwerken des Museums traf.

"Natürlich haben die Berliner Wünsche geäußert. Nur konnten und wollten wir nicht jeden erfüllen", sagt Elderfield. Die Freunde aus Deutschland hätten zum Beispiel liebend gern Picassos "Les Demoiselles d'Avignon" ausgeliehen oder Barnett Newmans "Vir Heroicus Sublimus". In diesen beiden Fällen lehnte Elderfield ab, weil der Transport für die kostbaren Stücke zu riskant gewesen wäre, in anderen, weil "die Werke unser Gesamtkonzept gestört hätten".

Im Katalog werden ausschließlich Texte von MoMA-Mitarbeitern gedruckt, die Kapitel sind nach MoMA-Ausstellungen benannt. Sie handeln vorwiegend davon, wie "innovativ" und "in Qualitätsfragen kompromisslos" die MoMA-Chefs stets gesammelt hätten; die Kollektion sei selbstverständlich "erstklassig" und "konkurrenzlos".

Gefeiert wird insbesondere der "Missionarsgeist" des durchaus legendären Museumsmitgründers Alfred H. Barr. Mit 27 Jahren wurde er 1929 zum ersten Direktor des Hauses ernannt. Er und seine Nachfolger waren, davon ist im Katalog allerdings kaum die Rede, durchaus umstritten. Der bekannte US-Kunstkritiker Clement Greenberg etwa giftete regelmäßig gegen die Ankaufspolitik des MoMA. "Aus Kleinmut folgt das Museum der Führung der mächtigsten Kunsthändler", schrieb Greenberg 1947.

Vergeben und verdrängt. Im Katalog wird statt- dessen ein unangreifbar richtiger Satz von Museumsregent Barr zitiert. Im Berlin des Jahres 2004 dienen die Worte als Beschwörungsformel: "Die Pforte zum Verständnis von Kunst ist das unmittelbare Erlebnis des Kunstwerks."

Dass die magischen Kräfte wirken und tatsächlich 700 000 Besucher diese Pforte durchschreiten, daran müssen die Berliner nun bis September ganz fest glauben.

Von Jan Fleischhauer und Ulrike Knöfel


"Das MoMA in Berlin". Berlin. Neue Nationalgalerie. 20.2.-19.9., http://www.das-moma-in-berlin.de/


 


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