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Otto Mauer heute? "Ein großer Kritiker"

13.02.2007 | 18:38 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Happy Birthday Monsignore! Vor 100 Jahren wurde Otto Mauer geboren. Ist der Dialog zwischen Kunst und Kirche heute überhaupt noch nötig? Bernhard Böhler, junger neuer Dommuseum-Chef, über Mauers Kunst-Theologie.

Ein Kappl am falschen Kopf, ein aktionistisches Konzert in der Kunstgalerie, Werke von „Wahnsinnigen“ – was vor 50 Jahren noch rauschende Kunstskandale ausmachte, wird heute zwar vielleicht nicht weniger verstanden, dafür aber meist nicht einmal bemerkt. Zu viele andere Reize haben die Augen Kunst gegenüber unempfindlich gemacht. Zu viele Galerien und Museen buhlen um die geringe verbleibende Aufmerksamkeit.

Manch zeitgenössischem Künstler muss die Wiener Nachkriegszeit, so trist sie auch gewesen sein muss, wie ein Schlaraffenland erscheinen – voll Tabus, die noch gebrochen werden können, voll Reiz und Reibung. Und mitten drin ein Mann der Kirche! Praktisch tätig als Galerist und Vermittler, theoretisch als einer der führenden Intellektuellen des Landes – und zwar auf internationalem Niveau. Kaum mehr vorstellbar, heutzutage.

Heute vor 100 Jahren wurde Monsignore Otto Mauer geboren. Seit seinem frühen Tod 1973 feiert man ihn als eine Art Säulenheiliger des Engagements der katholischen Kirche für zeitgenössische Kunst. Immer wieder beschworen von ewig Sentimentalen, kennen junge Künstler seinen Namen heute aber trotzdem nur mehr als Label eines von mehreren Nachwuchspreisen. Bei dessen Verleihung die Gewinner meist sichtlich ratlos lächelnd dem jeweils diensthabenden Kardinal oder Bischof die Hand schütteln.


Nur kurz am Puls der Zeit?

Otto Mauer, der Domprediger von St.Stephan, von dem Arnulf Rainer sagte, dass er fliege beim Reden. Der stille Akademiker-Seelsorger. Die treibende Kraft der katholischen Aktion in Österreich. Der Wiener Kunstmarkt- und Kunstvermittler-Pionier (Galerie nächst St.Stephan). Protektor, vor allem aber auch Theorie-Spender für viele Künstler, vor allem aber der Abstrakten Rainer, Mikl, Hollegha, Prachensky.

Zwar schien Mauer aus heutiger Sicht mit seiner Begeisterung für das Informel Anfang der 50er-Jahre nur recht kurz am Puls der Zeit – den Wiener Aktionisten etwa stand er äußerst skeptisch gegenüber. Doch nahm seine Aufmerksamkeit ab dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1962 wieder verstärkt die Kirche gefangen. Vor allem aber darf seine Rolle in der Internationalisierung der österreichischen Kunst nicht vergessen werden – lange galt er im Ausland, neben dem Direktor des Museums moderner Kunst, Werner Hofmann, als einziger bekannter Autor und Ansprechpartner im Land.

Weder damals noch heute machten die verschiedensten Funktionen dieser exzeptionellen Erscheinung es möglich, sie ganz zu fassen. Einer, der es trotzdem versuchte, obwohl er ihn nicht einmal mehr erleben durfte, ist der 1972 geborene Bernhard Böhler, seit heuer Direktor des Dommuseums. 2003 veröffentlichte er eine anschauliche, angenehm lesbare Biografie Otto Mauers. Jetzt kann er seine Zeit als Museumschef passend mit einer Geburtstagsausstellung eröffnen: „Happy Birthday Monsignore!“


3000 Blätter in Schubladen

100 Blätter aus den Ausstellungen der Galerie nächst St.Stephan sind hier versammelt, die meisten stammen aus der Sammlung des Grafik-Fans Otto Mauer selbst, die seit 1980 in Auftrag des Universalerben Karl Strobl das Dommuseum verwahrt. Ein Schatz von fast 3000 Zeichnungen, Aquarellen, Drucken u.a. von Boeckl, Lassnig, Rainer, Gironcoli, die wegen Platznot in Schubladen verwahrt werden müssen.

Trotzdem ein „Stachel im Fleisch“ der Kirche, wie Böhler dieses Konvolut sieht. Guter Grund, es keinem staatlichen Museum zu übergeben. Sonst könnte die Kirche sich zurücklehnen, meint Böhler. Wie es bei der Galerie Nächst St.Stephan passiert ist, die nach Mauers Tod privatisiert und Ende der 70er von Rosemarie Schwarzwälder gekauft wurde. „Das hat nichts mehr mit der Kirche zu tun, da erinnert nichts mehr an Otto Mauer und den Dialog von Kunst und Kirche“, sagt Böhler. Aber lebt dieser Dialog überhaupt noch? Ein bisschen, meint Böhler.

Vielleicht soll er heute ja auch überhaupt nicht mehr sein. Eine derart charismatische, einflussreiche Figur, wie Mauer es war, ist in der heutigen Situation der Postmoderne, wo alles möglich ist und die Kunstszene sich rasend verbreitet und verbreitert, sowieso nicht mehr möglich. Die damalige Galerie nächst St.Stephan würde im heutigen Angebot regelrecht untergehen.

Wie Otto Mauer sich wohl heute positionieren würde? Als „großer Kritiker“, meint Böhler. Vor allem des Kunstmarkts. Trotzdem ist er sich sicher: „Mauer würde sich am Puls der Zeit bewegen und seismografisch jede Oszillation des Zeitgeistes wahrnehmen.“ Dieser Zeitgeist hieß in der Nachkriegszeit eindeutig Abstraktion, die Otto Mauer auch theologisch herausgefordert hat. „In den abstrakten Formen sah Mauer Chiffren, Hinweise auf eine metaphysische Welt, etwas Transzendentales, das hinter dem Bild steht – auf das verloren gegangene Paradies“, erklärt Böhler.

Schönheit, Seele, Transzendenz. Konservativismus und Avantgarde scheinen in Otto Mauer vereint zu sein. „Konservativ“, so Böhler, „war die Theologie, auf die sich Mauer berufen hat, auf Thomas von Aquin etwa. Wenn er sich aber mit der Kirche selbst auseinandergesetzt hat, war er unglaublich progressiv.“ Wenn er etwa Anfang der 70er-Jahre forderte, dass 2000 Jahre männliche Vorherrschaft in der Kirche genug seien.


War Mauer Antisemit? Ein böses Gerücht

Mauer war ein glühender Prediger. Von der Kanzel St.Stephans aus soll er sogar während des Nazi-Regimes „andeutungsweise“, so Böhler, das Schicksal der Juden angeprangert haben. Mehrmals wurde er von der Gestapo verhört, zu den Terminen ging Mauer immer mit leichtem Gepäck, mit Zahnbürste und Bibel, wie sich Günther Nenning im Jubiläumskatalog erinnert hat. Kardinal Innitzer, Mauers mächtiger Beschützer, soll mehrmals Kaution für ihn bezahlt haben. „Und hätte Mauer nicht dieser Elite, dem innersten Bereich des Kardinals angehört“, so Böhler, „wäre er sicher einen Kopf kürzer gemacht worden.“

Gerüchte, nach denen Mauer sogar Antisemit gewesen sein soll, hält Böhler jedenfalls für völlig falsch. Sie kamen auf durch die verkürzte Wiedergabe eines der komplexen Vorträge Otto Mauers, der, laut Böhler gerne, die mittelalterliche Methode der „Questio“ benutzte – eine provokante These aufzustellen, um sie dann zu widerlegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2007)


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