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16.08.2002 - Kultur News
Neue Kunsthalle in Kellern unterm Künstlerhaus?
Lokalaugenschein unterm Wiener Musikverein: Die Nachbarn vom Künstlerhaus wollen mit einer Großbaustelle ihren Verein sanieren, die Kunsthalle Wien zieht es aus dem Museumsquartier auf den Karlsplatz zurück.
VON HANS HAIDER


Abstieg durch das Musikvereinsgebäude. Sieben Meter unter dem Karlsplatz. Dumpf hallt jedes Wort, wenn der U-Bahn-Bauingenieur Martin Heyda die Lage erklärt. Mit einem Handscheinwerfer leuchtet er die Ecken der Betonkaverne aus: vierzig Meter lang, zehn Meter breit, sieben Meter hoch. Dieser Hohlraum blieb übrig, als darunter die Wendeanlage für die U-Bahnzüge verlängert wurde. War das notwendig? "Nach der Verlängerung der U 2 über die Donau fahren statt der Kurzzüge mit vier Waggons Vollzüge mit sechs Waggons."

Schon am 26. Juli war hier der Rohbau abgeschlossen. Die elektrischen Installationen dauern noch bis Ende 2003, zuerst muß in der Lerchenfelder Straße ein neues Stellwerk fertig werden. Spricht Ingenieur Heyda von der doppelten Gleisharfe unter uns, meint man Glasharfe zu hören. Eine verzeihliche Fehlleistung im Musikverein.

Der Weg hinunter, wo es finster und still ist wie in einem Grab, führt am unterirdischen Alberto-Vilar-Konzertsaal vorbei. Eine spektakuläre Erweiterung! Bis Dezember 2003 muß sie fertig sein, für Jänner 2004 sind erste Proben angesetzt.

Die künftigen Archivräume der Gesellschaft der Musikfreunde grenzen an den sonst zuganglosen Riesenkubus an. "Wir könnten ihn gut gebrauchen für unsere Musikinstrumentensammlung, die derzeit auf Burgen und Schlösser und das Kunsthistorische Museum verteilt ist", beteuert der mit nach unten gestiegene Vertreter des Musikvereins. "Wir haben aber eine fünfjährige Option auf diesen Raum", kontert der mit nach unten gestiegene Vertreter des Künstlerhauses, zu ebener Erde Nachbar des Musikvereins.

Wer darf den Hohlraum füllen? Die Stadt Wien hat noch nichts entschieden, beteuert die mit nach unten gestiegene Mediensprecherin von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. Der Kulturstadtrat kündigte in einem "Presse"-Interview (18. Juli) 4000 neue Quadratmeter unterm Karlsplatz für kommunale Kunstsammlungen und Kunstpräsentationen an.

Ein Aufschrei ging durch die Wiener Ausstellungsszene: Wir haben schon zu viele Räume zu bespielen, und das Publikum wird nicht mehr! Im März 2003 eröffnet die Albertina zwei neue Ausstellungshallen, das jetzt leerstehende Museum des XX. Jahrhunderts im Schweizergarten wird wiederbelebt - und das Künstlerhaus ist finanziell so ausgedörrt, daß es sich attraktive Ausstellungen nicht mehr leisten kann.

Der Baurechtszins lockt

Die wunderbare Raumvermehrung unterm Karlsplatz ist ein vier Jahre alter Plan der Architekten Christian Jabornegg und András Palffy - Ergebnis eines vom Künstlerhaus ausgeschriebenen Wettbewerbs. Davon würden 447 Quadratmeter - genau die nun fertiggestellte Kaverne - auf Stadtgrund stehen, die restlichen 3500 auf Vereinsgrund. Die 447-Quadratmeter-Halle läßt sich dem Künstlerhaus nur zuschlagen, wenn von dort Zugänge gebaut werden. Ein Konzept zur Sanierung der Vereinsfinanzen: Die Stadt bezahlt den Tiefbau (und dem Künstlerhaus in alle Ewigkeit einen Baurechtszins) und macht dort unten Kunst- und Kulturbetrieb nach seinem politischen Gusto; zu ebener Erde und im ersten Stock aber plant der dann wieder liquide bürgerliche Verein das Programm. Freilich fehlen in den Jabornegg-Pálffy-Plänen getrennte Eingänge, Kassen, Garderoben, Fluchtwege. Sodaß Vereinsmitglieder befürchteten, der Investor Stadt könnte das Künstlerhaus als ganzes schlucken.

Neubau über der Erde?

Die Baugruben sind inzwischen geschlossen, die MA 28 (Straßenbau) arbeitet längst an der Neugestaltung des Vorplatzes zwischen Musikverein und Künstlerhaus. Den 1868 eröffneten Künstlerpalast jetzt mit Entschuldungskellern zu unterhöhlen, käme wesentlich teurer als noch vor zwei Jahren.

Dennoch machte sich der (magistratsnahe) Architekturkritiker Jan Tabor im "Falter" für dieses Investment stark: Wenn die Republik die erst letzten Herbst im Museumsquartier eröffnete städtische "Kunsthalle" kauft und dem Museum moderner Kunst zuschlägt, kommt soviel Geld in die Stadtkasse, daß damit die 4000-Ausstellungsquadratmeter gebaut und eingerichtet werden können. Eine Rechnung ohne den Wirt! Dem Bund fehle das Geld, beteuert der Museumsquartier-Leiter Wolfgang Waldner.

Nächste Weichenstellungen sollen, so die Sprecherin von Mailath-Pokorny, im Herbst im Magistrat bekannt gegeben werden, sobald ein Nachfolger für den - unschön fortkomplimentierten - Direktor Günter Düriegl im Historischen Museum der Stadt Wien, vis-à-vis am Karlsplatz, gekürt ist. Bei den Oppositionsparteien im Gemeinderat ist Mailath-Pokornys Karlsplatz-Konzept noch nicht bekannt.

Die kostspielige Unterbauung des Künstlerhauses scheint aber bereits vom Tisch zu sein. Jetzt wird an den Neubau für die Kunsthalle Wien nahe von Verkehrsbüro und Secession gedacht - im Zuge einer neuen Führung der Verkehrsströme. Dem Künstlerhaus droht ohne massive kommunale Zuschüsse für seinen Betrieb der Konkurs. Dann könnte sich dort der städtische Kulturbetrieb - etwa als Erweiterung des Historischen Museums - auch ohne irre Tiefbaukosten breitmachen.



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