Abstieg durch das Musikvereinsgebäude. Sieben Meter unter
dem Karlsplatz. Dumpf hallt jedes Wort, wenn der U-Bahn-Bauingenieur
Martin Heyda die Lage erklärt. Mit einem Handscheinwerfer leuchtet er die
Ecken der Betonkaverne aus: vierzig Meter lang, zehn Meter breit, sieben
Meter hoch. Dieser Hohlraum blieb übrig, als darunter die Wendeanlage für
die U-Bahnzüge verlängert wurde. War das notwendig? "Nach der Verlängerung
der U 2 über die Donau fahren statt der Kurzzüge mit vier Waggons Vollzüge
mit sechs Waggons."
Schon am 26. Juli war hier der Rohbau abgeschlossen. Die
elektrischen Installationen dauern noch bis Ende 2003, zuerst muß in der
Lerchenfelder Straße ein neues Stellwerk fertig werden. Spricht Ingenieur
Heyda von der doppelten Gleisharfe unter uns, meint man
Glasharfe zu hören. Eine verzeihliche Fehlleistung im Musikverein.
Der Weg hinunter, wo es finster und still ist wie in
einem Grab, führt am unterirdischen Alberto-Vilar-Konzertsaal vorbei. Eine
spektakuläre Erweiterung! Bis Dezember 2003 muß sie fertig sein, für
Jänner 2004 sind erste Proben angesetzt.
Die künftigen Archivräume der Gesellschaft der
Musikfreunde grenzen an den sonst zuganglosen Riesenkubus an. "Wir könnten
ihn gut gebrauchen für unsere Musikinstrumentensammlung, die derzeit auf
Burgen und Schlösser und das Kunsthistorische Museum verteilt ist",
beteuert der mit nach unten gestiegene Vertreter des Musikvereins. "Wir
haben aber eine fünfjährige Option auf diesen Raum", kontert der mit nach
unten gestiegene Vertreter des Künstlerhauses, zu ebener Erde Nachbar des
Musikvereins.
Wer darf den Hohlraum füllen? Die Stadt Wien hat noch
nichts entschieden, beteuert die mit nach unten gestiegene
Mediensprecherin von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. Der
Kulturstadtrat kündigte in einem "Presse"-Interview (18. Juli) 4000
neue Quadratmeter unterm Karlsplatz für kommunale Kunstsammlungen und
Kunstpräsentationen an.
Ein Aufschrei ging durch die Wiener Ausstellungsszene:
Wir haben schon zu viele Räume zu bespielen, und das Publikum wird nicht
mehr! Im März 2003 eröffnet die Albertina zwei neue Ausstellungshallen,
das jetzt leerstehende Museum des XX. Jahrhunderts im Schweizergarten wird
wiederbelebt - und das Künstlerhaus ist finanziell so ausgedörrt, daß es
sich attraktive Ausstellungen nicht mehr leisten kann.
Der Baurechtszins lockt
Die wunderbare Raumvermehrung unterm Karlsplatz ist ein
vier Jahre alter Plan der Architekten Christian Jabornegg und András
Palffy - Ergebnis eines vom Künstlerhaus ausgeschriebenen Wettbewerbs.
Davon würden 447 Quadratmeter - genau die nun fertiggestellte Kaverne -
auf Stadtgrund stehen, die restlichen 3500 auf Vereinsgrund. Die
447-Quadratmeter-Halle läßt sich dem Künstlerhaus nur zuschlagen, wenn von
dort Zugänge gebaut werden. Ein Konzept zur Sanierung der Vereinsfinanzen:
Die Stadt bezahlt den Tiefbau (und dem Künstlerhaus in alle Ewigkeit einen
Baurechtszins) und macht dort unten Kunst- und Kulturbetrieb nach seinem
politischen Gusto; zu ebener Erde und im ersten Stock aber plant der dann
wieder liquide bürgerliche Verein das Programm. Freilich fehlen in den
Jabornegg-Pálffy-Plänen getrennte Eingänge, Kassen, Garderoben,
Fluchtwege. Sodaß Vereinsmitglieder befürchteten, der Investor Stadt
könnte das Künstlerhaus als ganzes schlucken.
Neubau über der Erde?
Die Baugruben sind inzwischen geschlossen, die MA 28
(Straßenbau) arbeitet längst an der Neugestaltung des Vorplatzes zwischen
Musikverein und Künstlerhaus. Den 1868 eröffneten Künstlerpalast jetzt mit
Entschuldungskellern zu unterhöhlen, käme wesentlich teurer als noch vor
zwei Jahren.
Dennoch machte sich der (magistratsnahe)
Architekturkritiker Jan Tabor im "Falter" für dieses Investment stark:
Wenn die Republik die erst letzten Herbst im Museumsquartier eröffnete
städtische "Kunsthalle" kauft und dem Museum moderner Kunst zuschlägt,
kommt soviel Geld in die Stadtkasse, daß damit die
4000-Ausstellungsquadratmeter gebaut und eingerichtet werden können. Eine
Rechnung ohne den Wirt! Dem Bund fehle das Geld, beteuert der
Museumsquartier-Leiter Wolfgang Waldner.
Nächste Weichenstellungen sollen, so die Sprecherin von
Mailath-Pokorny, im Herbst im Magistrat bekannt gegeben werden, sobald ein
Nachfolger für den - unschön fortkomplimentierten - Direktor Günter
Düriegl im Historischen Museum der Stadt Wien, vis-à-vis am Karlsplatz,
gekürt ist. Bei den Oppositionsparteien im Gemeinderat ist
Mailath-Pokornys Karlsplatz-Konzept noch nicht bekannt.
Die kostspielige Unterbauung des Künstlerhauses scheint
aber bereits vom Tisch zu sein. Jetzt wird an den Neubau für die
Kunsthalle Wien nahe von Verkehrsbüro und Secession gedacht - im Zuge
einer neuen Führung der Verkehrsströme. Dem Künstlerhaus droht ohne
massive kommunale Zuschüsse für seinen Betrieb der Konkurs. Dann könnte
sich dort der städtische Kulturbetrieb - etwa als Erweiterung des
Historischen Museums - auch ohne irre Tiefbaukosten breitmachen.
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