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Kunstberichte
Jürgen Klaukes performative Fotokunst im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe

Die Doppelbödigkeiten des Spiels

Verfemte Orte des Todes 
thematisiert Jürgen Klauke in seiner Serie "Schlachtfelder" 
(Ausschnitt).

Verfemte Orte des Todes thematisiert Jürgen Klauke in seiner Serie "Schlachtfelder" (Ausschnitt). (© Jürgen Klauke/VG Bild-Kunst, Bonn 2010)

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Jürgen Klauke gilt ein als Pionier der performativen Fotokunst.
Aufzählung Selbstinszenierung als Kunstfigur.

Karlsruhe. Transfiguration bedeutet in der Kunst Jürgen Klaukes nicht religiöse Verklärung, sondern Sichtbarmachen der scheinbaren Auflösung des Körpers mittels Fotografie. Wundersam zeigt er sich in performativen Akten schwarz gekleidet im Rollenspiel des Magiers und als im "Wackelkontakt" zu scheitern drohender Wahrnehmungsakrobat.

Damit gelingt es dem Künstler, in Serien von Foto-Tableaus vieldeutige Positionen und Geschlechterfragen in unserer Gegenwart zu verbildlichen. Er entfaltet Aspekte eines "desaströsen Ich" im "ästhetischen Aufruhr" einer Arbeit "Gegen den Tag". Sein perfekter Umgang mit Fotografie und neuen Medien gestattet die variationsreiche Kritik am Bildersalat und an der Informationsflut heute. Wer annimmt, es geht dabei um dunkle Melancholie, wird durch das Auffächern schwarzer Ironie nahe der Lächerlichkeit überrascht.

Ästhetische Paranoia

Erstmals kommt der Pionier der performativen Fotokunst und Kritiker gesellschaftlich normierter Geschlechter-Identitäten mit neuen Werkgruppen von 2003 bis 2010 Ende Oktober ins Museum der Moderne nach Salzburg. Wien hat es leider verabsäumt, die derzeit im ZKM Karlsruhe laufende Personale "Ästhetische Paranoia" zu übernehmen. Das ist umso bedauerlicher, als Klauke Kunst und Psychologie sowie soziologische Aspekte neben seiner theatralischen Fotoinszenierung in aktuellem Diskurs verbindet.

Sein Cross-over zwischen Fotografie, Performance und Zeichnung ist für die junge Szene von großem Einfluss. Neugegründete Zeitschriften der jungen Szene wie "version" oder "fair" widmen ihm ganze Hefte – ganz, wie die Generation davor Marcel Duchamp zur geistigen Vaterfigur erhoben hat. Ob dies auch die Frische und Aktualität seiner Konzepte bewirkt, gilt es zu hinterfragen. Schon in den siebziger Jahren fiel Klauke durch eine besondere Behandlung der Body Art auf, als er sich in Verkleidungen zur Frau transformierte, das Tabu Langeweile thematisierte und dann 1987 mit Ton, Projektion und Sprachspiel plus Aktion anlässlich der "documeta 8" die "Expanded Performance" kreierte.

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Jürgen Klauke. Foto: Wikipedia/Ordelman

Klauke knüpft mit seinen fotografischen Serienkonzepten sogar an Sigmund Freud und Jean-Martin Charcot, aber auch an Dalis "paranoisch-kritische" Methode an. Die Bildsprache der Hysterie der beiden Seelenforscher, hat

unsere Betrachtung von Ver-sehrtheit und Identitätsverlust geprägt.

Die Ärzte nutzten das Foto als Verzeichnis psychischer Grenzwerte, Klauke erweitert das medizinische Modell mit mokant anarchischem Spiel über die Lösung von der Schwerkraft bis zum Verschwinden des Akteurs. Damit wird er zum Double, zur Kunstfigur, die schon Dali nutzte, um mit Übertreibung das Unsichtbare phantastischer Vorstellungen in der Alltagsrealität sichtbar zu machen. Meret Oppenheims Einsatz der Röntgenfotografie erweiterte Klauke 1987 um die Selbstdarstellung im Kofferschacht am nächtlichen Kölner Flughafen, wobei das Durchleuchten auch ständige Überwachung zum Ausdruck bringt.

Der Psychoanalytiker Jacques Lacan sieht die Wahrnehmungsstörung Paranoia durch Interpretation des Gesehenen ausgelöst: Was immer wahrgenommen wird, es wird anders interpretiert, als es sich zeigt. Heute sind wir alle durch die ständig einwirkenden Datenströme unterschwellig in psychischen und sozialen Prozessen der Paranoia nahe. Die von Lacan beschriebene Absurdität unseres Lebens und gesellschaftlich auferlegter Zwänge nimmt Klauke aufs Korn.

Gespaltene Natur

Wir sind zwar nicht krank, leben aber mit einer vielfach gespaltenen inneren Natur, die Symptome können Kontaktstörungen aller Art auslösen. Vom Menschlichen ist der "Wackelkontakt" dann auch mit Ding-Tücke auf unsere Umräume samt Gegenständen übertragbar. Kabel und Möbel verhalten sich auf Klaukes Bildserien infam, es gibt aber auch eine "Melancholie der Stühle". Äquivalente zu Kafka sieht Slavoj Zizek in diesen Zonen des Unaussprechlichen. Eine solche zeigt formlose Fleischreste in den Schlachthöfen der monumentalen Farbfotoserie "Schlachtfelder" von 2009/10. Ein "Memento mori" von 16 Meter Breite, 144 Farbfotos enthaltend, immer alternierend mit performativen Fragmenten seines kopflos jonglierenden Selbst. Die verfemten Orte des Todes enthalten abstoßende Reste der Verwesung innerer Organe, die uns westlichen Jugend- und Reinlichkeitswahn neben unserer abstrakt gewordenen Nahrungsmittelkette vor Augen führen. Doch eigentlich ist es Bildbühne wie schon Picassos "Guernica"-Gemälde.

Klauke dekonstruiert das dialogische System des Schrecklich-Schönen in seinem Werk. Die so vorgeführte plurale Persönlichkeit zeigt aber statt der Krankheit die Autonomie des Individuums. Nachdem der Künstler sich schon in den siebziger Jahren parallel zu Jean-François Lyotard mit einer Alternative zu linearen Erzählsträngen auseinandersetzte, ist die Offenheit der eingeflochtenen Sprachkonzepte auch mit dem Wiener Philosophen Ludwig

Wittgenstein zu verbinden.

Klauke baut zwei Sprachräume und ein Environment mit sieben Plasmabildschirmen mit Titeln wie "Komm Kunst komm", "We walk we talk" oder "Ich gehe ich stehe". Alternative Denkräume, die seine typischen erweiterten Theaterkonzepte, Sprachspiele und den Einsatz experimenteller Musik zur Medienkunst integrieren.

Das hypersensible Spiel hat in der formauflösenden nächtlich-schwarzen Umgebung auch erotische Aspekte – wenn sich der "Attraktive Attraktor" mit Haarsäulen beschwert oder gegen medusenhaften Haarmengen am weißen Bett ankämpft, ist die Sehnsucht nach Verbindung, das Begehren, eigentliches Grundmotiv der Kunst. Philosoph Peter Sloterdijk konstatiert Klauke im Katalog, die "schlimme Vernunft" unserer Kultur mit Talent zum "bösem Blick" sichtbar zu machen. Der Antifaustus schenkt uns aber mit Augenzwinkern immer auch eine "Daseinsrenovierung" – so der Titel einer Werkserie 1996/97.

ZKM Karlsruhe: "Jürgen Klauke. Ästhetische Paranoia"; Peter Weibel (Kurator), zu sehen bis 3. Oktober 2010

Aufzählung Zur Person:

Jürgen Klauke wurde am 6. September 1943 in Kliding bei Cochem an der Mosel geboren. Er studierte von 1964 bis 1970 freie Grafik an den Kölner Werkschulen und wurde zum Meisterschüler bei Alfred Will ernannt. Seit 1993 ist er Professor für künstlerische Fotografie an der Kunsthochschule für Medien in Köln.

Klauke arbeitete früh mit Polaroids, wobei er in der Vorbereitung kurze sogenannte "Story boards" erstellt, auf denen er die Abläufe fixiert. Parallel zu den Photoarbeiten entwirft Klauke seine Performances, die er als Videoarbeiten festhält.

Jürgen Klauke sagt über seine Arbeit: "Ich sehe die Kunst als Ausdruck von Freiheit, nicht l’art pour l’art, sondern dem Leben zugewandt, und ich versuche meine Erfahrungen, Erinnerungsreste sowie Ablagerungen meines Unterbewusstsein im Bild mitschwingen zu lassen. Ich kann nicht übersehen, dass wir in einer Welt voller Gewalt, Zynismus und Mittelmäßigkeit leben. Gleichzeitig erfahre ich auch die andere Seite. Von beiden Teilen lassen meine Arbeiten hoffentlich etwas ahnen von der grotesken Unzulänglichkeit des Daseins."



Printausgabe vom Dienstag, 17. August 2010
Online seit: Montag, 16. August 2010 17:49:00

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