Kunstdiskurs

Documenta-Plattform 1 startet in Wien - vier Wochen Diskussionen um "Demokratie als unvollendeter Prozess".
Von Roland Schöny.


Das Erdgeschoß der Akademie der bildenden Künste in Wien gleicht einem universitären Camp, in dem man sich in jeder Hinsicht darauf vorbereitet hat, detaillierte theoretische Debatten auf hohem Niveau zu führen. Es wurde nicht bloß die Säulenhalle des historizistischen Gebäudes in einen riesigen Vortragssaal mit Simultan-Übersetzungskabinen umgewandelt. Zur Aufarbeitung der Diskussionsbeiträge, die hier in den kommenden vier Wochen geboten werden, hat der Künstler Heimo Zobernig gemeinsam mit seinen Studenten auch eine Lounge mit Bibliothek eingerichtet.

Ein schlichtes Bücherregal läuft dort die ganze Wand entlang. Jede Menge Publikationen von Ökonomen, Soziologen und Kulturtheoretikern liegen dort auf. Die Möblierung wurde aus Depots zusammengeholt und besteht aus alten Sofas, Ohrensesseln oder gemütlichen Stühlen im Empirestil. Studenten und andere Interessierte werden hier Interviews und Gespräche mit den einzelnen Referenten führen können.

Demokratie-Diskurs

Okwui Enwezor (r.) und Boris Groys
Okwui Enwezor (r.) und Boris Groys
Hier wird also gearbeitet. Mit dem Motto dieser ersten Documenta-
Plattform Demokratie als unvollendeter Prozess reagiert Documenta-Leiter Okwui Enwezor auf eine der zentralen Fragen, die in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von politisch denkenden Künstlern aufgeworfen wurden. Deshalb, so erklärt er immer wieder, soll nun ein diskursiver Raum für dieses Thema eröffnet werden.

Keinesfalls aber, so Okwui Enwezor, möchte er die Behauptung aufstellen, dass künstlerische Arbeit eine Illustration von Theorie sei. Doch im Rahmen dieser Documenta-Plattformen, die auch für Städte wie New Delhi, Johannesburg, St. Lucia oder Berlin geplant sind, sollen der gesellschaftspolitische Hintergrund und die lokal bestimmten Zusammenhänge geklärt werden, vor denen Kunst heute entsteht.

Kein direkter Österreich-Diskurs

Dass in Wien die erste dieser Documenta-Plattformen über die Bühne gehe, habe übrigens nichts mit den internationalen Diskussionen um die österreichische Bundesregierung zu tun, betont Enwezor. Eine Debatte um den aktuellen Stand der Demokratie müsse man auch in Bezug auf zahlreiche andere Länder der Erde führen.

Es hat auch einen praktischen Grund, dass die Wahl auf Wien als Ausgangsort der Documenta gefallen ist. Denn das Institut für Gegenwartskunst an der Akademie mit dem neuen Rektor Boris Groys bietet auch eine entsprechende Infrastruktur. Außerdem ist die Leiterin Uta Meta Bauer eine der Ko-Kuratorinnen der Documenta 11.

Ute Meta Bauer, Boris Groys und Okwui Enwezor / ©Bild: APA
Ute Meta Bauer, Boris Groys und Okwui Enwezor / ©Bild: APA

Die Vorträge

Allein für den Eröffnungstag sind fünf prominent besetzte Vorträge angesagt. Unter anderem sprechen der Wirtschaftshistoriker Immanuel Wallerstein, die Sozialwissenschaftlerin Chantal Mouffe oder der Philosoph Slavoj Zizek. Außerdem der in New York lehrende Philosoph Akeel Bilgrami. Er konstatiert, dass der Begriff der Demokratie neu hinterfragt werden muss und erinnert daran, dass Demokratie zur Zeit der Französischen Revolution aus einer Massenbewegung entstanden sei.

Heute jedoch stelle sich die Frage, ob nicht längst Widersprüche zwischen dem Wunsch der Bevölkerung und den Institutionen aufgetreten seien. Und vor allem die Frage danach, was der Wunsch der so genannten breiten Masse bedeuten würde, so Bilgrami.

Theorie-Debatte

Eine spannende Debatte also dürfte zu erwarten sein. Spannend aber auch die Frage, wie die teilnehmenden Kunststudenten solche Theoriepakete in ihre Arbeit integrieren.

Dass Documenta-Leiter Okwui Enwezor Kunst lediglich zu Belegstücken für Theorie macht, dürfte kaum zu erwarten sein. Denn mit seiner zur Zeit in München laufenden Ausstellung "The Short Century" hat er gezeigt, dass er durchaus in einem klassischen Sinn auf die Stärke des einzelnen Werks setzt.

Link: Documenta 11

Radio …sterreich 1