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Schluss mit Sushi

Rubens, Canaletto und Giuliani: Wiens Museen packen ihre Barockbestände aus. In der Epoche der Türkenbelagerung, Jesuiten und fetten Paläste blieb in Wien kein Stein auf dem anderen. Habsburger, Austrofaschisten und Nazis missbrauchten das barocke Erbe für ihre Zwecke. Eine Bestandsaufnahme.
 
Falter 12/2005 vom 23.3.2005
Ressort Kultur > Kunst
Autor Matthias Dusini


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Die Fahrt in den Himmel ist kostenlos für Kinder bis zehn. Sie dauert keine Minute und beginnt am Marmorplafond der Karlskirche. Schon der verglaste Aufzug ist nichts für Menschen mit Höhenangst. In fünfzig Metern Höhe erreicht der Lift die Plattform, die für die Restaurierung der Fresken errichtet wurde. Das Schwindelgefühl steigert sich dann beim Besteigen eines weiteren Aufgangs. Das unter den Schritten der Besucher bedrohlich vibrierende Gerüst führt weiter nach oben, immer näher an die von Johann Michael Rottmayr (1654–1730) gemalten Heiligen heran. Furchtlos lassen sie die Füße von den Haufenwolken baumeln. Schließlich erreicht man die Spitze der Kuppel, wo der Heilige Geist in Gestalt einer Taube fliegt. Durch die rundherum laufende Fensterfront eröffnet sich ein weiter Ausblick auf jene Stadt, die einige ihrer prächtigsten Bauten der barocken Epoche verdankt. Die Anfang des 18. Jahrhunderts von Fischer von Erlach zur Verherrlichung des katholischen Hauses Habsburg entworfene Kirche ist deren Juwel.
„Der Barock lebt“, wirbt das Liechtenstein-Museum, das vor einem Jahr als Sitz der großen Privatsammlung des Fürsten Liechtenstein eröffnet wurde, für die Ausstellung über den Bildhauer Giovanni Giuliani (1664–1744). In neuem Glanz erstrahlen die vom Karlskirche-Künstler Rottmayr gemalten Treppenhausfresken, die bei der Sanierung des Gebäudes vor drei Jahren wiederentdeckt wurden. Für die Giuliani-Ausstellung wurde auch das von ihm drapierte Stiegenhaus im Liechtenstein’schen Stadtpalais in der Bankgasse geöffnet, das in den nächsten Jahren als Dependance hergerichtet werden soll. Vor lauter Barock möchte man meinen, der als schwülstig und gekünstelt verschriene Stil träfe den Geschmack der Gegenwart.
Mailänder Themenrestaurants rufen mit üppigen Speisekarten und überladenen Dekorationen den „stile barocco“ aus, als Antithese zu den minimalistischen Arrangements des vergangenen Sushi-Jahrzehnts. Museen in halb Europa zeigten im letzten Jahr Gemälde des Malerfürsten Peter Paul Rubens. In Wien begann die Albertina mit einer Rubens-Schau, dann folgte das Liechtenstein-Museum gemeinsam mit der Gemäldegalerie der Akademie und dem Kunsthistorischen Museum (KHM). Nun ist dort eine große Werkschau des spätbarocken Vedutenmalers Bernardo Bellotto, genannt Canaletto (1722–1780), zu sehen.
„Der Barock war nie tot“, behauptet Luigi Ronzoni, der Kurator der Giuliani-Schau. Wer diesen Spezialisten für Barockskulptur treffen möchte, muss sich ins nördliche Weinviertel begeben, wo der Wiener mit italienischen Vorfahren in einem Bauernhaus wohnt. Von dem Aufzug in der Karlskirche hält er nicht viel. Man lerne nichts über das Fresko, indem man ihm zu nahe kommt. Die rasch auf feuchten Mörtel gemalten Pinselstriche wirken grob, ordinär die perspektivisch versetzten Nasen und Zehen der Heiligen. Auch die Hell-Dunkel-Effekte würden erst aus einiger Entfernung zu einer Illusion augenfällig zusammenrinnen. „Eine Kulisse interessiert mich auch nicht von hinten“, sagt Ronzoni. Genauso wenig wie der angebliche Barocktrend der Gegenwart. Der folge, wie andere Trends auch, dem aus der Wirtschaft bekannten Schweinezyklus: Der Bauer züchtet mehr Schweine, wenn er sieht, dass die Fleischpreise steigen. So lange, bis zu viele davon am Markt sind.
Der 67-jährige Kunsthistoriker holt weit aus, wenn er auf sein Spezialgebiet zu sprechen kommt. Er spannt den Bogen von der lokalen Geschichte seines Wohnortes Sitzendorf zu den großen Bauprojekten in Wien, das sich nach der zweiten Türkenbelagerung 1683 von einer mittelalterlichen Kleinstadt zu einer glanzvollen Residenzstadt entwickelte. Begonnen hat alles damit, dass die Weinviertler rasch den Lehren des abtrünnigen Mönchs Martin Luther folgten und protestantisch wurden.

Ronzoni deutet mit der Hand auf den Hügel über Sitzendorf. Hier standen im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) die schlecht positionierten kaiserlichen Soldaten, die nicht auf die protestantischen Truppen schießen konnten, weil die eigene Reiterei dazwischen stand. 1700 gefallene Soldaten liegen hier irgendwo. Und plötzlich bricht, aus der Mitte der toten Geschichte, die Gegenwart hervor. Denn der heutige Reichtum der Fürstenfamilie Liechtenstein wurzelt ein wenig auch in dieser Gegend. Die Liechtensteins hielten die Hand auf, als nach der Niederschlagung des Aufstands der tschechischen Adeligen die Beute unter den Kaisertreuen aufgeteilt wurde. Immense Summen flossen in der Folge in Prunkbauten, und die besten Künstler der Zeit erhielten Aufträge. So kam auch der große Rubens in die Roßau.
Als Canaletto 1759 nach Wien kam, um für Kaiserin Maria Theresia und die Fürsten ihres Hofes zu malen, war das Liechtenstein’sche Sommerpalais längst fertig. Zwei Ansichten davon hängen nicht in der Werkschau im KHM, sondern zu Hause in der Giuliani-Schau im Liechtenstein-Museum. Aus gutem Grund, sind doch darauf etliche der nicht mehr erhaltenen Skulpturen zu sehen, die Giovanni Giuliani für den barocken Garten entwarf.
Canaletto malte im selben Jahr auch die berühmte Ansicht vom Oberen Belvedere auf die innere Stadt. Heutige Kritiker weiterer Hochhauspläne berufen sich auf den Canaletto-Blick, um eine angeblich noch intakte Silhouette des historischen Zentrums zu bewahren. Dabei ist bis auf den Stephansdom davon kaum mehr etwas übrig geblieben. Übersehen wird dabei auch, dass das gute, alte Wien auf dem Bild zum Großteil aus zeitgenössischer Architektur bestand.
Der Bildhauer Giuliani ist kein so berühmter Mann wie der Maler Canaletto. Daran wird auch Luigi Ronzoni nichts ändern, obwohl er viel getan hat für den Künstler, dessen muskulöse Atlanten aus Sandstein grimmig auf Finanzminister Karl-Heinz Grasser herunterblicken, wenn der das Stiegenhaus seines Ministeriums hochsteigt. Fischer von Erlach baute für Prinz Eugen nicht nur das Schloss Belvedere, sondern auch das Winterpalais in der Himmelpfortgasse. Dort dürfen heute nur Beamte hinein. Ronzoni fuhr weiter, um zu Giuliani zu kommen: 126 Mal steuerte er das zwei Autostunden entfernte Stift Heiligenkreuz in der Nähe von Baden an. Vor drei Jahren, beim ersten Besuch, war er verzweifelt. Das letzte Hochwasser hatte das Kloster, wo Giuliani jahrzehntelang arbeitete, unter Wasser gesetzt. Schimmel überzog in der Folge die Dutzenden Bozzetti, kleine in Ton gebrannte Vorlagen für die monumentalen Skulpturen in den Kirchen und Palais.
Nun stehen sie, frisch gereinigt, in Reih und Glied im Liechtenstein-Museum. Und sagen wenig. Die biblischen und antiken Motive sind für den modernen Betrachter nicht mehr nachvollziehbar. Giuliani sei kein genialer Künstler gewesen, eher ein braver Bildhauer für Stein und Holz, relativiert Ronzoni. Aber seine Werkstatt war groß, viele Gesellen verbreiteten seinen Stil. An Aufträgen für Kirchen und Paläste sollte es ihnen nicht mangeln, bis sich dann, etwa zur Zeit Canalettos, eine andere Sicht der Dinge durchsetzte.
Schuld daran war auch ein weiterer Auftraggeber Canalettos, der aufgeklärte Staatsmann Fürst Kaunitz. In einem Budapester Bild, das leider nicht im KHM zu sehen ist, steht er auf dem Balkon seines Palais in Mariahilf. Neben seiner Tätigkeit als Staatskanzler hatte er auch noch die Muse, als Prorector der Akademie deren Lehrpläne mitzubestimmen. Und so schickte er die ersten Studenten zum Studium der Antike nach Rom. Der Klassizismus bestimmte nunmehr wie Kunst auszusehen habe. Giuliani und seine Barockgesellen mit ihren künstlich verdrehten Figuren verschwanden im Depot.
Während der Barockzeit blieb in Wien kein Stein auf dem anderen. Noch einschneidender war das 19. Jahrhundert. Kaum ein Barockpalais überstand diese Zeit unbeschadet. Die Zerstörung fällt aber nicht weiter auf, denn das Zeitalter des Historismus war barocker als der Barock. Zwar wurde die innere Stadt gnadenlos von Marienstatuen gesäubert, der barocke Regensburger Hof wurde aber rekonstruiert. Rokokostukkaturen wurden durch Neorokokostuck ersetzt. Nach der Revolution 1848 flogen die am französischen Empirestil orientierten Biedermeiermöbel aus den kaiserlichen Wohnungen. Hinein kamen neobarocke Schwülstigkeiten, die an die Zeit unbegrenzter imperialer Machtfülle erinnerten. Noch am Ende der Monarchie verlor der moderne Architekt Otto Wagner den Wettbewerb für den Bau des Kriegsministeriums am Stubenring gegen den antimodernen Barockisten Ludwig Baumann.
Dieser sogenannte zweite Barock hinterließ tiefe Spuren im Selbstbild Österreichs. Die roten Wandbespannungen, der sogenannte Ananasdamast, und weiße, krapfenartige Sessel mit Goldrand bilden die Kulisse der Pressekonferenzen des Bundespräsidenten in der Hofburg. Karl-Heinz Böhm brach als Kaiser Franz Joseph II. nach einem Krach mit seiner Frau „Sissi“ im Film über einem Neobarocktisch zusammen, der aus dem Wohnzimmer von Feldmarschall Radetzky stammte. Auf demselben Tisch hatte wenige Wochen vor dem Dreh Außenminister Leopold Figl den Staatsvertrag unterschrieben.
Vorher hatte schon der Austrofaschismus die barocke Vergangenheit als katholisch-österreichisch beschworen. Der Austro-Duce Engelbert Dollfuß starb nach dem Putschversuch durch Nazis stilgerecht auf einer neobarocken Couch. Auch die Nazis plünderten den barocken Zeichenfundus für ihre Zwecke. Der NS-Kunsthistoriker Hans Sedlmayr schrieb ein Standardwerk über Fischer von Erlach und glaubte in ihm das „Deutsche im ostmärkischen Wesen“ ausfindig gemacht zu haben.
Mentalitätsgeschichtlich wird immer dann auf den Barock verwiesen, wenn von absoluter Machtfülle und mangelnder demokratischer Kontrolle die Rede ist. So ist auch in der Diskussion über die Entwicklung der staatlichen Museen immer wieder von Museumsdirektoren die Rede, deren selbstherrliches Verhalten an das Gebaren absolutistischer Kurfürsten erinnert. Doch keiner von ihnen reicht an den italienischen Kunsthistoriker Vittorio Sgarbi heran, der unlängst mit dem Privatjet aus Rom nach Wien kam, um die für nächstes Jahr im Liechtenstein-Museum geplante Caravaggio-Ausstellung anzukündigen. Sgarbis Seitenscheitel kennt in Italien jeder, strich er ihn doch über Jahre hinweg in einer täglichen TV-Sendung auf einem Berlusconi-Kanal zur Seite. Der Günstling des italienischen Ministerpräsidenten verlor vor drei Jahren seinen Posten als Kulturstaatssekretär.
Er hatte die Pläne der Berlusconi-Regierung abgelehnt, die wichtigsten Kulturdenkmäler, von den Uffizien bis zur Römerstadt Pompei, an private Investoren zu verkaufen. Berlusconi selbst könnte sich beides leisten, wird doch vom Wirtschaftsmagazin Forbes sein Vermögen auf zwölf Milliarden Dollar geschätzt. Damit liegt er in der Liste der Superreichen auf Platz 25. Fürst Hans Adam II. von Liechtenstein flog hingegen aus der Wertung, da sein jahrhundertealtes Vermögen schwer zu bewerten sei. Vor drei Jahren noch wurde es von Forbes auf 1,8 Milliarden Dollar geschätzt.
Berlusconi wird dem Kunstsammler Liechtenstein, der erst unlängst ein Barockmöbel um 27 Millionen Euro erwarb, kaum in die Quere kommen. Laut Sgarbi bestand Berlusconis einzige Äußerung guten Geschmacks darin, dass er zwei alte Villen gekauft habe. An deren Wänden hängen kitschige Porträts von ihm und seiner Familie. Ob der ehemalige Bauunternehmer ein Beispiel für einen modernen Sonnenkönig sei, wollte der Falter von Sgarbi wissen. „Aber wo“, sagt der und streicht seinen Scheitel zur Seite. „Er ist nur ein kleines Arschloch.“

„Canaletto – Europäische Veduten“: bis 19.6. im Kunsthistorisches Museum (1., Maria-Theresien-Platz). Information: www.khm.at.

„Giovanni Giuliani“: bis 2.10. im Liechtenstein Museum (9., Fürstengasse 1) Information: www.liechtensteinmuseum.at

„Alt-Wien – Die Stadt, die niemals war“: bis 28.3. im Künstlerhaus (1., Karlsplatz 5). Information: wienmuseum.at.

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