Schluss mit Sushi
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Die Fahrt in den Himmel ist kostenlos für Kinder bis zehn. Sie dauert
keine Minute und beginnt am Marmorplafond der Karlskirche. Schon der
verglaste Aufzug ist nichts für Menschen mit Höhenangst. In fünfzig
Metern Höhe erreicht der Lift die Plattform, die für die Restaurierung
der Fresken errichtet wurde. Das Schwindelgefühl steigert sich dann
beim Besteigen eines weiteren Aufgangs. Das unter den Schritten der
Besucher bedrohlich vibrierende Gerüst führt weiter nach oben, immer
näher an die von Johann Michael Rottmayr (1654–1730) gemalten Heiligen
heran. Furchtlos lassen sie die Füße von den Haufenwolken baumeln.
Schließlich erreicht man die Spitze der Kuppel, wo der Heilige Geist in
Gestalt einer Taube fliegt. Durch die rundherum laufende Fensterfront
eröffnet sich ein weiter Ausblick auf jene Stadt, die einige ihrer
prächtigsten Bauten der barocken Epoche verdankt. Die Anfang des 18.
Jahrhunderts von Fischer von Erlach zur Verherrlichung des katholischen
Hauses Habsburg entworfene Kirche ist deren Juwel.
„Der Barock lebt“, wirbt das Liechtenstein-Museum, das vor einem Jahr
als Sitz der großen Privatsammlung des Fürsten Liechtenstein eröffnet
wurde, für die Ausstellung über den Bildhauer Giovanni Giuliani
(1664–1744). In neuem Glanz erstrahlen die vom Karlskirche-Künstler
Rottmayr gemalten Treppenhausfresken, die bei der Sanierung des
Gebäudes vor drei Jahren wiederentdeckt wurden. Für die
Giuliani-Ausstellung wurde auch das von ihm drapierte Stiegenhaus im
Liechtenstein’schen Stadtpalais in der Bankgasse geöffnet, das in den
nächsten Jahren als Dependance hergerichtet werden soll. Vor lauter
Barock möchte man meinen, der als schwülstig und gekünstelt verschriene
Stil träfe den Geschmack der Gegenwart.
Mailänder Themenrestaurants rufen mit üppigen Speisekarten und
überladenen Dekorationen den „stile barocco“ aus, als Antithese zu den
minimalistischen Arrangements des vergangenen Sushi-Jahrzehnts. Museen
in halb Europa zeigten im letzten Jahr Gemälde des Malerfürsten Peter
Paul Rubens. In Wien begann die Albertina mit einer Rubens-Schau, dann
folgte das Liechtenstein-Museum gemeinsam mit der Gemäldegalerie der
Akademie und dem Kunsthistorischen Museum (KHM). Nun ist dort eine
große Werkschau des spätbarocken Vedutenmalers Bernardo Bellotto,
genannt Canaletto (1722–1780), zu sehen.
„Der Barock war nie tot“, behauptet Luigi Ronzoni, der Kurator der
Giuliani-Schau. Wer diesen Spezialisten für Barockskulptur treffen
möchte, muss sich ins nördliche Weinviertel begeben, wo der Wiener mit
italienischen Vorfahren in einem Bauernhaus wohnt. Von dem Aufzug in
der Karlskirche hält er nicht viel. Man lerne nichts über das Fresko,
indem man ihm zu nahe kommt. Die rasch auf feuchten Mörtel gemalten
Pinselstriche wirken grob, ordinär die perspektivisch versetzten Nasen
und Zehen der Heiligen. Auch die Hell-Dunkel-Effekte würden erst aus
einiger Entfernung zu einer Illusion augenfällig zusammenrinnen. „Eine
Kulisse interessiert mich auch nicht von hinten“, sagt Ronzoni. Genauso
wenig wie der angebliche Barocktrend der Gegenwart. Der folge, wie
andere Trends auch, dem aus der Wirtschaft bekannten Schweinezyklus:
Der Bauer züchtet mehr Schweine, wenn er sieht, dass die Fleischpreise
steigen. So lange, bis zu viele davon am Markt sind.
Der 67-jährige Kunsthistoriker holt weit aus, wenn er auf sein
Spezialgebiet zu sprechen kommt. Er spannt den Bogen von der lokalen
Geschichte seines Wohnortes Sitzendorf zu den großen Bauprojekten in
Wien, das sich nach der zweiten Türkenbelagerung 1683 von einer
mittelalterlichen Kleinstadt zu einer glanzvollen Residenzstadt
entwickelte. Begonnen hat alles damit, dass die Weinviertler rasch den
Lehren des abtrünnigen Mönchs Martin Luther folgten und protestantisch
wurden.
Ronzoni deutet mit der Hand auf den Hügel über Sitzendorf. Hier standen
im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) die schlecht positionierten
kaiserlichen Soldaten, die nicht auf die protestantischen Truppen
schießen konnten, weil die eigene Reiterei dazwischen stand. 1700
gefallene Soldaten liegen hier irgendwo. Und plötzlich bricht, aus der
Mitte der toten Geschichte, die Gegenwart hervor. Denn der heutige
Reichtum der Fürstenfamilie Liechtenstein wurzelt ein wenig auch in
dieser Gegend. Die Liechtensteins hielten die Hand auf, als nach der
Niederschlagung des Aufstands der tschechischen Adeligen die Beute
unter den Kaisertreuen aufgeteilt wurde. Immense Summen flossen in der
Folge in Prunkbauten, und die besten Künstler der Zeit erhielten
Aufträge. So kam auch der große Rubens in die Roßau.
Als Canaletto 1759 nach Wien kam, um für Kaiserin Maria Theresia und
die Fürsten ihres Hofes zu malen, war das Liechtenstein’sche
Sommerpalais längst fertig. Zwei Ansichten davon hängen nicht in der
Werkschau im KHM, sondern zu Hause in der Giuliani-Schau im
Liechtenstein-Museum. Aus gutem Grund, sind doch darauf etliche der
nicht mehr erhaltenen Skulpturen zu sehen, die Giovanni Giuliani für
den barocken Garten entwarf.
Canaletto malte im selben Jahr auch die berühmte Ansicht vom Oberen
Belvedere auf die innere Stadt. Heutige Kritiker weiterer Hochhauspläne
berufen sich auf den Canaletto-Blick, um eine angeblich noch intakte
Silhouette des historischen Zentrums zu bewahren. Dabei ist bis auf den
Stephansdom davon kaum mehr etwas übrig geblieben. Übersehen wird dabei
auch, dass das gute, alte Wien auf dem Bild zum Großteil aus
zeitgenössischer Architektur bestand.
Der Bildhauer Giuliani ist kein so berühmter Mann wie der Maler
Canaletto. Daran wird auch Luigi Ronzoni nichts ändern, obwohl er viel
getan hat für den Künstler, dessen muskulöse Atlanten aus Sandstein
grimmig auf Finanzminister Karl-Heinz Grasser herunterblicken, wenn der
das Stiegenhaus seines Ministeriums hochsteigt. Fischer von Erlach
baute für Prinz Eugen nicht nur das Schloss Belvedere, sondern auch das
Winterpalais in der Himmelpfortgasse. Dort dürfen heute nur Beamte
hinein. Ronzoni fuhr weiter, um zu Giuliani zu kommen: 126 Mal steuerte
er das zwei Autostunden entfernte Stift Heiligenkreuz in der Nähe von
Baden an. Vor drei Jahren, beim ersten Besuch, war er verzweifelt. Das
letzte Hochwasser hatte das Kloster, wo Giuliani jahrzehntelang
arbeitete, unter Wasser gesetzt. Schimmel überzog in der Folge die
Dutzenden Bozzetti, kleine in Ton gebrannte Vorlagen für die
monumentalen Skulpturen in den Kirchen und Palais.
Nun stehen sie, frisch gereinigt, in Reih und Glied im
Liechtenstein-Museum. Und sagen wenig. Die biblischen und antiken
Motive sind für den modernen Betrachter nicht mehr nachvollziehbar.
Giuliani sei kein genialer Künstler gewesen, eher ein braver Bildhauer
für Stein und Holz, relativiert Ronzoni. Aber seine Werkstatt war groß,
viele Gesellen verbreiteten seinen Stil. An Aufträgen für Kirchen und
Paläste sollte es ihnen nicht mangeln, bis sich dann, etwa zur Zeit
Canalettos, eine andere Sicht der Dinge durchsetzte.
Schuld daran war auch ein weiterer Auftraggeber Canalettos, der
aufgeklärte Staatsmann Fürst Kaunitz. In einem Budapester Bild, das
leider nicht im KHM zu sehen ist, steht er auf dem Balkon seines Palais
in Mariahilf. Neben seiner Tätigkeit als Staatskanzler hatte er auch
noch die Muse, als Prorector der Akademie deren Lehrpläne
mitzubestimmen. Und so schickte er die ersten Studenten zum Studium der
Antike nach Rom. Der Klassizismus bestimmte nunmehr wie Kunst
auszusehen habe. Giuliani und seine Barockgesellen mit ihren künstlich
verdrehten Figuren verschwanden im Depot.
Während der Barockzeit blieb in Wien kein Stein auf dem anderen. Noch
einschneidender war das 19. Jahrhundert. Kaum ein Barockpalais
überstand diese Zeit unbeschadet. Die Zerstörung fällt aber nicht
weiter auf, denn das Zeitalter des Historismus war barocker als der
Barock. Zwar wurde die innere Stadt gnadenlos von Marienstatuen
gesäubert, der barocke Regensburger Hof wurde aber rekonstruiert.
Rokokostukkaturen wurden durch Neorokokostuck ersetzt. Nach der
Revolution 1848 flogen die am französischen Empirestil orientierten
Biedermeiermöbel aus den kaiserlichen Wohnungen. Hinein kamen
neobarocke Schwülstigkeiten, die an die Zeit unbegrenzter imperialer
Machtfülle erinnerten. Noch am Ende der Monarchie verlor der moderne
Architekt Otto Wagner den Wettbewerb für den Bau des Kriegsministeriums
am Stubenring gegen den antimodernen Barockisten Ludwig Baumann.
Dieser sogenannte zweite Barock hinterließ tiefe Spuren im Selbstbild
Österreichs. Die roten Wandbespannungen, der sogenannte Ananasdamast,
und weiße, krapfenartige Sessel mit Goldrand bilden die Kulisse der
Pressekonferenzen des Bundespräsidenten in der Hofburg. Karl-Heinz Böhm
brach als Kaiser Franz Joseph II. nach einem Krach mit seiner Frau
„Sissi“ im Film über einem Neobarocktisch zusammen, der aus dem
Wohnzimmer von Feldmarschall Radetzky stammte. Auf demselben Tisch
hatte wenige Wochen vor dem Dreh Außenminister Leopold Figl den
Staatsvertrag unterschrieben.
Vorher hatte schon der Austrofaschismus die barocke Vergangenheit als
katholisch-österreichisch beschworen. Der Austro-Duce Engelbert Dollfuß
starb nach dem Putschversuch durch Nazis stilgerecht auf einer
neobarocken Couch. Auch die Nazis plünderten den barocken Zeichenfundus
für ihre Zwecke. Der NS-Kunsthistoriker Hans Sedlmayr schrieb ein
Standardwerk über Fischer von Erlach und glaubte in ihm das „Deutsche
im ostmärkischen Wesen“ ausfindig gemacht zu haben.
Mentalitätsgeschichtlich wird immer dann auf den Barock verwiesen, wenn
von absoluter Machtfülle und mangelnder demokratischer Kontrolle die
Rede ist. So ist auch in der Diskussion über die Entwicklung der
staatlichen Museen immer wieder von Museumsdirektoren die Rede, deren
selbstherrliches Verhalten an das Gebaren absolutistischer Kurfürsten
erinnert. Doch keiner von ihnen reicht an den italienischen
Kunsthistoriker Vittorio Sgarbi heran, der unlängst mit dem Privatjet
aus Rom nach Wien kam, um die für nächstes Jahr im Liechtenstein-Museum
geplante Caravaggio-Ausstellung anzukündigen. Sgarbis Seitenscheitel
kennt in Italien jeder, strich er ihn doch über Jahre hinweg in einer
täglichen TV-Sendung auf einem Berlusconi-Kanal zur Seite. Der
Günstling des italienischen Ministerpräsidenten verlor vor drei Jahren
seinen Posten als Kulturstaatssekretär.
Er hatte die Pläne der Berlusconi-Regierung abgelehnt, die wichtigsten
Kulturdenkmäler, von den Uffizien bis zur Römerstadt Pompei, an private
Investoren zu verkaufen. Berlusconi selbst könnte sich beides leisten,
wird doch vom Wirtschaftsmagazin Forbes sein Vermögen auf zwölf
Milliarden Dollar geschätzt. Damit liegt er in der Liste der
Superreichen auf Platz 25. Fürst Hans Adam II. von Liechtenstein flog
hingegen aus der Wertung, da sein jahrhundertealtes Vermögen schwer zu
bewerten sei. Vor drei Jahren noch wurde es von Forbes auf 1,8
Milliarden Dollar geschätzt.
Berlusconi wird dem Kunstsammler Liechtenstein, der erst unlängst ein
Barockmöbel um 27 Millionen Euro erwarb, kaum in die Quere kommen. Laut
Sgarbi bestand Berlusconis einzige Äußerung guten Geschmacks darin,
dass er zwei alte Villen gekauft habe. An deren Wänden hängen kitschige
Porträts von ihm und seiner Familie. Ob der ehemalige Bauunternehmer
ein Beispiel für einen modernen Sonnenkönig sei, wollte der Falter von
Sgarbi wissen. „Aber wo“, sagt der und streicht seinen Scheitel zur
Seite. „Er ist nur ein kleines Arschloch.“
„Canaletto – Europäische Veduten“: bis 19.6. im Kunsthistorisches Museum (1., Maria-Theresien-Platz). Information: www.khm.at.
„Giovanni Giuliani“: bis 2.10. im Liechtenstein Museum (9., Fürstengasse 1) Information: www.liechtensteinmuseum.at
„Alt-Wien – Die Stadt, die niemals war“: bis 28.3. im Künstlerhaus (1., Karlsplatz 5). Information: wienmuseum.at.
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