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Aktion/Installation: Vorsicht, Glasauge sieht mit!

16.03.2009 | 18:49 | JÜRGEN LANGENBACH (Die Presse)

Ein kanadischer Filmemacher hat sich eine Kamera in seine Augenprothese einbauen lassen und will deren Bilder online ins Netz stellen. Das soll die Empfindsamkeit für Überwachung schärfen.

In Japan werden jetzt Japaner gebaut, die haben den Fotoapparat nicht mehr über dem Bauch hängen. Sie haben ihn in sich eingebaut. Wenn sie mit den Augen zwinkern, gibt es ein Bild. Jeden Abend ziehen sie sich den belichteten Film aus dem Arschloch und schauen, wie der Tag gewesen ist.“ Das schrieb Urs Widmer Mitte der 70er-Jahre, es war nicht nur eine gallige Persiflage, es hatte auch Weitblick: Rob Spence, 36-jähriger kanadischer Filmemacher, lässt die Vision gerade wahr werden, zumindest partiell. Spence hat sich als Kind so schwer an einem Auge verletzt, dass es ihm vor drei Jahren entfernt werden musste – er dokumentierte die Operation in einem Film –, erst trug er eine Augenklappe, dann ein Glasauge.

Dann kam ihm eine Idee: „Wenn man ein Auge verliert und ein Loch im Kopf hat, warum soll man dann nicht eine Kamera hineinstecken?“ Einfach war das Miniaturisieren nicht, aber nun hat eine Videokamera Platz im Glasauge, sie betrachtet bald die Welt und speist die Bilder (nicht ins Gehirn von Spence, das geht nicht, sondern) ins Internet. „Eyeborg“ nennt Spence das Ganze, und sich selbst den „kleinen Bruder“: Die Aktion – Installation? – soll die Aufmerksamkeit für die permanente Überwachung durch Kameras schärfen (www.eyeborgblog.com).

 

Welt aus Perspektive wie noch nie?

Zwar schwärmt Spence auch davon, dass sein Kameraauge die „Welt aus einer Perspektive zeigt, in der sie noch nie gesehen wurde“. Aber das ist etwas hochgegriffen, die Kamera im Auge schaut ja exakt so wie eine davor. Es geht schon eher um die Gesehenen: „Die Leute fürchten sich mehr vor einem Filmer mit einer Kamera im Auge als vor den 400 Arten, in denen sie täglich in Einkaufsstraßen etc. gefilmt werden. Ich mache oft ein Experiment und frage: ,Wussten sie, dass in unserem Land täglich elftausend neue Videokameras installiert werden?‘“, berichtete Spence in Wired: „Meistens bekomme ich Antworten wie: ,Das ist interessant, und was essen wir jetzt?‘“

In der Tat interessiert sich niemand mehr für die gespenstische Dauerüberwachung, im Gegenteil, immer mehr dokumentieren mit ihr von früh bis spät ihr Leben (etwa auf Ustream.tv oder Justin.tv). Und neuerdings auch ihr Sterben, die Idee ist gar nicht so neu: 1979 drehte Bertrand Tavernier einen Film über eine TV-Show, in der Menschen beim Sterben beobachtet werden („Death Watch“, deutsch „Der gekaufte Tod“): Das nächste Opfer wird von Romy Schneider gespielt, sie unterschreibt den Vertrag, will dann doch nicht, taucht unter, einer der Kameraleute verfolgt sie, spürt sie auf, filmt alles, sie merkt es nicht, denn er hat die Kamera im Gehirn, hinter den Augen. Es ist alles nur Film und Spiel, aber derzeit tritt eine krebskranke Frau im britischen TV damit auf, und zwar nicht in einem Spielfilm.

Das Öffentlichmachen des Intimsten ist zur Sucht geworden – erinnern Sie sich an die Handygespräche, die Sie heute mithören mussten? –, es mag daran liegen, dass die Technik die Menschen formt, zumindest latente Bedürfnisse aktiviert. Das ist der zweite Ast von Spences Unternehmen: „Eyeborg“. Der „Cyborg“ – eine Mensch-Maschinen-Mischung – ist eine alte Idee der Science Fiction, sie wurde vor zehn Jahren von Kevin Warwick, Kybernetiker der University of Reading, auf die Spitze getrieben: Er ließ sich einen Chip in den Arm implantieren, der verriet, wo der Cyborg sich aufhielt, der Chip konnte auch mit der Umwelt kommunizieren, spezielle Sensoren ließen etwa die Lichter angehen, wenn der Cyborg einen dunklen Raum betrat (vom Ausgang dieses Experiments hat man nie etwas gehört); aber natürlich ist alles viel breiter und längst in die Normalität eingesickert: Wer sich ins Auto setzt, ist oft nicht mehr er selbst, die Technik arbeitet die aggressiven Charakteranteile hervor, und wer – halt, Ihr Blackberry klingelt, ich mache so lange Pause beim Schreiben! –, ja, wer sich dahin begibt, ist nicht mehr sein eigener Herr.

Aber die Träume vom Cyborg sind meist keine Albträume, im Gegenteil, die technischen Prothesen sollen die große Freiheit bringen, am Ende gar das unendliche Leben: Es gab etwa schon viele Ideen, das Gehirn oder zumindest das in ihm Gespeicherte aus der (früher) sterblichen Hülle zu entnehmen und in Maschinen einzubetten, Marvin Minski etwa hat das verfochten.

 

Tücken der Hightech-Idyllen

Aber auch solche Hightech-Idyllen haben Tücken, das hat Roald Dahl in den 60ern durchgespielt: In „William and Mary“ („Kiss, kiss“) stirbt der Haustyrann, der seiner Frau 30 Jahre das Leben vergällte, mit Geiz und Verboten, insbesondere dem des Rauchens. Er verfügt, dass nach seinem Tod sein Gehirn und ein daranhängendes Auge in eine Apparatur bei einem befreundeten Forscher kommt, er verfügt es im Testament, lädt dort auch seine Frau ein, ihn zu besuchen. Sie nimmt das Monster mit nach Hause, zündet eine Zigarette an, bläst den Rauch auf das Auge und genießt dessen Zucken.


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