Salzburger Nachrichten am 11. Juni 2005 - Bereich: kultur
Das Mädchen auf dem Nilpferd "Immer ein Stück weiter":
Im Arsenale von Venedig werden Arbeiten von 49 Kunstschaffenden gezeigt
MARTIN BEHRVENEDIG (SN). Kennen Sie den Hollywood-Bestseller "The Birth
Of Feminism"? Mit Pamela Anderson, Halle Berry und Catherine Zeta-Jones in
den Hauptrollen? Sie auch nicht? Dieser Streifen existiert bloß als Idee
der Künstlerinnengruppe "The Guerilla Girls". Mit fingierten Filmplakaten
und anderen Hinweisen auf den Umstand, dass Gleichberechtigung in der
Kunst noch längst nicht durchgesetzt ist, startet die von Rosa Martinez
kuratierte Biennale-Ausstellung "Immer ein Stück weiter" im Arsenale von
Venedig. "The Guerilla Girls" haben unter anderem recherchiert, wie viele von
Frauen geschaffene Gemälde es in venezianischen Sammlungen gibt. Zwei
Stück in der Accademia, 15 im Museo Correr, wobei Letztere nicht
ausgestellt sind. Diese und andere nachdenklich stimmenden Fakten stehen im Dialog mit
einem Objekt der portugiesischen Künstlerin Joana Vasconcelos. "Die Braut"
nennt sie es, und zu sehen ist ein meterhoher, den Raum dominierender
Kronleuchter. Vasconcelos' Täuschungsstrategie stellt für manche eine
Provokation dar: Der vermeintliche Kristall-Luster besteht aus vielen
Tampons. Das ist ein starker feministischer Auftakt also für eine Schau, die
positiv überrascht. Rosa Martinez hat nach der von Fülle und
Beliebigkeiten geprägten Arsenale-Wunderkammer der vergangenen Biennale
Mut zur Reduktion bewiesen und übersichtliche Erlebnisräume geschaffen,
von denen nur manche wie esoterische Selbsterfahrungskammern wirken.
Installationen, Film, Video und Objekte dominieren, Malerei ist kaum zu
sehen. Die Künstlerliste ist ein Mix aus Heroen der Moderne (Samuel
Beckett, Rem Koolhaas, Louise Bourgeois) und Newcomern wie Emily Jacir aus
Jordanien oder Runa Islam aus Bangladesh, die beide mit klugen,
humorvollen Videoarbeiten überzeugen. Wenn der Witz zu stark aufgetragen wird, dann ist man bei der
Installation der russischen Gruppe Blue Noses angelangt. Dieses Trio lässt
- via Videoprojektion - nackte Männlein und Weiblein in Kisten Späße
treiben. Auch der Deutsche John Bock, der nicht entscheiden kann, ob ihm
Paul McCarthy oder Christoph Schlingensief sympathischer ist, fällt etwas
aus der Reihe. Schrille Mode undschrille Pfiffe Schrill sind auch die Modekreationen
von Leigh Bowery. Eine etwas sterile, postmoderne Materialschlacht in Form
eines Raumschiffs zeigt die Japanerin Mariko Mori. Der Mensch ist in vielen Arbeiten ins Zentrum gerückt. In den Videos
von Stephen Dean geht es um kollektive Sitten und Bräuche, exaltierte
Selbstdarstellung ist das Thema der Schwarz-Weiß-Fotos der Spanierin
Cristina Garcia Rodero. Kimsooja aus Korea wiederum kombiniert gefilmte
Straßenszenen aus sechs unterschiedlichen Städten. Das Private im anonymen öffentlichen Raum versucht Bülent Sangar aus
der Türkei in einer großformatigen Fotoinstallation über Menschen im Bus
herauszufiltern: "Move Forward". Und in der Installation "Hope Hippo"
(Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla) sitzt ein Mädchen auf einer
Nilpferd-Skulptur, liest Zeitung und pfeift bisweilen schrill: Ein
performativer Akt, der den zähen Strom der Kunsttouristen aufwirbelt. Entdeckungen abseits der optischen Auffälligkeiten: der poetische
Minimalismus der Italienerin Bruna Esposito und die (leider nur via Film)
realisierte Arbeit des Deutschen Gregor Schneider, der die Kaaba aus Mekka
auf den Markusplatz transferiert. Das wäre ein Schock gewesen, nicht nur
für die Tauben. |