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Kunstraum Leopoldstadt: Nicht zweite Wahl

14.01.2011 | 12:06 | von Johanna Hofleitner (Die Presse - Schaufenster)

Wiens zweiter Bezirk rückt nach der Eröffnung des Nouvel-Towers noch ein bisschen mehr ins Zentrum des Interesses. Längst fällig ist daher ein Blick auf den Kunstraum Leopoldstadt.

Es gibt keinen anderen Bezirk in Wien, dem so oft attestiert wurde, Zukunftsgebiet zu sein, wie dem Zweiten. „Gentrifizierung“ lautet das Zauberwort, demzufolge Grätzel um Grätzel zwischen Donaukanal und Handelskai, Prater und Augarten verjüngt, erneuert oder überhaupt erst geschaffen werden sollte. Das Immobilienbarometer bestätigte diesen Trend von Beginn an. Doch wie so oft zeigte auch das Beispiel der Leopoldstadt, dass Stadterneuerung nicht angeordnet werden kann, wenn die Basis nicht mitmacht. Stattdessen halten sich Projekte und Probleme langfristig die Waage. Die Erweiterung der U-Bahnlinie U2 sowie die Erneuerung der „Messe Wien“ gaben zwar Impulse. Doch durch die Errichtung von Glaspalästen ist noch keine Gegend zum Leben erweckt worden. Kultur und Kunst spielten dabei meist eine Nebenrolle – obwohl die Leopoldstadt bezogen auf die Einwohnerzahl paradoxerweise die höchste Künstlerdichte Wiens aufweist. Dennoch erwies sich die Nähe zur Innenstadt als traditioneller Hochburg des Kulturlebens lange Zeit als besonderes Hindernis – zumindest für zeitgenössische Initiativen, sodass etwa einige „richtige“ Galerien wie Martin Janda, der seine erste Galerie zwischen 1992 und 1998 in der Praterstraße betrieb, oder die Geschwister Winiarzyk, die ebendort von einem Ladenlokal aus einen Katapultstart hinlegten, fortzogen und in die Eschenbachgasse übersiedelten.

Doch jetzt scheint zumindest im Viertel entlang des Donaukanals, wo die Gastronomie längst boomt – Badeschiff, Strandbars ebenso wie Restaurants am Karmelitermarkt –, auch für die Kunst der Knoten geplatzt und die Szene in Schwung zu kommen. Der Befreiungsschlag ist mit der Realisierung des vom französischen Star-Architekten Jean Nouvel geplanten „Towers“ am Eingang zur Taborstraße gelungen. Das avantgardistische, wie eine Skulptur ausgebildete Gebäude ist nicht nur für Wien ein Aushängeschild, sondern im Ensemble mit den benachbarten Hochhäusern – dem Media-Tower von Hans Hollein und Heinz Neumanns Uniqa-Tower – auch ein Designmagnet unmittelbar an der „Demarkationslinie“ des zweiten Bezirks hin zum ersten. Kein Zufall, dass etwa die Mode- und Design-Spürnase Myung-Il Song bereits 2006, als sich die Tower-Baustelle noch im Anfangsstadium befand, mit ihrer Boutique in dessen Nähe gezogen ist, wo die Kunstliebhaberin auch ein prononciertes Ausstellungsprogramm mit zeitgenössischer Kunst fährt.



Grenzstein Nouvel-Tower. Doch auch die Kunstszene hat nachgezogen und zeigt Flagge – vor allem mit Alternativkonzepten, Gegenentwürfen zum klassischen Kunsthandel und der Abkehr vom White Cube. Zwei Häuserblöcke kanalaufwärts, in der Hammer-Purgstall-Gasse 7, betreibt etwa das Künstlerkollektiv Atelier 1 in aufgelassenen Lagerräumen das „Magazin“. Organisiert als „Verein zur Entwicklung und Erschließung der Künste“ sehen die fünf jungen Künstler mit unterschiedlichen Schwerpunkten – von der Fotografie über Architektur und Bühnenbild bis hin zum Grafikdesign – ihre Aufgabe neben der Dokumentation und dem Aufbau eines Archivs vor allem im Austausch – nicht zuletzt auch im Rahmen eines regelmäßigen Mittagstischs. Seit Februar haben sie mithilfe einer Startförderung durch die Agentur „Departure“ ihre Aktivitäten auch auf die Organisation von Ausstellungen ausgeweitet. „Das Magazin ist jedoch kein Erweiterungsraum für unsere eigene Kunst. Wir versuchen vielmehr Leuten, die gerade anfangen, eine Möglichkeit zu geben sich zu präsentieren“, sagt Jakob Neulinger, selbst Architekt und Bühnenbildner. „Dabei gehen wir immer von einer Inhaltlichkeit aus, die uns selbst interessiert.“ „Und wir versuchen dafür alle Kapazitäten und Kanäle, die wir im Haus haben, zu nutzen“, sagt Anna Liska. „Die Möglichkeiten, die wir dadurch haben, sind viel spannender als der Galeriebetrieb.“

Der Charme einer verfallenen Lederfabrik hat es Lisa Kandlhofer angetan. „Der zweite Bezirk ist wie die New Yorker Lower East Side“, sagt sie. „Lisabird’s Art Collective“ nennt die junge Grazerin mit einem Faible fürs Figurative, die ihr Freund einmal als „schrägen Vogel“ titulierte, womit auch der Galeriename gefunden war, ihren Raum in der Großen Mohrengasse. „Kollektiv“ ist auch für sie ein Stichwort – allerdings in einem ganz anderen Sinn: Einen Teil der Räume hat sie als Studios eingerichtet, wo mehrere Künstler gleichzeitig arbeiten. „Ich wollte ein ,Collective’ schaffen, um zu sehen, wie sich Künstler, die sich nicht kennen, gegenseitig pushen. Lisabird ist offener als andere Galerien – die Leute sollen ein Teil des kreativen Prozesses werden. Mir ist es wichtig, dass Kunst etwas bewegt.“

Ein Stück reelles New Yorker Flair findet sich mit der „Lust Gallery“ in der Hollandstraße. Im Herbst nahm der 28-jährige Max Lust – ursprünglich selbst Künstler, Sammler mit einem Händchen für Aufsteiger und Enkel eines bekannten amerikanischen Kunsthistorikers und Kunsthändlers, hier den Ausstellungsbetrieb auf. Dass es ihn nach Wien verschlug, war Zufall: Vor die Wahl gestellt, ob er das Honorar für eine gemeinsam mit Marlene Hausegger realisierte Arbeit lieber in Form von Geld oder eines Flugtickets haben wollte, entschied er sich für Letzteres und kam im Sommer 2008 nach Wien. Fasziniert von der Kultur der Wiener Off-Spaces, die ihm in ihrer Intellektualität und Konzepthaftigkeit näher waren als jene New Yorks, blieb er hier hängen. Seinen neuen Ausstellungsraum sieht er durchaus als Galerie im eigentlichen Sinn.  „,The Lust Gallery‘ ist ,in between‘ – ein Off-Space mit kommerziellem Anspruch“, sagt er. „Ich muss mich nicht einer einzigen Kategorie verpflichten.“ So plant er neben Ausstellungen mit junger Kunst – darunter US-Shooting-Star Shepard Farey – auch eine Ausstellung des Surrealisten Hans Bellmer. Und er träumt davon, eine Galerie in Wien und New York zu betreiben.



Junge Künstler. Eine feine Ergänzung zu den Ausstellungsflächen bildet der vom Wiener Sammler Alois Bernsteiner betriebene „Kunstraum Bernsteiner“ im Unteren Werd. Gelegen in einer Werkstatt in einem Hinterhof ist dies sein mittlerweile fünfter Projektraum. „Als ich vor 23 Jahren begonnen habe zu sammeln, gab es sehr wenige Einzelausstellungen mit junger Kunst“, sagt Bernsteiner. „Ich wollte jungen Künstlern die Möglichkeit geben, genau auf den jeweiligen Raum zugeschnittene Ausstellungen zu entwickeln.“ Am neuen Standort beeindruckt ihn nicht nur die Nähe zur Innenstadt: „Ich bin verliebt in Hinterhofwerkstätten als Modell von Wohnen und Arbeiten. Zugleich verspüre ich eine große Betroffenheit, dass man hier viel mehr als in anderen Bezirken immer wieder auf Spuren der Nazi-Greuel stößt.“

Einer der längstdienenden Kunstakteure des zweiten Bezirks ist Viktor Bucher. Seit 1998 betreibt er in der Praterstraße den „Projektraum“, wo er Künstler präsentiert, die ihm „ins Auge stechen“. Bucher ist gern hier – auf der entschleunigten Nachbarseite, im ,anderen‘ Wien“, wie er sagt. „Jeder tendiert im Grunde ins Zentrum. Tatsächlich aber sind wir hier nur einen Steinwurf vom ersten Bezirk entfernt.“ Ein großes Anliegen ist ihm die Schärfung der Achse zwischen erstem und zweitem Bezirk. In Kooperation mit den Medienklassen der Wiener Kunsthochschulen entwickelt er soeben ein Konzept, um „die Sicht- und Verweilachsen zu beleben“.

Jetzt, da der Nouvel-Tower fertiggestellt und der Durchblick von der Praterstraße auf die Lände endlich frei möglich ist, scheint der Zeitpunkt dafür ideal.


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