Es
gibt keinen anderen Bezirk in Wien, dem so oft attestiert wurde,
Zukunftsgebiet zu sein, wie dem Zweiten. „Gentrifizierung“ lautet das
Zauberwort, demzufolge Grätzel um Grätzel zwischen Donaukanal und
Handelskai, Prater und Augarten verjüngt, erneuert oder überhaupt erst
geschaffen werden sollte. Das Immobilienbarometer bestätigte diesen
Trend von Beginn an. Doch wie so oft zeigte auch das Beispiel der
Leopoldstadt, dass Stadterneuerung nicht angeordnet werden kann, wenn
die Basis nicht mitmacht. Stattdessen halten sich Projekte und Probleme
langfristig die Waage. Die Erweiterung der U-Bahnlinie U2 sowie die
Erneuerung der „Messe Wien“ gaben zwar Impulse. Doch durch die
Errichtung von Glaspalästen ist noch keine Gegend zum Leben erweckt
worden. Kultur und Kunst spielten dabei meist eine Nebenrolle – obwohl
die Leopoldstadt bezogen auf die Einwohnerzahl paradoxerweise die
höchste Künstlerdichte Wiens aufweist. Dennoch erwies sich die Nähe zur
Innenstadt als traditioneller Hochburg des Kulturlebens lange Zeit als
besonderes Hindernis – zumindest für zeitgenössische Initiativen,
sodass etwa einige „richtige“ Galerien wie Martin Janda, der seine
erste Galerie zwischen 1992 und 1998 in der Praterstraße betrieb, oder
die Geschwister Winiarzyk, die ebendort von einem Ladenlokal aus einen
Katapultstart hinlegten, fortzogen und in die Eschenbachgasse
übersiedelten.
Doch jetzt scheint zumindest im Viertel entlang
des Donaukanals, wo die Gastronomie längst boomt – Badeschiff,
Strandbars ebenso wie Restaurants am Karmelitermarkt –, auch für die
Kunst der Knoten geplatzt und die Szene in Schwung zu kommen. Der
Befreiungsschlag ist mit der Realisierung des vom französischen
Star-Architekten Jean Nouvel geplanten „Towers“ am Eingang zur
Taborstraße gelungen. Das avantgardistische, wie eine Skulptur
ausgebildete Gebäude ist nicht nur für Wien ein Aushängeschild, sondern
im Ensemble mit den benachbarten Hochhäusern – dem Media-Tower von Hans
Hollein und Heinz Neumanns Uniqa-Tower – auch ein Designmagnet
unmittelbar an der „Demarkationslinie“ des zweiten Bezirks hin zum
ersten. Kein Zufall, dass etwa die Mode- und Design-Spürnase Myung-Il
Song bereits 2006, als sich die Tower-Baustelle noch im Anfangsstadium
befand, mit ihrer Boutique in dessen Nähe gezogen ist, wo die
Kunstliebhaberin auch ein prononciertes Ausstellungsprogramm mit
zeitgenössischer Kunst fährt.
Grenzstein Nouvel-Tower. Doch auch die
Kunstszene hat nachgezogen und zeigt Flagge – vor allem mit
Alternativkonzepten, Gegenentwürfen zum klassischen Kunsthandel und der
Abkehr vom White Cube. Zwei Häuserblöcke kanalaufwärts, in der
Hammer-Purgstall-Gasse 7, betreibt etwa das Künstlerkollektiv Atelier 1
in aufgelassenen Lagerräumen das „Magazin“. Organisiert als „Verein zur
Entwicklung und Erschließung der Künste“ sehen die fünf jungen Künstler
mit unterschiedlichen Schwerpunkten – von der Fotografie über
Architektur und Bühnenbild bis hin zum Grafikdesign – ihre Aufgabe
neben der Dokumentation und dem Aufbau eines Archivs vor allem im
Austausch – nicht zuletzt auch im Rahmen eines regelmäßigen
Mittagstischs. Seit Februar haben sie mithilfe einer Startförderung
durch die Agentur „Departure“ ihre Aktivitäten auch auf die
Organisation von Ausstellungen ausgeweitet. „Das Magazin ist jedoch
kein Erweiterungsraum für unsere eigene Kunst. Wir versuchen vielmehr
Leuten, die gerade anfangen, eine Möglichkeit zu geben sich zu
präsentieren“, sagt Jakob Neulinger, selbst Architekt und
Bühnenbildner. „Dabei gehen wir immer von einer Inhaltlichkeit aus, die
uns selbst interessiert.“ „Und wir versuchen dafür alle Kapazitäten und
Kanäle, die wir im Haus haben, zu nutzen“, sagt Anna Liska. „Die
Möglichkeiten, die wir dadurch haben, sind viel spannender als der
Galeriebetrieb.“
Der Charme einer verfallenen Lederfabrik hat
es Lisa Kandlhofer angetan. „Der zweite Bezirk ist wie die New Yorker
Lower East Side“, sagt sie. „Lisabird’s Art Collective“ nennt die junge
Grazerin mit einem Faible fürs Figurative, die ihr Freund einmal als
„schrägen Vogel“ titulierte, womit auch der Galeriename gefunden war,
ihren Raum in der Großen Mohrengasse. „Kollektiv“ ist auch für sie ein
Stichwort – allerdings in einem ganz anderen Sinn: Einen Teil der Räume
hat sie als Studios eingerichtet, wo mehrere Künstler gleichzeitig
arbeiten. „Ich wollte ein ,Collective’ schaffen, um zu sehen, wie sich
Künstler, die sich nicht kennen, gegenseitig pushen. Lisabird ist
offener als andere Galerien – die Leute sollen ein Teil des kreativen
Prozesses werden. Mir ist es wichtig, dass Kunst etwas bewegt.“
Ein
Stück reelles New Yorker Flair findet sich mit der „Lust Gallery“ in
der Hollandstraße. Im Herbst nahm der 28-jährige Max Lust –
ursprünglich selbst Künstler, Sammler mit einem Händchen für Aufsteiger
und Enkel eines bekannten amerikanischen Kunsthistorikers und
Kunsthändlers, hier den Ausstellungsbetrieb auf. Dass es ihn nach Wien
verschlug, war Zufall: Vor die Wahl gestellt, ob er das Honorar für
eine gemeinsam mit Marlene Hausegger realisierte Arbeit lieber in Form
von Geld oder eines Flugtickets haben wollte, entschied er sich für
Letzteres und kam im Sommer 2008 nach Wien. Fasziniert von der Kultur
der Wiener Off-Spaces, die ihm in ihrer Intellektualität und
Konzepthaftigkeit näher waren als jene New Yorks, blieb er hier hängen.
Seinen neuen Ausstellungsraum sieht er durchaus als Galerie im
eigentlichen Sinn. „,The Lust Gallery‘ ist ,in between‘ – ein
Off-Space mit kommerziellem Anspruch“, sagt er. „Ich muss mich nicht
einer einzigen Kategorie verpflichten.“ So plant er neben Ausstellungen
mit junger Kunst – darunter US-Shooting-Star Shepard Farey – auch eine
Ausstellung des Surrealisten Hans Bellmer. Und er träumt davon, eine
Galerie in Wien und New York zu betreiben.
Junge Künstler. Eine feine Ergänzung zu den
Ausstellungsflächen bildet der vom Wiener Sammler Alois Bernsteiner
betriebene „Kunstraum Bernsteiner“ im Unteren Werd. Gelegen in einer
Werkstatt in einem Hinterhof ist dies sein mittlerweile fünfter
Projektraum. „Als ich vor 23 Jahren begonnen habe zu sammeln, gab es
sehr wenige Einzelausstellungen mit junger Kunst“, sagt Bernsteiner.
„Ich wollte jungen Künstlern die Möglichkeit geben, genau auf den
jeweiligen Raum zugeschnittene Ausstellungen zu entwickeln.“ Am neuen
Standort beeindruckt ihn nicht nur die Nähe zur Innenstadt: „Ich bin
verliebt in Hinterhofwerkstätten als Modell von Wohnen und Arbeiten.
Zugleich verspüre ich eine große Betroffenheit, dass man hier viel mehr
als in anderen Bezirken immer wieder auf Spuren der Nazi-Greuel stößt.“
Einer
der längstdienenden Kunstakteure des zweiten Bezirks ist Viktor Bucher.
Seit 1998 betreibt er in der Praterstraße den „Projektraum“, wo er
Künstler präsentiert, die ihm „ins Auge stechen“. Bucher ist gern hier
– auf der entschleunigten Nachbarseite, im ,anderen‘ Wien“, wie er
sagt. „Jeder tendiert im Grunde ins Zentrum. Tatsächlich aber sind wir
hier nur einen Steinwurf vom ersten Bezirk entfernt.“ Ein großes
Anliegen ist ihm die Schärfung der Achse zwischen erstem und zweitem
Bezirk. In Kooperation mit den Medienklassen der Wiener
Kunsthochschulen entwickelt er soeben ein Konzept, um „die Sicht- und
Verweilachsen zu beleben“.
Jetzt, da der Nouvel-Tower
fertiggestellt und der Durchblick von der Praterstraße auf die Lände
endlich frei möglich ist, scheint der Zeitpunkt dafür ideal.