text breit    text schmal   drucken 
Bilder keine Bilder
derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
27.06.2002
17:19 MEZ
Fröhliche Lethargie
Die Kunsthalle Wien und die Galerie Krobath & Wimmer zeigen Ugo Rondinone. Schlafende Clowns kümmern sich dort einen Dreck darum, die "Stimmungszellen" zu bewachen

Von Markus Mittringer

Link

KUNSTHALLEwien.at

Service

"Ugo Rondinone: No How On", Kunsthalle Wien, Halle 2, 28.6. - 22.9., tgl. 10-19 Uhr, Do 10-22 Uhr. Info: 01 - 521 89 33

Von 27.6. bis 10.8. zeigt auch die Galerie Krobath Wimmer, Wien 1, Eschenbachg. 9, eine Ausstellung von Ugo Rondinone: "The Dancer and the Dance"
 
Foto: Kunsthalle Wien
Ugo Rondinone
If There Were Anywhere But Desert!, 2001

Courtesy Galerie Hauser & Wirth & Presenhuber, Zürich

Wien - Kaum dass man endlich zu seiner Lethargie gefunden hat, kommt garantiert einer daher, rüttelt an einem herum und brüllt: "Tun Sie um Gottes Willen etwas!" Passivität gilt nicht als Menschenrecht, man hat sie "abzuschütteln". Schon allmähliches Erwachen löst bei den rastlosen Rüttlern erstaunliche Euphorieschübe aus, nährt ihre vermessene Hoffnung, man würde demnächst schon wieder einer der ihren sein - hochmotiviert und frisch gebadet! Dass sie einen damit um den Frieden bringen, käme all den Zwangstherapeuten nie in den Sinn. Kein Wunder, sind sie doch Menschen der Tat.

Es gilt gemeinhin als inakzeptabel, nicht aktiv zu sein. Ein Penner, der seinem Namen in aller Ruhe gerecht wird, das ist das Letzte. Irrlichtert er hingegen manisch durch den Wohlstand, wird ihm "Bemühen" zugute gehalten, darf er, solange er nicht rastet, die Teller mit dem Heilsversprechen schrubben.

Oder für Unterhaltung sorgen. Weil: Lustig ist auch gut. Hauptsache: immer lustig. Bauerntölpel, Weißclown, Rivel, Grock, Beckett, Dylan - egal. Hauptsache unterhaltsam: rührend, berührend, zum Biegen-vor-Lachen anregend, putzig, ulkig, komisch, kritisch, allzeit bereit mit dem Spiegel, den vorgehalten zu bekommen man gerade Lust und Laune hat. Ein Clown, der nicht verfügbar ist, ist wie ein Penner, der schläft - asozial und widerlich.

Ugo Rondinone fertigt schlafende Clowns. Meist werden sie als "traurig" rezipiert, zumindest den Grundlagen ihrer Existenz beraubt, der Lethargie anheim gefallene Opfer des Zirkussterbens. Alles Blödsinn! Die haben sich bloß zurückgezogen, höchst freiwillig verabschiedet. Und zwar nicht wegen des Zirkussterbens, sondern wegen der galoppierenden Erweiterung des Zirkusbegriffs auf alle Lebensbereiche. Die haben Robert Burtons Anatomie der Melancholie schon praktisch verstanden, noch bevor man im späten 23. Jahrhundert einsah, nicht alle animieren, motivieren, therapieren zu müssen, die nicht inständig hysterisch betriebsam herumhüpfen.

Robert Burton hat, wie ja auch schon Aristoteles, Melancholie, Schwermut und Traurigkeit als wesentliche Voraussetzung für Philosophie, Kunst, Politik - für alles - gesehen. (Merke: Joggen schützt vor Stumpfsinn nicht!) Und selbst wenn Ugo Rondinones Clowns in einem endlosen Wartezustand gefangen sind, wenn alle Rüttler dieser Welt sie nicht zurückbringen konnten, wer sagt, dass sie nicht Techniken entwickelt haben, in aller Leichtigkeit stressfrei vor sich hin zu trauern. Wer sagt, dass sie nicht gerade im Dämmern die rhythmische Schönheit hinter den sinnlos zyklisch aneinander vorbei geführten Gesprächen ihres ehemals aktiven Lebens erkennen, sich auf ewig daran erfreuen? Sie waren doch bloß tagsonnenmüde, ein bisschen überdrüssig, weil alles so öd und leer geworden war. Und da sie weder eines Baumes, Hauses noch Kindes bedurften, gingen sie eben ins Kino. Der Film heißt "Sehnsucht" und läuft ohne Pause.

Drei Clowns, die es endlich geschafft haben, lassen sich in der Kunsthalle nicht aus der Ruhe bringen. (Auch dann nicht, wenn man sie am 22. 9. wieder abholt, woanders hin verlegt.) Welchen betörenden Leidenschaften sie vielleicht frönen, lässt sich in zwei "Stimmungszellen" nacherleben: Auf verschlungenen Linien wandelnd, kann man vor entrückten Abbildern latexverpackter Schöner einem Paar beim endlosen Hin und Her von "Fuck you!" und "Fuck me!" lauschen. Und in einem laubenbildend mäandernden Band gebrochener Spiegel findet sich Muße, die Fahrten, die doch niemals irgendwohin führten, vergnügt desillusioniert noch einmal zu unternehmen. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.6.2002)


©2002 derStandard.at - Alle Rechte vorbehalten.
Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.