Das Medium als Rohstoff

Sonja Gerstl über die Internet-Klasse von Günther Selichar.


Der Beitrag von "Annette", einer Studentin im Rahmen der schule für dichtung (sfd), zählt zu Günther Selichars Favoriten. "liebe annette." - der Professor ist mit seiner virtuellen Schülerin hoch zu frieden: "eine freude, wirklich wahr; dieser beitrag zählt absolut zu deinen besten!! und wieder sollte ich die skala nach oben erweitern. man wird förmlich hineingezogen."

Visuelles Muster als Rohmaterial

Günther Selichar
Günther Selichar

"Who's afraid of blue, red and green" - Selichars Klassen-Thema ist eigentlich ein Langzeit-Projekt, dem sich der Künstler seit 1990 auf verschiedenen Ebenen immer wieder nähert. Inhaltlich vergleichbar ist die sfd-Übung mit seiner interaktiven Internet-Installation Prismenwender.

Bildschirm ohne Bild

Ausgangspunkt ist dabei der Bildschirm ohne "Bild", die rein apparative Oberfläche eines Monitors, deren visuelles Muster sich aus aneinander gereihten, vertikalen Streifen in der wechselnden Farbfolge blau, rot und grün zusammensetzt.

Diese reduktionistische Komposition bildet nun den Spielplan, ein mediales Fenster im Format 16:9, in dem per Mausklick die Grundeinstellung der einzelnen Streifen farblich abgeändert werden kann.

Animierte Strips

Neu ist nun, dass den Studierenden ein Kontingent von bis zu 25 solcher Bilder zur Verfügung steht, wobei die einzelnen Sequenzen mit Text unterlegt werden können. So entstehen animierte Strips. Die ursprünglich statische Konzeption wird aufgegeben. Erhalten bleibt die Intention, durch Abstraktion konkret zu werden und so das Rohmaterial und den Bauplan der multi- und massenmedialen Wunderwelt sichtbar zu machen.


In seinen subtilen Entzauberungen sieht Günther Selichar zugleich auch die gesellschaftspolitische Relevanz seiner strukturellen Kunst. Der mediatisierte Blick - geprägt nicht mehr von realen Bilderfahrungen, sondern von medialen Bildinformationen - trübe die Optik des Einzelnen. Wir leben, so Selichar, in völliger Abhängigkeit von Info-Dealern, "die es uns besorgen".

Realität oder Fälschung

Im Spätherbst 1993 stellte Selichar fünf riesige Fotobildtafeln im Umkreis von 400 Kilometern in die oberösterreichische Landschaft. Jede Aufnahme (im Cinemascope-Seitenverhältnis 230 x 595 cm) zeigte den Ausschnitt jener Gegend, vor der sie positioniert war.

Was vordergründig um Authentizität bemüht schien, erwies sich beim genauen Hinsehen als Fälschung. Die fotografischen Dokumente waren nachträglich digitalisiert und manipuliert worden. Der Ink-Jet-Ausdruck auf Acrylspannfolie verlieh ihnen einen fast schon impressionistischen Touch und verfremdete die Bilder zusätzlich.

Fehlersuche

"Überprüfen Sie Ihre Wahrnehmung", lautete die Aufforderung an die Betrachter. Als zusätzlichen Publikumsanreiz gab es ein Preisausschreiben. Drei Wochen lang wurden Fehler gesucht und gefunden. Etwa 8.000 Menschen haben sich reale und gefälschte Natur nebeneinander angeschaut, 1.500 ausgefüllte Teilnahmekarten landeten schließlich in der Ziehungstrommel. Die Gewinner erhielten Sachpreise und Urlaubsaufenthalte. Ein durchschlagender Erfolg für Selichars Sehschule.

Bildschirme in ihrer Freizeit

In Günther Selichars Wiener Wohnung hängen großflächige monochrome Bilder, unaufdringlich in ihrer Farbwahl - grau, grün, blau, aber dennoch präsent. Sie zeigen Aufnahmen von Monitoren und elektronischen Displays "in ihrer Freizeit".

Seit 1997 arbeitet Selichar an Screens, cold, das (gleichnamige) Buch zum Projekt wird im Jänner 2001 im Wiener Triton-Verlag erscheinen. Eine weitere Reduktion: Die Röhren, die Bildschirme zum Leuchten bringen, wurden im kalten Zustand fotografiert. "Monitore in ihrer Nicht-Funktion wirken auf uns ein, indem sie da sind", meint Selichar. "Indem ein Schirm abgeschaltet ist, verweist er auf eine Unmenge von Unsichtbarem, das er in dem Moment nicht preisgibt, das man aber in der täglichen Benützung als Bombardement wahrnehmen kann."

"Nach dem Vortrag ..." nennt Annette Hartmann-Frobenius einen ihrer sfd-Beiträge des letzten Jahres. Er besteht aus neun Bildern, jede Sequenz ist mit einem Wort unterlegt. Aneinandergereiht ergibt das den Text: "Beim Verlassen des Raumes bitte das Licht löschen! Danke." Der massenmedialen Streifenmaske wird dabei sukzessive die rote Farbe entzogen, nur noch ein kurzes Aufflackern und am Ende ist alles blau. Selichars Kommentar: "Ein durch und durch poetischer Beitrag. Perfekt für eine schule der dichtung!" Kein Zufall, dass er das sagt.

Link: schule für dichtung

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