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Martin Arnold: Animierter Animalismus

15.09.2011 | 18:26 | CHRISTOPH HUBER (Die Presse)

Die Generali Foundation zeigt eine ambitionierte Ausstellung über Animismus, im Filmprogramm dazu hat Martin Arnolds „Self Control“ Weltpremiere. Der wichtige Austro-Avantgardist erzählt über Masochismus und Musik.

Der Animismus hat es in der Moderne nicht leicht gehabt: Im Geiste von Aufklärung und Fortschritt hatte die Idee einer beseelten Welt nichts zu suchen. Dabei, erläutert Kurator Anselm Franke, erleben animistische Konzepte eine Renaissance – und zitiert den Hollywood-Hit Avatar als Beispiel. So will die Generali-Foundation-Ausstellung „Animismus. Moderne hinter den Spiegeln“ ein belastetes Verhältnis neu untersuchen. Das ambitionierte Projekt kombiniert über 20 Arbeiten, von Kinoklassikern wie Len Lyes Aborigine-beeinflusstem Animationsfilm Tusalava (1929), über den Dokumentar-Essay Les statues meurent aussi (Auch Stauten sterben, 1953), in dem Chris Marker und Alain Resnais das Schicksal afrikanischer Kunst in kolonialen Museen kritisch untersuchten, bis zu Bilderserien wie den hinreißend satirischen Gouachen des radikalen Schelms Roee Rosen aus Israel. In der neuen Arbeit „Vladimir's Night“ erzählt er eine blutige Gutenachtgeschichte um Russen-Premier Putin als Märchenalbum.

 

Mickey Mouse als Geisterwesen

Begleitend läuft ein nicht minder ambitioniertes monatliches Filmprogramm im Filmcasino Wien. Die Eröffnung diesen Sonntagnachmittag bietet fantastische frühe Kinozaubereien des spanischen Stummfilmmeisters Segundo de Chomón (Live-Vertonung: Billy Roisz), es folgt ein Programm mit Arbeiten des renommierten Austro-Avantgardefilmers Martin Arnold, darunter die Uraufführung seines neuen Films: Self Control, eine knapp vierminütige, fröhlich subversive Bearbeitung einer Szene aus dem Cartoon The Truce Hurts mit Tom & Jerry.

Sieht sich Martin Arnold als animistischer Filmemacher? „Nur als animalistischer!“, lacht Arnold im Interview: „Ich habe ja einmal erklärt, ich hätte die Schnauze voll von Sex und Gender: Ab jetzt interessieren mich nur mehr Viecher!“ Mit digitalen Videoarbeiten wie Shadow Cuts und Soft Palate wandte sich Arnold 2010 der Dekonstruktion von Animationsfilmen zu: Durch seine Nachbearbeitung – Stroboskopeffekte, ausgeschnittene Augen – wurden familienfreundliche Disney-Zeichentrickfiguren wie Mickey Mouse und Pluto zu irritierenden Geisterwesen im Loop. In Self Control bleiben nach Arnolds digitaler Deanimation vom räudigen Kater, der sich aus Fassungslosigkeit einen Ziegelstein über den Kopf schlägt, nur minimale Elemente: Hände (mit Ziegelstein), Mund, Zähne sowie die animierten „speed lines“ des Schmerzblitzes.

 

„Der Masochismus kommt erst nachher“

„Am Anfang wirkt es souverän: Als würde Batman mit geballter Faust auftreten und zeigen, wie kräftig er ist. Der Masochismus kommt erst nachher – lustigerweise identifizieren sich viele Leute damit“, meint Arnold, der bei der Arbeit fasziniert feststellte, „wie sehr gewisse kulturelle Ikonen wiederverwendet werden: Der Originalfilm ist stark abgeleitet von Edvard Munchs ,Der Schrei‘. Der Mund der Zeichentrickfigur, wie sie die Hände an ihr Gesicht presst: unverkennbar übernommen! Und die lange Zunge der Figur erinnerte mich natürlich an das Logo der Rolling Stones! Es geht also irgendwie von Munch über Tom & Jerry zu den Stones.“

Das trifft Arnolds Beschäftigung mit Popkultur und ihrem unheimlichen Unterbewussten recht gut: Internationalen Ruhm erlangte er vor gut zwei Dekaden, als er Hollywoodfilme erschütternden Neubearbeitungen unterzog, die an das Scratchen eines DJs am Plattenteller erinnerten. So wurde durch Arnolds Vorwärts-Rückwärts-Stakkato im furiosen 16-Millimeter-Zwölfminüter passage à l'acte (1993) eine harmlose Familienfrühstücksszene aus dem Klassiker Wer die Nachtigall stört zum verstörend-komischen Aggressions-Happening mit Gregory Peck als zuckendem Zeremonienmeister. Dann versuchte sich Arnold mit Installationen wie „Deanimated“ (2002) an noch radikaleren Revisionen: Mittels digitalem Morphing ließ er da die Figuren aus einem billigen Horrorfilm (The Invisible Ghost mitBela Lugosivon1944) verschwinden – ein Phantomtrip, in dem die Kamera geisterhaft, nach nicht mehr nachvollziehbaren Regeln durch zunehmend leere Filmsets glitt.

Sind die Animationsfilm-Bearbeitungen nun eine Rückkehr zu den Wurzeln, nur mit stärkerer Reduktion? Arnold erläutert: „Ich stellte mir die Frage, ob ich so streng konzeptionell weiterarbeiten will oder meine Stärke woanders liegt. Wie in der Musik, wo es vor allem in der Elektronik reine Konzeptualisten gibt, während es andere eher über das Musikalische anlegen. Da bin ich wohl mehr wie ein Songwriter.“ Tatsächlich wirkt Self Control mit seinem in Schleifenbewegungen mitpervertierten Soundtrack wie ein Musikstück – oder ein hochkomisch-hinterhältiger Tanzfilm: ein lustiger Leidens-Cartoon zur ekstatischen Schmerzensschrei-Melodie – samt Faustwatschen-Perkussion.

„Animismus. Moderne hinter den Spiegeln.“16.9. 2011 bis 29.1. 2012 in der Generali Foundation,; Di–So 11–18h, Do 11–20h.

Das Filmprogramm dazu, „Phantome. Metamorphosen“: 18.9., 9.10., 4.12. 2011 sowie 15. und 22. 1. 2012 im Filmcasino Wien als Sonntagnachmittagsvorstellungen.


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