Die andere Hälfte Europas | |
Ein hochkarätiges Kuratorenteam, darunter der Direktor des Museums Moderner Kunst in Wien, Lóránd Hegyi, versuchen in einer Großausstellung in Paris eine Annäherung an aktuelle osteuropäische Befindlichkeiten.
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Großausstellungen zur osteuropäischen
Kunst - wenn auch mit sehr unterschiedlichen Fokusierungen - scheinen im
Moment europaweit Konjunktur zu haben. Nach After
the Wall in Stockholm oder "aspekte/positionen" in Wien ist nun auch
in Paris eine mehrteilige Ausstellung zur Kunst aus einem Teil Europas zu
sehen, dessen kulturelle Spezifika selbst zehn Jahre nach dem Mauerfall
nur mäßig bekannt sind. Osteuropäische Befindlichkeit "L'autre moitié de l'Europe" - die andere Hälfte Europas, dessen
zweiter Teil am Montag im Pariser Jeu de Paume eröffnete, zeigt Arbeiten
von Künstlern, die nicht mehr aus einem Europa des Ostens, sondern aus dem
Osten Europas stammen. Konzipiert von einem hochkarätigen Kuratorentrio,
bestehend aus Anda Rottenberg (Warschau), Viktor Misiano (Moskau) und
Lóránd Hegyi (Wien), wird in Form von vier überschaubaren
Teilausstellungen eine Annäherung an aktuelle osteuropäische
Befindlichkeiten versucht. Soziale Realität Nach "Erinnerung/Geschichte/Biografie" im ersten Teil zeigt das
aktuelle zweite Viertel Kunstwerke, die sich mit dem Themenkomplex
"Soziale Realität/Existenz/Politik" auseinandersetzen. Politisch nicht korrekt? Junger osteuropäischer Kunst eilt vielfach der Ruf voraus, das
Marktsegment politisch schwer inkorrekter Kunst besetzen zu wollen. Auch
die Ausstellung im Jeu de Paume enttäuscht diesbezüglich nicht: Arsen
Savadov und Georgij Senchenko lassen laszive Schönheiten für
Modefotografie der anderen Art auf ukrainischen Friedhöfen posieren. Oleg
Kulik aus Russland bleibt zumindest in der Kunst seinem Hund treu und
zeigt in "rotes Zimmer" eine einschlägige Videoinstallation.
Provokant auch der polnische Künstler Zbigniew Libera, der mit seinem
Lego-Konzentrationslager 1996 als Enfant terrible galt. Abgesehen von
dieser Arbeit sind im Jeu de Paume auch neuere Arbeiten Liberas zu sehen,
z.B. Fitnessapparate für Kleinkinder oder Puppen mit herausnehmbaren
inneren Organen.
Im Kontrast dazu schwelgt Ilja Kabakov, Altmeister des Moskauer
Konzeptualismus, in vergangenen Zeiten. "Der glücklichste Mensch" - so der
Titel seiner "totalen Installation" - sitzt in einem typischen
sowjetischen Wohnzimmer und betrachtet durch das Wohnzimmerfenster eine
Leinwand, auf der sozial-realistische Filmutopien gezeigt werden. Metapher für die Unsicherheit Beeindruckend ist auch die minimalistische Installation von Nedko
Solakov, der Schwarz-Weiß-Malerei im wahrsten Sinn des Wortes betreibt.
Die Wände eines großen Raumes werden ständig abwechselnd schwarz und weiß
übermalt. Diese Arbeit lässt sich als Metapher für Unsicherheiten im Osten
verstehen. Unsicherheiten, die auch in der Tatsache zum Ausdruck kommen,
dass eine Mehrheit der Künstler aus der Ausstellung de facto ihren
Heimaten den Rücken gekehrt haben und mittlerweile im Westen arbeiten. Tipp: "L'autre moitié de l'Europe" in der Galerie nationale du Jeu de Paume bis zum 21. Juni. | ||||||