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"Lebenslust & Totentanz": Nackte Brust der Madonna

17.07.2010 | 18:28 | von Sabine B. Vogel (Die Presse)

Die Ausstellung "Lebenslust & Totentanz" in der Kunsthalle Krems überschreitet provokativ die Grenze zwischen Kitsch und Kunst.

Sammeln ist eine Leidenschaft, das Ziel: Vollständigkeit. Prinzipiell gleichgültig, ob es Briefmarken, Spielzeugautos oder Bilder zu Themen wie Liebe und Tod sind. Wie in der Sammlung des Essener Arztes Thomas Olbricht: Damit begeht der Wella-Erbe einen Tabubruch. Obwohl es nicht ausgesprochen wird, gilt für Kunstsammlungen als oberstes Gebot die strikte Trennung zwischen Kunst und Kunsthandwerk und vor allem zwischen Kitsch und Kunst. Wo genau die Grenze verläuft, ist aber offen. Das oberste Kriterium scheinen individuelle Berührungsängste zu sein, die bei jedem anders ausgeprägt sind. In der Ausstellung „Lebenslust & Totentanz“ in der Kunsthalle Krems kann das jetzt jeder an sich selbst testen.

Aus dem enormen Sammlungsfundus haben die Kuratoren Hans-Peter Wipplinger und Wolfgang Schoppmann eine beeindruckende „Abenteuerreise durch Emotionen“ (Olbricht) zusammengestellt. Die Räume, durch lichte Vorhänge abgetrennt, in bunte Farben getaucht, haben je ein Thema, von „Kunst und Wunderkammer“, „Krieg und Terror“ über Liebe oder Sexualität bis zu „Jugend und Alter“. Die Stichworte sind einerseits groß genug, um hochkarätige Werke von Matthew Barney, Wang Du, Otto Dix, Kiki Smith, Albrecht Dürer und all die Totenköpfe zusammenzubringen: immer wieder faszinierend, Werke aus verschiedenen Jahrhunderten zu vergleichen – Goyas Horrorbilder neben den Terror-Radierungen von Jake und Dinos Chapman. Andererseits sind manche Motive so dominant, dass die subtilen Feinheiten einzelner Werke untergehen: Etwa wenn im „Religion“-Raum Kreuze von Gerhard Richter, Andy Warhol und Kris Martin neben Kreuzigungsszenen von George Condo, Kendell Geers und Ashley Bickerton gezeigt werden. Solche motivischen Vereinfachungen enttäuschen bei so komplexen Themen.


Horrende Qualitätsunterschiede. Die sexistische Beschränkung auf nackte Brüste im Madonna-Raum stimmt regelrecht missmutig – und traurig die horrenden Qualitätsunterschiede zwischen deutschen Expressionisten und Terry Rodgers' Bildern: Die plakative Oberflächlichkeit seiner hyperrealistisch gemalten Party-Szenen reicht lange nicht an die oft nur angedeutete Stimmung von Dekadenz bei Ernst Ludwig Kirchner und Otto Dix heran.

Es ist anzunehmen, dass sich die Kuratoren über solche Kritikpunkte im Klaren sind, das vielleicht sogar provozieren wollen. So folgt die Ausstellung nicht nur dem populistischen Anspruch, ein Panorama der großen Menschheitsthemen zu zeigen. Gerade in die Strategie, einzelne Motive anzuhäufen und krasse Niveaugefälle zu erzeugen, mischt sich die Frage nach den Unterschieden zwischen institutionellen und privaten Sammlungen. Letztere können nach Lust und Laune sammeln, ohne Ordnungs- und Qualitätskriterien – das ist mit dem Verweis auf die Leidenschaft ausgeklammert. Museen und Kunsthallen dagegen müssen sich der Herausforderung stellen. Dazu gehört auch der Versuch, die Grenze zwischen Kitsch und Kunst zu definieren – genau dafür liefert „Lebenslust & Totentanz“ reichhaltiges Material.

„Lebenslust & Totentanz“ in der Kunsthalle Krems läuft von 18.Juli bis 7. November 2010; täglich 10–18 Uhr.

Mehr als 2000 Werke besitzt der Arzt und Ex-Aufsichtsratsvorsitzende der Wella AG Thomas Olbricht: eine der größten Privatsammlungen Europas.250 Arbeitensind in Krems ausgestellt.


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