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Ausstellung Linz: Schweben über Linzer Dächern

27.05.2009 | 18:34 | SABINE B. VOGEL (Die Presse)

„Höhenrausch“ führt auf Stegen, Treppen und Brücken auf einen Parcours aufregender Ausblicke und Kunstwerke – vom Kräutergarten zum Riesenrad. Das Atelier Bow-Wow hat zusammen mit Riepl Riepl Architekten diesen verzweigten Weg konstruiert.

Weiter und weiter, immer höher führen die Holzstufen, quer durchs OK Centrum, durch die Decke hindurch, hinüber zum Nachbargebäude. Wir enden im Freien, auf dem obersten Parkdeck des Cityparkhauses. Statt Autos steht hier Kunst, denn auf dem Asphalt über den Dächern von Linz beginnt der „Höhenrausch“. Es ist nach „Schaurausch“ in den Schaufenstern und „Tiefenrausch“ in den Stollen Linz' der letzte Teil der Trilogie des OK Centrums.

Jetzt also in die Höhe. Oben angekommen, verlockt ein Bündel sechs riesiger, tiefschwarzer Luftballons dazu, die kleine Schaukel in der Mitte zu ergreifen und sich in die Luft heben zu lassen. Damit stimmt uns Ricardo Jacinto ein auf den folgenden Parcours: Irritationen unserer Balance, ein neuer Blick auf die Stadt, auf die Kunst. „Höhenrausch“ will nicht nur mit den Augen erfasst, sondern mit dem Körper erlebt werden.

Der 1,5 Kilometer lange Holzsteg mit Stiegen und Brücken, Plateaus, Aussichtspunkten und Lounges führt vom Parkhaus weiter auf das Dach des Passage City Centers, von dort hinunter ins „Kunstlabor“ des OK Centrums, über eine neue Verbindung in den Ursulinenhof mit den neuen Räumen für die Kunstsammlung OÖ, entlang Mali Wus „Paradiesgarten“ aus Kräutern zum Dachboden des ehemaligen Klosters und durch das Haus hinunter auf die Landstraße.

Das Atelier Bow-Wow hat zusammen mit Riepl Riepl Architekten diesen verzweigten Weg konstruiert, der zu ereignisreichen Videos und Skulpturen von 18 Künstlern führt: Shaun Gladwell filmte einen Skateboardfahrer, der ein Parkhaus hinunterrast. Leonid Tishkovs ganz private Mondsichel dürfen sich Besucher nach Anmeldung ausleihen. Roman Signer schießt eine Raketenpost vom Parkhaus zum Büroturm. Fiona Tan hat ihren Sohn gefilmt, der glücklich an Luftballons schwebt. Andreas Strauss stellte einen Bauwagen auf den Kopf, Wetterstation und Bar in einem. Serge Spitzer besetzte einen Dachboden mit einer raumfüllenden Installation aus tausenden kleinen Stahlkugeln.

 

Musikhören über den Regenschirm

Völlig verblüfft geht man mit einem Regenschirm unter den Wasserstrahlen von Paul DeMarinis Installation hindurch – plötzlich erzeugt der Wasserstrahl Melodien, erklingt „Singing in the Rain“. Der absolute Höhepunkt aber ist Maider López' Beitrag: Weithin sichtbar, völlig unerwartet, steht hier oben auf dem Dach ein tadellos funktionierendes Riesenrad. Ehemals für die Weltausstellung 1893 in Chicago als Antwort auf den Eiffelturm konstruiert, dienen Riesenräder bis heute in vielen Städten als Wahrzeichen. Noch hält das Gerät in Singapur den Rekord mit 165 Meter Höhe. Das Linzer Stück bringt es gerade einmal auf 26 Meter.

Baujahr 1961, war es lange Zeit (in Betrieb von Familie Rieger) das Wahrzeichen des Urfahranermarktes – und wird jetzt plötzlich zum Inbild von „Linz09“: Als viel zu sehr auf kurzzeitige Veranstaltungen angelegtes Programm fehlt es der Kulturhauptstadt an einprägsamen Bildern. Nachdem in skandalös allerletzter Sekunde die einzige große eigenproduzierte Ausstellung („Der heilige Berg“) ersatzlos abgesagt wurde, wird jetzt „Höhenrausch“ zum umso bedeutenderen Ereignis. Denn er vereint genau das, was vom Programm einer Kulturhauptstadt erwartet wird: ein starkes Bild als Wahrzeichen, ein neuer Blick auf die Stadt und Ereignisse, die als Erlebnisse verinnerlicht werden.

All dies bündelt sich in diesem Riesenrad. Denn die Faszination ruht nicht nur in der unerwarteten Platzierung auf einem Dach. Es ist vor allem die Verdoppelung unseres Wunsches nach Weitblick und Schwerelosigkeit – ein Moment, den die baskische Künstlerin López dann in ihrem Video auf den Punkt bringt: Sie ließ das Gerüst des Riesenrads rot streichen, die schiffartigen Gondeln grün. Im Video verschwindet alles Rote. Übrig bleiben magisch in der Luft schaukelnde Kabinen. Aber auch ohne Zauberei wird der Parcours von „Höhenrausch“ zu einem unvergesslichen Erlebnis.

29. Mai–31.Oktober, tägl. außer Di. 11–22h


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