Bank Austria Kunstforum und Sammlung Verbund:
Retrospektive von Birgit Jürgenssen
Feminismus in Bildern
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Birgit Jürgenssens Hausfrauen beim "Bodenschrubben" (1975) der anderen
Art. Foto: Sammlung Verbund/VBK
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Von Brigitte
Borchhardt-Birbaumer
Die
subversiven Objektanordnungen der Zeichnerin und Fotografin Birgit
Jürgenssen (1949 bis 2003) sind von plastischem Denken geprägt, meint
ihr Kollege Peter Weibel. Die Aussage verwundert, erweist sich aber
letztlich als gültig. Als eine der ersten Fotografinnen setzte
Jürgenssen das Thema Körper in räumlichem Denken um. Eine unglaublich
zarte Anordnung bildet die "Elevin": Das Foto, das ein Ballettröckchen
und ein Paar goldener Schuhe in einer Vertikale zeigt, findet sich nun
an der Eingangsstirnwand des Kunstforums.
Das Werk aus dem Jahr 1993 erlaubt etliche Interpretationen – für
jeden Besucher eine. Frau "Bicasso Jürgenssen", wie sie sich in ihrer
Kindersignatur nannte, ist da der abwesende Körper in der von ihr
bevorzugten Vieldeutigkeit – halb Surrealistin, auch Konzeptkünstlerin,
immer kombinatorisch und niemals eindeutig fassbar, verschleiernd wie
enthüllend.
Frühe Schwäche wird zur späten Stärke
Die erste Retrospektive im Kunstforum nach Jürgenssens Tod ist die
bisher größte in Wien, wo die Künstlerin meist tätig war, an der
Angewandten studiert hat und daselbst wie an der Akademie am
Schillerplatz lehrte. Als sie in der Albertina ihre perfekten
Zeichnungen 1978 mit Fotografien in Analogie setzen wollte, war diese
Kombination noch undenkbar. Von Anfang an weigerte sich Jürgenssen, wie
ihre erfolgreichen männlichen Kollegen, nur einen Stil zu verfolgen und
nur ein Medium zu verwenden. Aus der damaligen Lesart von Vielfalt als
Schwäche wird nun eine späte Stärke. Nicht zufällig voraus war sie auch
mit ihrer Konsequenz, das strukturalistische Denken und die Ethnografie
als eine Kombination von Wissenschaft und Kunst früh in die
österreichische Kunstszene einzubringen.
Bekannt wurde Jürgenssen im Zuge der feministischen Debatte durch
ihre selbstironische Aufarbeitung der passiven wie der aktiven Rolle der
Frau, die Thematisierung problematischer Partnerschaften und
disziplinierender Codes in der Gesellschaft. Das bekannte Wandobjekt
"Hausfrauen-Küchenschürze" von 1975 zeigt in begleitenden Fotos eine
performative Aktion, die wie alle Körperinszenierungen der Künstlerin
ohne Öffentlichkeit stattfand. Vor dem Badezimmerspiegel entstanden in
jahrelanger Inszenierung zahlreiche Mutations-Fotos, hin zu einer Art
Tierfrau: Das daraus entstandene fotografische Selbst mit Fuchsfellchen
(1974/77) taucht wie ein roter Faden immer wieder in der Schau auf.
Zwingend ist nichts, auch keine Chronologie
Besonders sympathisch ist an Jürgenssen die Tatsache, dass ihre
Hauptwerke nicht großformatig sind, dass es keine direkte Linie gibt
oder diese aus Serien oder ikonografischen Gruppen zu konstruieren wäre.
Jede Arbeit steht im Grunde mit den anderen in Bezug. Diesem disparaten
Muster wird die Hängung gerecht: Es gibt zwar Themenkreise in mehreren
Medien, doch zwingend ist nichts, auch keine Chronologie. Dieses sehr
aktuelle Grundkonzept erlaubt keine Einheitlichkeit, das Arrangement
lässt so viele Assoziationen zu wie Jürgenssens subversiver Grundton.
Nicht von Ungefähr holte sich etwa der bekannte Kulturtheoretiker Klaus
Theweleit Arbeiten zur Bebilderung seiner zeitgeistigen Bücher.
Wie im ersten Raum die zarte Assemblage an der Stirnwand ist im
letzten eine Installation aus der Galerie Winter "10 Tage – 100 Fotos"
(1981) nachgebaut. Ein Bezug zur "Pelztasse" der Surrealistin Meret
Oppenheim eröffnet sich nicht nur durch Jürgenssens Selbst-Befellungen
in den großen, erstmals ausgestellten Zeichnungen und Fotografien,
sondern auch durch die unheimliche Montage vieler Doppelgänger unseres
Selbst. Während der "Schuhsessel" doppelbödig zwanghaftes Sitzen
illustriert, ist das "Nest" ein Widerspruch zwischen Sexualität und
Mütterlichkeit. Die Braut verströmt Wasser aus ihrem Kleid, nicht ganz
"Männerphantasien" entsprechend.
Als "Boa Mystifix" hat Jürgenssen sich an die Stelle Kaiser Ferdinand
III. in ein Emblem collagiert, mit Gold lädt sie ihre beiden Fetische
Schuh und Feigenblatt auf – immer byzantinische Prinzessin oder auch
Altägypterin, hinterlässt sie uns einen römischen Brustpanzer als
Augusta. Darauf ist der Hausfrauenalltag als Rollenmacht zu Zeichen
mutiert.
Die ganz analytische Nachtfrau der Psychoanalyse spielt sie am
Klavier der Persiflage über den "Penisneid" Sigmund Freuds. Sie vermag,
die Prähistorie wie die Antike in komplexen Bögen in die Gegenwart zu
katapultieren – Privates wird politisch, ihr Eigensinn "jeder hat seine
eigene Ansicht" Programm. Mit der Gruppe "Die Damen" ist Jürgenssen
schließlich doch noch 1988 bis 1995 öffentlich aufgetreten.
Ausstellung
Birgit Jürgenssen
Heike Eipeldauer, Gabriele Schor (Kuratorinnen)
Bank
Austria Kunstforum
bis 6. März
Printausgabe vom Donnerstag, 16.
Dezember 2010
Online seit: Mittwoch, 15. Dezember 2010 16:26:00
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