Das kindische Jahr 2000
Von Claudia Aigner
Ein Knirps will in das Jahr 2000 hinaus geboren werden und
hat auch schon den Ausgang gefunden. (Der ist allerdings quadratisch.)
Wurde da jemand bezüglich der Intim-anatomie mangelhaft aufgeklärt? (Der
Erzeuger dieses erzählfreudigen Schmuckstücks zum Beispiel?) Und was,
bitte schön, haben die Kieselsteine in den Broschen zu suchen? Das werden
manche jedenfalls - besonders die diamantenbewussten Menschen - für
ziemlich unangebracht halten. Joaquim Capdevila (bis 14. Oktober in
der Galerie Slavik, Himmelpfortgasse 17) muss also ein Schmuckbanause oder
einfach ein Künstler sein. Ich wäre für Letzteres. Und wenn man erst
einmal sieht, wie gewissenhaft der Katalane die gewöhnlichen Steinchen von
Mittelmeerstränden in Gold oder Silber fasst, kann man ohnedies nicht mehr
daran zweifeln, dass sie für ihn sowieso Edelsteine sind. (Was nicht
heißen soll, dass bei ihm nicht da und dort auch Brillanten vorkommen.)
Capdevila hat Kinderzeichnungen zum Thema "Das neue Millennium" sehr
experimentierfreudig in Schmuck umgesetzt (unter Aufbietung von
Edelmetall, Japanlack und von Edel- und "Stinknormal-Steinen"). Da kann es
schon mal "siamesische Handschuhzwillinge" geben, die sich beim
Händchenhalten halt einen Handschuh teilen und die auch nur gemeinsam
räumlich sehen können, weil jeder bloß ein Auge hat. Wie unglaublich
präzise Capdevila auch arbeitet, die Unbekümmertheit des kindlichen
Strichs und der naive Charme gehen dabei trotzdem nicht verloren. Es
mag kein Zufall sein, dass Capdevila ausgerechnet aus Barcelona stammt, wo
der legendäre Antoni Gaudí (als Baumeister wohl der "bessere
Hundertwasser") seine originellen Häuser "ausgeteilt" hat, die man lieber
"bunte Korallenriffe" nennen möchte. So manche Wesen in Capdevilas
Broschen sehen ja tatsächlich frappierend wie Geschöpfe aus, die etwa
Gaudís verspielter Park Güell fast schon notgedrungen
hervorbringen müsste, wenn man ihn nur lange genug mit sich selbst allein
lassen würde. Und die könnten sich ja dann problemlos von der Fantasie
ernähren, von der es dort genug Vorräte gibt.
Erschienen am: 05.10.2000 |
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