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Kunstberichte

Jede Zeit hat ihren Verführer

Die Ausstellung "Don Juan alias Don Giovanni" in der Kunsthalle Wien entmystifiziert den Erotomanen
Illustration
- „Weiche Spalten hart gebumst“ nennen Lily & Lola ihren Kommentar zum Don Juan-Mythos aus dem Jahr 2005.  Foto: White Trash Contemporary Hamburg und Lilli & Lola

„Weiche Spalten hart gebumst“ nennen Lily & Lola ihren Kommentar zum Don Juan-Mythos aus dem Jahr 2005. Foto: White Trash Contemporary Hamburg und Lilli & Lola

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Nach dem heiligen Sebastian untersucht Kurator Gerald Matt den Mythos Don Juan mit der Literaturwissenschaftlerin Gaby Hartel in Beispielen der Gegenwartskunst. Zwar schallt Mozarts Musik über der offenen Halle und seine Noten sowie das Libretto Lorenzo da Pontes bilden ein geistiges Zentrum in Vitrinentischen.

Doch diese Ausstellung hängt vor allem finanziell nicht mit dem Wiener Mozartjahr zusammen. Auch sonst sind es Metamorphosen, die von der frühen Gestalt des herzlosen Verführers nichts übrig lassen.

Als Auftakt werden Filme seit 1953 vorgeführt, dabei die "Don Giovanna" Brigitte Bardot bei Roger Vadim oder der ironische "Don Juan De Marco" als Psychodrama mit Marlon Brando und Jonny Depp aus dem Jahr 1995.

In der Literatur finden sich zahlreiche Beispiele von der Romantik bis zum Prinzessinnen-Hörspiel von Elfriede Jelinek "Der Tod und das Mädchen IV (Jackie)", die aus der Präsidentinnengattin eine Statue, E.T.A. Hoffmanns "steinernen Gast", werden lässt. Die sich langsam verändernden Motive behandeln auch Max Frisch, Peter Handke oder Carlos Castaneda.

Der Verführer als Melancholiker

Aus dem Verführer und Verfolger wird ein Melancholiker, der von zurück schlagenden Damen selbst flüchten muss – nicht immer in die Geometrie wie bei Frisch. Es bleiben also nur die zerstückelten Motive von Leidenschaft, Todessehnsucht, amoralischem Zynismus, auf Verführung folgt Flucht, wobei Täter- und Opferrollen die Figur Don Juan zuweilen neu erfinden. Das muss dann nicht so enden wie bei Erwin Wurm, in dessen Video eine Frau mit ihrer Zunge einen Heizkörper als Liebesobjekt getauscht hat, oder bei Lilly & Lola, die sich mit Möbeln paaren. Auch wenn Don Juan natürlich an die verbotenen Leidenschaften appelliert, ist die motivisch eingebaute Pornografie in der Video-Trilogie von Kiki Seror durchaus nicht mit Jugendverbot zu belegen. Ein "Ritter der traurigen Gestalt" ist nicht zensurgefährdet.

Das gilt noch mehr für die komische Tracey Rose oder die anderen Zerstörungen des Don Juan-Mythos. Wenn Geld ins Spiel kommt oder die Vermittlung einer Agentur für Seitensprünge, wenn Filme das zeigen, was sie sonst verbergen, dann stirbt der Traum von dauerhafter Lust.

John F. Kennedy als Don-Juan-Nachfolger

Das 20. Jahrhundert hat offenbar nur einen echten Verführer anzubieten: John F. Kennedy. Seinem schillernden Leben zwischen dem Bürgerlichen und dem Verbotenen wird von Zoran Naskovski und von Vlad Monroe je ein aktueller Kommentar beigefügt. Doch das Opfer ist Kennedy selbst. Der Rest sind schwere Melancholiker wie Ugo Rondinone, aber auch weibliche, wie Sam Taylor-Wood mit ihrem Gesellschaftsdrama "Atlantic". Im Kreis unterwegs, im dauernden Kampf gegen die Zeit, in ständigem, sehnsüchtigen Gedanken an den Tod.

Fast kommen barocke Gedanken des "Memento mori" durch die Technik des Loopings zurück. Nachdem das Rätsel gelöst ist, bleibt die Langeweile?

Mitnichten. Denn zumindest in dieser Schau sind eine Menge intelligenter Anregungen zu finden.

Kuratoren: Gerald Matt, Gabi Hartel

Kunsthalle Wien

(1070, Museumsplatz 1; Bis 16. April

Eine Enträtselung.

Freitag, 24. März 2006


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