Ausstellung
Fluxus im Mumok: Auch eine tote Geige macht Musik
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Nam June Paik in Aktion: In Kürze wird die noch unbeschädigte Geige zerstört. Foto: Manfred Montwé
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Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
1963 herrschte in Deutschland Aufbruchsstimmung in Richtung
Kunsterweiterung. Nam June Paik, geboren 1932 in Seoul, aufgewachsen in
Hongkong und Japan, war als Aktionskünstler auf der ganzen Welt und als
Begründer der Medienkunst mit seinen vielseitigen Bearbeitungen von
Fernsehgeräten eine Schlüsselfigur.
Paik hatte in Deutschland
Musikgeschichte und Komposition studiert und sich der Avantgardemusik
des Schönberg-Schülers John Cage angeschlossen, bevor er mit Georg
Maciunas und Joseph Beuys die Fluxuskunst als Kunstschamane anführte.
"Exposition of Music – Electronic Television", eine von Paiks ersten
Ausstellungen, fand 1963 im dreistöckigen Privathaus seines Galeristen
Rolf Jährling im Wuppertal, der legendären Galerie Parnass, statt.
Das Happening sprach alle Sinne der Besucher an, animierte sogar zum
Mitspielen und war dabei von wilden Improvisationen begleitet. Einer
der prominentesten Besucher war Joseph Beuys, der spontan eines der
bereits auf den Rücken gelegten Klaviere zertrümmerte. Der später
eingeholte Kommentar von Nam June Paik zu diesem destruktiven Akt: "I
liked it".
Zen-Buddhismus meets Avantgardekunst
Hier zeigt sich der östliche Sinn für Teamwork, der den Wiener
Aktionisten oder Beuys selbst fehlte: Beide duldeten nur ungern
Eingriffe von außen in die Partituren ihrer Performances. Doch Paik,
von 1979 bis 1996 Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, war der
Sohn einer Schamanin und übertrug das Wissen über alte Riten des
Zen-Buddhismus bewusst und mit Humor in seine experimentelle
Avantgardekunst.
Die Verteilung der Aktionsräume auf drei Stockwerke einer Villa kann
das Mumok nicht bieten. Dafür besitzt es die wichtigsten Artefakte
dieser frühen Aktion aus der ehemaligen Sammlung Hahn.
Kuratorin Susanne Neuburger versuchte eine teilweise Rekonstruktion
durch an den Wänden angebrachte fünf Meter hohe Fotos, auf denen die
Events abgebildet sind. Präsentationen der Fluxuskunst allein durch die
hinterlassenen Relikte scheitern meist am Verlust des ursprünglichen
Eventcharakters. Neuburger wählte somit den einzig gangbare Weg,
abgesehen von dem Vorführen von Filmen über das Ereignis.
Diesmal ohne den stinkenden Rinderkopf
Raumangaben und Verweise auf die künstlerischen Objekte treten heute
an die Stelle des einstigen Aktionismus, der unter aktiver Teilnahme
des Publikums stattfand. Auch der von der Gesundheitspolizei damals
konfiszierte, im Eingang hängende und bald stinkende Rinderkopf ist
heute natürlich nicht real vorhanden. Doch die von Paik bearbeiteten
Klaviere, Fernseher oder seine an einer Schnur über Stiegen gezogene
und dadurch zerstörte Geige lassen erahnen, welche Lärmmusik damals
erklungen ist.
Paik, der 2006 mittlerweile halbseitig gelähmt in Miami verstarb,
steigt hier als Meister der Ironie mit besonderer Begabung für
Elektronik wie ein Phönix aus der Asche der Fluxuskunst, die ihre
produktive Zerstörungswut als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg
verstanden hat.
Ausstellung
Nam June Paik
Music for all Senses Susanne Neuburger (Kuratorin) Mumok, Ebene 4 Zu sehen bis 17. Mai
Printausgabe vom Freitag, 06. März 2009
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