Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte
Keith Haring: Seine Anfänge zwischen Anerkennung und Klagen, vom Underground zum Superstar

Wilde Bilder und Stadttätowierung

Keith 
Haring, Untitled, 1978 – gemalt als Student der School of Art in 
Pittsburgh. Foto: Keith Haring Foundation

Keith Haring, Untitled, 1978 – gemalt als Student der School of Art in Pittsburgh. Foto: Keith Haring Foundation

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Die Kunsthalle Wien widmet sich Harings frühen experimentellen Jahren 1978 bis 1982.
Aufzählung Vom Subway in die Galerie und zur Biennale.
Aufzählung Graffiti zwischen Anarchie und Kunst.

Seine Kreidezeichnungen in Subway-Stationen von New York haben Keith Haring berühmt gemacht, obwohl die Künstler der Graffiti-Szene ihn inspirierten und er sehr bald aus dem urbanen Untergrund in Galerien und Museen wechselte. Er ist also der Picasso der illegalen und meist anonym agierenden Szene.

Seine Logos sind neben einem strahlenden Baby, kopulierenden Paaren, einem Hund und Mickey Mouse in sexueller Mission auch monströse wie groteske Ungeheuer, deren schwarzer Humor an sein Idol Hieronymus Bosch denken lässt.

Die Kunsthalle widmet Haring, der vor zwanzig Jahren an Aids starb, eine große Ausstellung mit Fokus auf die frühen Jahren, als er von Pennsylvania nach einem kurzen Studium der Gebrauchsgrafik und einer Ausstellung mit abstrakten Zeichnungen in Pittsburgh 1978 an die School of Visual Art in New York wechselte. Durch Experimente im Performance- und Videobereich hatte er die wilden Wandbilder der Graffiti-Szene für sich als Stil weiterentwickelt. Die Sprühdose war nie sein Medium, eher Wandmalerei aus einem zeichnerisch schreibenden Impetus heraus, zuweilen "over-all" gestaltet, ohne strenge Perspektive oder Ordnung von Oben und Unten. Nachdem er sich sichtbar im Video "Painting Myself into a Corner" für den aktionistischen Rausch eines Jackson Pollock und Jean Dubuffets "Art brut" begeisterte, kam die Freundschaft mit Jenny Holzer und die Liebe zur Semiologie eines Umberto Eco. Ein eigener Raum zu Sprachspiel und konkreter Poesie zeigt in der Kunsthalle einen intellektuellen Haring.

Lieber Rap als Kunstmarkt

Jean-Michel Basquiat und der bekannte Sprayer fantastisch-surrealer Wandbilder, Kenny Scharf standen ihm nahe; die Graffitiszene mied den Kunstmarkt, mischte sich mit Rapmusikern, Hip-Hop-Tänzern, später New Wave und Punk. Für Haring war es auch demokratisch, für Konsumenten seiner Kunst einen eigenen "Store" zu erreichten und seine popigen Bildalphabete auf T-Shirts, Plakaten und Taschen zu verkaufen.

270513keith2

Keith Haring etablierte Graffiti als Kunst. Foto: Keith Haring Foundation

Die gefährliche Nachtarbeit in der U-Bahn erfolgte in Gruppen im Teamwork, die meist nur für Insider bekannte Signaturen und Namen hatten. Harings zahmere Kreidevariante zeigt sein Interesse für anonyme Künstler wie Daze, Crash, Chico oder Ramm:ell:zee – 1984 wurde die Subkultur eines Lee Quinone auf der Art Basel gefeiert, aber noch zwei Jahre davor war Keith Harings Werk bereits bei der documeta 7 in Kassel. Sein "Radiant Child", ein Baby in Strahlenkranz, erinnerte wie die Reaktorenkürzel als mächtige Symbolsprache an die Antiatombewegung. Walter Grasskamp widmete der populären Kunstform Graffiti sofort einen Band des prominenten "Kunstforum international".

Europa wurde hellhörig und war gespalten zwischen künstlerischer Anerkennung und Klagen gegen bekannte Graffiti-Vertreter wie Harald Neagli, der in der Schweiz wegen Sachbeschädigung verurteilt wurde. Er hatte neben seinen typischen Strichfiguren an Betonwänden entlang des Rheins Fischmonster mit Totenköpfen platziert, weil Sandoz davor eine Verseuchung des Flusses verursacht hatte. Nach Flucht durch Deutschland war er trotz der Proteste von Joseph Beuys oder Erich Fried an die Schweiz ausgeliefert worden und musste seine Strafe absitzen.

Das anarchistische Agieren kann nur partiell und in kalkulierter Form für Keith Haring in Anspruch genommen werden. Nachdem 1980 seine Logos auf Leuchttafeln am Times-Square in Bewegung kamen und er lieber in Clubs als in Galerien ausstellte, kam nach Tony Shafari als erstem Galeristen ab 1982 sogar der legendäre Leo Castelli auf den Geschmack. 1985 stellte er Skulpturen Keith Harings erstmal aus. Der tourte bereits weniger durch den Untergrund als zur Whitneybiennale und der Biennale von Sao Paulo neben Ausstellungen in London, Paris und Tokyo, wo er einen zweiten Store eröffnete. Ab 1983 war er prominent wie sein Freund Andy Warhol und malte Wandbilder in Rio und Melbourne. Die wunderbaren Friese mit Tusche auf Papier wie "Matrix" von 1983 haben Vorbilder in Skizzenblöcken höchster Qualität.

Kunst an der Mauer

1986 bemalte Haring die Berliner Mauer, an der schon 1981 Klaus Hartung verkündet hatte: "Herrschende, geht zur Mauer und lest die Zeichen." Auch 1987, nach der Diagnose, aidskrank zu sein, änderte er nur die Inhalte ein wenig in Richtung Prävention und Todesahnung, er hielt aber am früh geprägten Stil, seinen Piktogrammen und auch seinem aktivistischen Grundsatz fest. Als bekennender Homosexueller kämpfte er gegen eine für ihn unakzeptable Gesellschaft, er ironisierte früh mit seinen Penis-Myriaden auf Zeichenblättern die Ängste vor der "Abortkunst" und er gab Mickey Mouse, Skeletten und Pinocchio ihr männliches Geschlechtsteil zum aggressiven Ausleben ihrer Triebe zurück.

Die Figurenkürzel für die im Absurden schwebenden Menschen haben auch Brüste und Schwangerschaftsbäuche, jeder beschläft hier jeden unter Pyramiden und neben Drachen und Hunden. Das fröhliche Chaos einer Utopie ähnlich dem "Garten der Lüste" von Bosch ist eine ebenso alptraumhafte Wiederkehr der "Heirat von Himmel und Hölle", wobei die Orientierung an einem der ersten Modernen, William Blake, durch den Titel und im Mix von Buchstaben und Bildzeichen naheliegt.

Statt des Nachtlebens als "Schattenmann" wie Graffitikollege Richard Hambleton malte Haring bei Tag, er verzierte die Körper von Grace Jones wie seinen eigenen, die Tätowierung weist zurück auf frühe rituelle Kunstakte des Menschen, zum anderen ist der Spieltrieb des kindlichen "homo ludens" ein weiterer Impetus. Jedoch war er nie ein "Naiver", sondern blickte in die Geschichte. Graffitis als Tätowierungen der Architekturen einer Stadtwüste haben den Vorteil, ohne Grenzen auszukommen, sie sind international verständlich. Trotzdem holen sie durch rasante Entstehung die rohe und verbotene Wildheit sexueller Triebe und Äußerungen direkter Demokratie in die Kunst zurück.

Auch wenn es erste "Tags" (Erinnerungsgraffiti) schon in Pompeji oder davor in der Höhlenmalerei gab – die Bildsprache eines Keith Haring ist von großer Frische für die Kunsträume der Gegenwart.

Aufzählung Ausstellung

Keith Haring zählt zu den populärsten Künstlern der Welt. Zwanzig Jahre nach seinem Tod bietet die Kunsthalle Wien noch bis zum 19. September (10-19 Uhr) die Möglichkeit, sein selten gezeigtes Frühwerk aus den Jahren 1978 bis 1982 zu entdecken, als er vom Studenten zum Pop-Art-Star aufstieg.

Printausgabe vom Donnerstag, 27. Mai 2010
Online seit: Mittwoch, 26. Mai 2010 18:01:00

Kommentar senden:
Name:

Mail:

Überschrift:

Text (max. 1500 Zeichen):

Postadresse:*


* Kommentare werden nicht automatisch veröffentlicht. Bitte beachten Sie unsere Regeln.
Die Redaktion behält sich vor Kommentare abzulehnen. Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als Leserbrief in der Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die Angabe einer nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese Adresse wird online nicht veröffentlicht.

Wiener Zeitung · 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Mail: online@wienerzeitung.at