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13.06.2007 | ||||||||
Freiheit und Abenteuerlust | ||||||||
Die Weltkunst-Schau will Fragen stellen - und gestattet sich kleine Spielchen mit den Medien | ||||||||
Exzessive
Geheimniskrämerei ist eine Spezialität der Kasseler documenta. Sie ist
ein wirkungsvolles Werbeinstrument - umso mehr, da immer irgendetwas
durchsickert. Auch der Chef der documenta 12, Roger M. Buergel, sowie
seine Co-Kuratorin und Lebensgefährtin Ruth Noack pflegen dieses Ritual
bis zur Eröffnung am kommenden Samstag. |
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Dabei ist es wunderbar, dass im Vorfeld nicht nur ein Fessel-Sex-Video - natürlich ungewollt! - auf die offizielle Internetseite der Weltkunst-Schau geriet, sondern dass man von Anfang an zum Beispiel den Künstler Adrià bekannt gegeben hat: den Kochkünstler nämlich, der derzeit ganz schrecklich hoch gehandelt und heiß verehrt wird.
Buergel ist ein kluger Mann - und hat außerdem etwas von einem Schlitzohr. Sein Medienspielchen funktioniert recht gut. Dazu passt der Sturm im Wasserglas um die temporäre Ausstellungshalle im Aue-Park auf der Wiese vor der Orangerie. Erst hatte man Angst um den Rasen, dann schmollten die Pariser Architekten Lacaton & Vassal, weil man ihren Bau nicht so ernst nimmt wie die darin untergebrachte Kunst. Zu Buergels Strategie des Neckens und Irritierens gehört, dass er keine Antworten geben will, sondern Fragen stellt. Das ist sein Konzept. Kunst und Publikum müssen darauf reagieren. Wenn das Konzept nicht aufgeht, sind sie selber schuld. Eulenspiegel Buergel will also wissen: „Ist die Menschheit imstande, über alle Differenzen hinweg einen gemeinsamen Horizont zu erkennen? Ist die Kunst das Medium dieser Erkenntnis? Was ist zu tun, was haben wir zu lernen, um der Globalisierung seelisch und intellektuell gerecht zu werden? Ist das eine Frage der ästhetischen Bildung? Was eigentlich macht das Leben aus, wenn man all das abzieht, was nicht wesentlich zum Leben gehört? Hilft uns die Kunst auf die Sprünge, um zum Wesentlichen zu gelangen?” Man sieht schon, der documenta-Leiter, 1962 in Berlin geboren und lange in Wien tätig, ist kein Zyniker wie Eulenspiegel: Er will etwas bewegen und nicht nur die Leute tratzen. Dass alle zusammen Spaß haben sollen, dass Kunst keine abschreckende Veranstaltung - schon gar nicht die zeitgenössische - sein soll, gehört durchaus zu dem Anliegen. Auch wenn der Chef gern mal gestelzt daherredet: „Eine politische Ausstellung, wie ich sie verstehe, soll den Besuchern das Gefühl geben, über die Ausstellung Teil der kompositorischen Aktivität des Weltmachens zu sein: also für die Welt, in der wir leben, aktiv Verantwortung zu übernehmen. Zu wissen, dass man Gestaltungsspielraum hat, und ihn auch in Anspruch zu nehmen.” Freiheit und geistige Abenteuerlust wird geboten mit Kunst aus der ganzen Welt. Und durch die documenta in Kassel wird sie erhöht zu d e m exemplarischen Ereignis, das nur alle fünf Jahre stattfindet. 1955 war die documenta noch ein Lernort für Demokratie, Aufklärung, Weltläufigkeit, kurz eine Art Exorzismus der Nazi-Ideologie. Die documenta war ein Nachkriegs-Wunder, das mit der Zeit jedoch nicht an Kraft verlor. Sie zog vom einen halben Jahrzehnt zum nächsten immer mehr Besucher an. Zuletzt rund 650 000 Menschen. Neben dem Aue-Pavillon und der documenta-Halle steht wie von Anfang an das Fridericianum aus dem 18. Jahrhundert zur Verfügung. Der Bau wurde von allen späteren Einbauten befreit. Farbige Wände unterstützen die Orientierung, und eine ordentliche Treppe den Besucherfluss. Nach langem wieder dabei im Raumprogramm die Neue Galerie aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Das Super-Kunst-Fest beginnt mit einem Super-Fest: im Bergpark Wilhelmshöhe (wo es auch Kunst zu entsecken gibt) am 15. Juni - schließlich geht‘s ja um Genüsse, leibliche und geistige. Simone Dattenberger
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