BAWAG Foundation: Jeremy Deller
Ein Kunstkrieg gegen das Kapital?
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Gewerkschaftskampf auf Leben und Tod: Jeremy Deller rekonstruiert blutige Historie. J. Deller
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Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Jeremy Deller nimmt künstlerisch Bezug auf die Anliegen der
klassischen Gewerkschaften: in der BAWAG Foundation rekonstruiert er im
Film "The Battle of Orgreave" (2001) die Geschichte der englischen
Minenarbeiter im Jahr 1984. Es war die Ära der "Eisernen Lady" und
ihres gegnerischen Gewerkschaftsbosses Arthur Scargill – und damit
zweier entgegengesetzter Gesellschaftsmodelle.
Die Eskalation kriegsähnlicher Zustände dieses aufgeheizten
"Klassenkampfes" in England ist Thema der Ausstellung "An injury to one
is an injury to all", die bis 27. August verlängert wurde. Die
Zerschlagung des Gemeinschaftsgefühls unter den Arbeitern und ihrer
starken Gewerkschaften war Wille der Regierung; sie hat England und
auch den Umgang von Regierungen mit Gewerkschaften in ganz Europa bis
heute nachhaltig verändert. Die Probleme wurden auch über die Medien
diskutiert, wobei sich die wesentlichen Blätter "Times", "Sunday Times"
und "News of the World" des Medienzaren Rupert Murdoch auf die Seite
der Regierung stellten.
Provozierter Kampf
Mit der Schließung der wichtigen Zeche Cortonwood in Yorkshire
begann ein Aufstand, der beide Seiten zu einer Art
Kriegsführungsstrategie provozierte. 1979 hatte Energieminister
Nicholas Ridley einen Plan für die Regierung entworfen, der nicht nur
zur Schließung der Zechen am Winterende riet: Wesentliche Punkte waren
auch die Anreicherung von Energiereserven, besondere Ausbildung der
Polizei für Streiksituationen, eine Änderung des Rechtssystems in
punkto Geldstrafen und eine Erhöhung der Löhne anderer Arbeitergruppen.
Dies führte zur Isolierung der einen Gewerkschaft und fehlender
Solidarisierung mit den Bergarbeitern.
Deller zeichnet die veränderte Situation in Interviews auf, die er
mit Betroffenen beider Seiten führte; die "Schlacht von Orgreave"
stellte er in mehreren Szenen nach, rekonstruierte die bitteren
Momente, in denen zwei Streikposten starben und 80 Arbeiter verletzt
wurden. Der Film wird vom Archiv von Gegenständen (Abzeichen, Plakate,
Zeitungen, Dokumente) begleitet und mit dem Musikprojekt "Acid Brass"
(1997) verquickt. Für Besucherinnen und Besucher wandelt sich der
ehemals ästhetische Kunstgenuss in eine historische Lehrstunde – mit
der performativen Dominante im Film liegt der 1966 geborene Deller voll
im Trend der Ausweitung künstlerischer Felder in die Wissenschaft: 2003
wurde ihm der begehrte Turner-Prize verliehen.
Die konzeptuelle Komponente darf dabei allerdings nicht fehlen: Sie
präsentiert sich hier in Form des geschriebenen Flussdiagramms "The
History of the World" (1997) mit seinen Verbindungen von aussterbender
Minenarbeit und den sich in leeren Lagerhäusern ansiedelnden Brass
Bands. Dabei entsteht die traurige Gewissheit: geblieben sind vom
"Klassenkampf" und von den beiden gegen die Thatcher-Regierung
eingestellten Minderheiten in der englischen Gesellschaft nur die
Musiker.
Mittwoch, 29. Juni 2005