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Der disziplinierte Körper im Sport

29.07.2010 | 18:16 | SABINE B.VOGEL (Die Presse)

Ulrike Lienbachers Ausstellung "Elitekörper // Revolte" im Salzburger Kunstverein erzählt von Parallelen zwischen Sport und Kunst und ganz persönlichen Ängsten. Mit feinen Linien zeichnet sie fragile Körper.

Unser Alltag ist durchsetzt von Regeln und Vorschriften, die nicht niedergeschrieben sind, sondern in unseren Köpfen herrschen. Die oberste Verpflichtung gilt dabei dem Erfolg. Wichtigstes Instrument dafür ist die Perfektionierung unseres Körpers. Schlank, schön und sauber soll er sein – ein „Elitekörper“. So betitelt Ulrike Lienbacher auch ihre Ausstellung im Salzburger Kunstverein – und fügt diesem allzu hohen Anspruch sofort eine „Revolte“ hinzu.

Mit feinen, schemenhaften Linien zeichnet die in Salzburg und Wien lebende Künstlerin fragile Körper. Die sparsamen farblichen Akzente betonen einzelne Körperpartien, das Haar, manchmal auch die Fußsohlen. Die Gesichter sind nicht zu erkennen. Die Individualität ist unwichtig, denn es steht ein Ideal zur Debatte, das schon längst nicht mehr in den Künsten gesucht, sondern im Alltag erzwungen wird.

 

Junge Mädchen beim Turnen

Als Sinnbild dafür trugen Lienbachers Figuren in früheren Arbeiten kunstvolle, perfekte Haarfrisuren – statt wilder Kopfmähne ist die Kopfpracht in eine strenge Form gebracht. In ihrer Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst in Wien vor einigen Jahren kreisten ihre Zeichnungen und Videos um Körperpflege beziehungsweise die Zwanghaftigkeit von Sauberkeit.

In Salzburg lenkt sie unseren Blick jetzt auf die Disziplinierung des Körpers im Sport. In den Zeichnungen sehen wir junge Mädchen, die gemeinsam Turnübungen praktizieren. Im Video laufen Zwillinge Runde um Runde um den Sportplatz, mal wunderschön synchron, dann wieder zieht eine der anderen davon.

In all ihren Arbeiten ist der Körper der Austragungsort von Ansprüchen und Ängsten, die individuell erlebt, aber kollektiv wenn nicht hervorgerufen, so doch bestärkt werden. Drastisch treffen diese beiden Ebenen in zwei weiteren Videos aufeinander. Lienbacher spricht hier mit Christian Uhl, dem sportpsychologischen Leiter des Olympiazentrums Dornbirn und Betreuer der österreichischen Skisprung-Nationalmannschaft.

 

„Die Zitrone auspressen“

Psychologe Uhl verrät einige seiner Methoden zur Leistungsoptimierung: „Die Zitrone auspressen“ etwa als Weg, die bestmögliche Leistung zu erzielen, oder der „mentale Führerschein“, der auf eine Stärkung der Basisfähigkeiten und der Vorstellungskraft – etwa von Erfolg – zielt. Die meisten Ressourcen, sagt Uhl nebenbei, hätten „verrückte Typen“.

Auf dem zweiten Monitor sitzt die Künstlerin dem Coach gegenüber, um ihre „Versagensangst“ und ihren „Umgang mit Stress“ zu verbessern. Leistungsdruck und Erfolgszwang prägen sich im Beruf von Sportlern und Künstlern ähnlich aus, da beide auf den einen entscheidenden Moment – der Ausstellung, des Wettkampfs – hinarbeiten. Wir verfolgen ein sehr persönliches Gespräch, in dem Lienbacher erstaunlich offen über sich spricht. Aber mit jeder Beschreibung der Situation, mit jeder Frage des Psychologen und jedem seiner Tipps sind vor allem wir adressiert. Denn von außen ist die Videobox mit einem wandhohen Spiegel verkleidet. Noch bevor wir die Kopfhörer aufsetzen, haben wir uns selbst in den Blick genommen.

Und die Revolte? Die beginnt, das zeigt uns Lienbacher mit ihrer Ausstellung, wenn wir uns den Zwängen und Ängsten stellen.

Bis 20.September, Di–Do: 12–19 Uhr.


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