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Künstler Raqib Shaw: Haushälterin als beste Kritikerin

17.08.2009 | 18:36 | PATRICIA KÄFER (Die Presse)

Die Kunstszene und das "Highlife" verachtet er: Der exzentrische indisch-britische Künstler Raqib Shaw gilt international als neuer Star, lebt aber völlig zurückgezogen in London. Eine stille Person ist er dabei nicht.

Ein Funken Sisi steckt in Raqib Shaw:

„Ginge es nach mir, my dear“, sagt der bildende Künstler mit forciert britischem Akzent, „wäre das Fotografieren von über 35-Jährigen verboten!“ Kaiserin Elisabeth hatte das für sich schon mit 30 durchgesetzt. „Absolut richtig!“, ruft Shaw und lacht laut. „Die Presse“ traf den 1974 in Kalkutta geborenen Sohn einer muslimischen Händlerfamilie, der in Kashmir aufwuchs und dort eine christliche Schule mit Hindulehrern besuchte, in seinem Londoner Studio. Jack-Russell-Terrier „Mr. C“ ist der König des Hauses, zum Interview sitzt Shaw im Souterrain zwischen Kerzen und opulenten Nelkengestecken.

 

Die Presse: Sie leben seit 1998 in London, waren seither nicht mehr in Indien. Warum?

Raqib Shaw: Ich hatte Probleme mit meiner Familie, weil ich Kunst studieren wollte. 1998 kam ich nach London, mit ein paar hundert Pfund, ging an die St. Martin's School of Art. Ich wohnte in einer stillgelegten Erdnussfabrik. Ohne Heizung, ohne Dusche wusch ich mich in einem Planschbecken, das Wasser in Industriekesseln erhitzt. Die vier Jahre waren meine glücklichsten – weil ich mich endlich meiner Kunst widmen konnte.

Und nun leben Sie nur in Ihrem Studio hier?

Shaw: Ich gehe mit Freunden von Museen, mit Kuratoren aus, in mein Lieblingsrestaurant. Die japanische Chefin dort ist meine Ersatzmutter, sie trägt immer Kimono.

Und sonst gehen Sie nicht vor die Tür?

Shaw: Nein. Die Tragödie ist, dass die Kunst nichts anderes zulässt. Ich kann keine Bindungen eingehen, habe keine Freunde. Ja, mit Kollegen rede ich über die Arbeit. Zum Plaudern habe ich keine Zeit. Ich habe kein Handy, checke meine Mails einmal pro Woche. Das ist angenehmer – für mich. Ich muss aber wieder beginnen, ins Natural History Museum zu gehen. Ein Zurück zu den Anfängen, das ich für „Paradise Lost“, die nächste Bilderserie, begehe. Um meine Bestände an Tieren, Biestern zu erweitern.

Was ist von „Paradise Lost“ zu erwarten?

Shaw: Es wird ein visuelles Gedicht. Das zu realisieren ist Luxus für mich. Die Bilder finanzieren schließlich das Studio – schwierig, wenn man pro Jahr mit einem Bild beschäftigt ist. Ich habe keinen Besitz, kein Auto. Mein Steuerberater versteht mich nicht: „Raqib, du hättest dir schon ein Schloss kaufen können mit dem Geld, das du für Blumen ausgibst.“ (lacht). Zurück zu „Paradise Lost“: In der Serie geht es um die Entwicklung von der jugendlichen Unerfahrenheit hin zum Reflektieren, während man älter wird – und feststellt: Wir alle sterben. Das ist das Einzige, was hundertprozentig sicher ist. Und verglichen mit der Menschheitsgeschichte ist ein Leben sehr kurz. Ich kann jetzt sagen, ich habe eine Balance gefunden. Ich konzentriere mich darauf, bessere Arbeit zu machen. Dabei weiß ich, dass ich privilegiert bin. Jeder Tag soll so produktiv wie möglich sein. Ich hatte z.B. keinen Sex in den vergangenen 13 Jahren. Ich würde ja gerne hedonistisch leben, das Geld genießen, das sogenannte „Highlife“ – was immer das ist. Für mich ist es Zeitverschwendung. Geld beeindruckt mich nicht. Wie Karl Lagerfeld einmal gesagt hat: Geld hilft dir, Freiheit zu kaufen, aber es bedeutet nicht Freiheit.

Produktiv zu sein ist also Ihr Lebensinhalt?

Shaw: Auch von Dingen umgeben zu sein, die inspirieren. Diese Blumen etwa: Sie werden fotografiert und gezeichnet. Früher habe ich im Himalaya Blumen studiert. Allein, mit dem Skizzenbuch – ich liebte die Romantik. Sie hat etwas Unschuldiges. Zeitgenössische Kunst will immer intellektualisieren, lächerlich. Meine Haushälterin ist meine beste Kritikerin: Sie weiß nichts über Kunst. „Nase zu groß“, sagt sie. Ich beschimpfe sie, aber natürlich hat sie recht. Und dann kommen diese ungeheuer schicken Leute, die das nicht sehen (lacht). Weil wir alle so intelligent wie möglich klingen wollen.

Als Quellen Ihrer Inspiration geben Sie alte asiatische Kunst, v.a. aber westliche Meister an – sind das die Perspektiven Ihres Lebens?

Shaw: Wenn man aus Indien kommt, heißt es automatisch: Deine Kunst ist von indischer Mythologie inspiriert, Indiens Farben. Puzzle gelöst – fertig! Nun aber, da die Welt zusammenwächst, ist das nicht so einfach. Ich wollte Maler werden, um etwas zur Kunstgeschichte beizutragen – wenn überhaupt! Bitte denken Sie nicht, dass ich glaube, dass meine Bilder gut genug wären – das werden wir erst in 150 Jahren wissen. Die Bilder sollen künftige Studentengenerationen inspirieren. Deshalb ist mir auch egal, zu welchem Preis sie verkauft werden. Gott sei Dank verkaufen sie sich! So kann ich arbeiten. Und was wäre mein Leben ohne die Musik der Vergangenheit? Der Kommerz, das Geld sind ekelhaft – aber wichtig, um bessere Kunst zu machen. Nicht um sich ein neues Auto zu kaufen. Dann wird Kunst zum Geschäft.

Auf „Absence of God“ folgt nun „Paradise Lost“ – beides religiöse Titel. Warum?

Shaw: Mich interessiert Gott als Konzept. Das hat weniger mit Religion als mit dem Zustand der Menschen zu tun. Für „Absence of God“ dachte ich an Gott als ein Konzept für Gerechtigkeit, für gut und böse. Oder ein System, das Ordnung bringt in die verwirrten Herden der Zivilisation.

Welchen Wert haben Ihre Bilder für Sie? Sind Sie Ihre Produkte, vielleicht sogar Ihre Kinder?

Shaw: Komisch, dass Sie das sagen. Immer, wenn ein Bild das Studio verlässt, spiele ich ihm ein Volkslied aus Kaschmir vor, damit bin ich aufgewachsen. Und wünsche ihm ein günstiges Schicksal, wie indische Eltern das ihrer Tochter zur Hochzeit wünschen. Für die Bilder bedeutet das, dass sie in Institutionen gelangen, wo alle sie anschauen können. Meine Bilder sollen nicht Aufputz für ein Esszimmer sein, ich hasse das!

Gibt es politische Aspekte in Ihrer Kunst?

Shaw: Ja! „Absence of God VI“ – und das war vor der Rezession – sollte eigentlich „Der allmähliche Niedergang des Königreichs der Gier“ heißen. Danach sagten einige: „Na, so allmählich war das aber nicht!“ (lacht). Aber natürlich, ich komme aus Kaschmir und habe gesehen, was Politik anrichten kann. Wir sind um nichts besser als Tiere. Die sind dabei nicht einmal gierig, Menschen schon.

Wie stehen Sie zum Kaschmir-Konflikt?

Shaw: Es geht um Geld; die USA haben Interessen. In „Absence of God“ habe ich die USA in ein Meer aus Blut gemalt. Also: Die Bilder sind politisch, aber ich rede nicht darüber.

Wie stehen Sie zu Indien?

Shaw: Indien macht jetzt durch, was auch Japan durchgemacht hat – Boomtime! Es hat diese unglaublich alte, heilige Seele. Dazu kommt die neue Generation, Bollywood usw. Ich liebe Filme und wollte mir Slumdog Millionär anschauen. Aber ich konnte nicht mehr als fünf Minuten der DVD ansehen – das ist nicht authentisch! Ich hasse synchronisierte Filme – Almodóvar auf Englisch? Nie im Leben! Und in Dharavi, Bombays Slum, unterhält sich niemand auf Englisch! Gleichzeitig hat Danny Boyle (Regisseur, Anm.) einen sehr guten Job gemacht, diese Slums der ganzen Welt zu öffnen. Aber ist es gut für die Menschen? Was der Westen nämlich nicht bedenkt, ist, wie viele Menschen in Indien irrige Träume haben, weil Slumdog sehr unrealistisch ist. Und wissen Sie, warum es sich so gut verkauft hat? Wegen der Rezession! Der Feel-good-Faktor! Der ganze Film ist aufs westliche Publikum ausgerichtet.

Wie ist Ihre Meinung zu den Spannungen zwischen Hindus und Moslems in Indien?

Shaw: Ich glaube an Gandhi, er wollte ein vereintes Indien. Das Land wäre unvollständig, würde eine Religion fehlen. Denken wir nur an die Moguln und ihren Beitrag. Indien muss sich seiner Ursprünge erinnern. Es gibt so viele Einflüsse – z.B. Indira Gandhi! In wie vielen Ländern ist die mächtigste Person ein immigriertes, italienisches Mädchen, flankiert von einem Premier, Sikh, und einem muslimischen Präsidenten? Dem Land ging es gut so. Weil das Konzept der Muttergöttin, das Matriarchat, in Indien so stark ist. Der Aspekt hat mich auch besonders an der US-Wahl interessiert: ob die einen schwarzen Präsidenten oder einen weiblichen wählen. Doch noch nicht bereit für die Frau.


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