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Ausstellung im Belvedere: Bin gleich zurück! Gott

22.12.2009 | 19:08 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Werner Reiterer ist unartig. Im Belvedere fordert er mit einem Schild: "Schreien Sie jetzt so laut Sie können!". Die richtige Bombe platzt aber ganz woanders, in der Galerie Krinzinger.

Tut es das Mädchen im grünen Pullover? Oder traut sich das spanische Touristenpärchen, das schon so verschwörerisch miteinander tuschelt? Verstohlene Blicke werden zurzeit im Marmorsaal des Oberen Belvederes gewechselt. Schließlich fordert ein großes, fettes Schild mitten im Museum Unerhörtes: „Schreien Sie jetzt so laut Sie können!“ An einem kulturellen Ort der Andacht! Wo Aufseher zu Ruhe und Behutsamkeit mahnen! Und dann das. Der erste Brüller erschallt, die Spanier, natürlich, es hallt bis hinüber in die Galerieräume, zu Klimts „Kuss“, von wo aus alle sofort in die zentrale Halle zu strömen beginnen.

Um gerade anzukommen, wenn alles wieder vorbei ist. Denn die Belohnung des Brüllers ist effektvoll, aber kurz: Eine bestimmte Dezibelstärke (man muss schon aus vollen Lungen schreien) scheint die historischen Mauern zu beleben, das Licht der Luster beginnt an- und abzuschwellen, begleitet vom Geräusch eines Schweratmenden. Es ist das leicht erschöpfte Hecheln des Künstlers, Werner Reiterer, das hier zu hören ist. Mit seiner interaktiven Installation „Breath“ haucht er einem der schönsten Barocksäle der Stadt menschliches Leben ein. Den befreienden Urschrei im Museum, diesen ewigen Kindertraum, wird so schnell jedenfalls keiner vergessen, der es wagte. Wenn das eine Stunde lang keiner tut, springen übrigens die Aufseher ein, um den Bann zu brechen – oder die temperamentvolle Direktorin herself kommt auf einen Sprung vorbei...

 

Countdown des Lebens

Die richtige Bombe platzt aber ganz woanders, in der Galerie Krinzinger. Dort findet sich das schwarze Geschoß in einer ungewohnten Rolle, nämlich in der des Opfers wieder. Wie ein Boxsack hängt die Fliegerbombe von der Decke, schlägt man darauf, hört man eine fast kleinlaute Explosion – und gleich darauf die Engel singen, innerlich zumindest, nimmt man auf der „Halo Lounge“ Platz, einem aufblasbaren Heiligenscheinsitzobjekt. Nicht umsonst hat die erste Galerie-Ausstellung Reiterers in Wien seit fünf arbeitsreichen Jahren viel mit Leben und Tod zu tun, sie heißt „Death in a Solution of Life“.

Eine Digitaluhr etwa zählt erbarmungslos den Countdown der verbleibenden Lebenszeit des Künstlers herunter, die er sich bei einer Versicherung hat ausrechnen lassen. 38Jahre, ein paar zerquetschte Monate, Tage, Stunden, 58, 57, 56 Sekunden... manchmal vergeht einem selbst bei Reiterer das Lachen. Die Gratwanderung zwischen Banalem und Hintergründigem, der schwarze Humor und eine perfide persönliche Verfänglichkeit sind es, die Reiterers so simpel wirkende Installationen und seine grandiosen Ideenblätter dazu auszeichnen. Da passen sogar Hitler und Gott in ein Zimmer, wobei beide allein durch ihre Attribute vertreten sind – und einer davon im Winkerl stehen muss.

Schleicht man um den schmalen weißen Sockel nahe der Wand, steht man plötzlich einem allzu bekannten, hier völlig lächerlich wirkenden Schnurrbärtchen gegenüber. In tatsächlicher Augenhöhe, so nah, wie man ihm nie hätte sein wollen...während am Altarschreibtisch gegenüber nervig ein Handy läutet. Der scheinbar schnell abgelegte Heiligenschein daneben hindert einen dann aber doch am befreienden Zugriff – schließlich heißt es auf einem Zettel ja auch: „Will be back in 5min. God“

Beim geduldigen Warten darauf kann einen das eigene Zeitgefühl aber teuflisch trügen: Kaum merklich tickt die große Bahnhofsuhr in der Galerie außer Takt, wird ein wenig langsamer, ein wenig schneller, irritiert das zeitliche Gleichgewicht jedenfalls enorm. Fünf Minuten sind eben relativ, wäre ja auch zu schön gewesen...

Werner Reiterer im Marmorsaal im Oberen Belvedere, bis 28.März, tägl. 10–18 Uhr; in der Galerie Krinzinger, bis 31.1., Di.–Fr. 12–18 Uhr; Sa. 11–16 Uhr; Seilerstätte16, Wien1.


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