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Leopolds Vermächtnis, Schieles Erben

21.09.2011 | 18:16 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

"Provokation und Melancholie" im Leopold Museum rührt ans Herz. Und schenkt ein kunsthistorisches Erlebnis: Die Beziehung von Günter Brus und Rudolf Schwarzkogler zu Schiele.

Fast schaudert es einen – am Tag vor der Eröffnung liegt auf dem Sockel der Pietà-Gruppe, die Egon Schieles und Rudolf Leopolds Interesse an der Gotik aufzeigen soll, eine rote Rose. Niemand weiß, wie sie dahin gekommen ist. Doch wie die welke Rose, die im Gemälde „Die Eremiten“ einen Saal davor den wankenden Körper-Klumpen von Schiele und seinem Ersatzvater Gustav Klimt durch magische Strahlen zu stützen scheint, strahlt auch die echte Rose etwas Magisches aus. Sie erinnert daran, dass diese Ausstellung sowohl das Vermächtnis des verstorbenen Sammlers ist, als auch ein Abschied der Witwe und des ältesten Sohnes, die gemeinsam kuratiert haben. Es ist ein schöner, großer Abschied geworden. Der einem manchmal die Kehle eng werden lässt, etwa im Raum der Pietà. Gegenüber hängt das traurige Liebespaar dieses Museums, Egon und Wally. Geheiratet haben sie nie, nur so viel zur Warnung für zukünftige Ehepaare, die sich wie gerade eben eines hier ihr Ja-Wort geben wollen.

Rudolf Leopold hatte zuhause zwischen die beiden immer einen verbotenen Kuss gehängt, den von Kardinal und Nonne. Die pure Provokation. Elisabeth Leopold hängte jetzt das Landschaftsbild „Versinkende Sonne“ dazwischen. Die pure Melancholie. Auf der Nebenwand wacht noch dazu ein Engel mit Urne von Anselm Feuerbach, das letzte Gemälde, das Rudolf Leopold ersteigert hat.

 

Beängstigende Selbstdarstellung

„Melancholie und Provokation“ steht als Titel auch über der Ausstellung. Es sind zwei Grundzustände, die sich durch Leben und Werk des jung verstorbenen Wilden ziehen, manchmal getrennt voneinander, manchmal verwoben ineinander. Darin jedenfalls verbunden mit seinem Konkurrenten Oskar Kokoschka, ebenfalls mit einigen prominenten Leihgaben vertreten. Doch Schiele wirkt aus heutiger Sicht moderner, existenzieller, extremer. Allein der insektenhafte Männerakt mit den glühend roten Augen und Brustwarzen, dem Bauchnabel und Geschlecht ist immer noch eine beängstigende, radikale Selbstdarstellung.

Zur Provokation gehört auch die Anmaßung: Wie Kokoschka zeigte auch Schiele sich als Märtyrer, als Christus. Im Selbstporträt „mit Pfauenweste“ aus der Sammlung von Ernst Ploil etwa, das im Laufe der Ausstellung auch im Original noch anreisen wird. Der Heiligenschein wird in den Akt-Selbstporträts auf Papier dann zur weißen Ganzkörperaura, auch um die extremen Posen noch zu verstärken. Diesen „Posen“ Schieles ist ein drittes Kapitel gewidmet, wunderbar gehängt neben balinesischen Marionetten, die der Künstler in der Wohnung des Kritikers Arthur Rössler kennengelernt hatte und die viele der seltsamen Bewegungen erklären.
Der jetzt folgende Übergang ist perfekt gesetzt – von der Bewegung bei Schiele bewegt man sich durch Zeit und Raum, zu einem Zeitgenossen: Philipp Gehmacher ist einer von sechs (bis auf Rudolf Schwarzkogler lebenden) Künstlern, die sich mit Schiele auseinandersetzen. Gehmacher, der Choreograf, macht das auf die abstrakteste Weise, in einem Grauraum, einer Zwischenwelt. Auf Videos sieht man Männer, die mit Raum und Körper ringen. Zwei Männer etwa positionieren sich zueinander, testen die Möglichkeiten, die sie haben: Vater/Sohn, Freunde, Geliebte, Stellvertreter? Eine Frage, die auch Schiele oft beschäftigt haben muss.

Die Künstler konnten sich für ihre Räume – ja, jeder hat einen eigenen, wundervollen Luxus – aus der Sammlung bedienen, sich Schiele-Originale wählen. Franz Graf verweigerte das, er wollte Duplikate für seine strenge Kammer der Obsessionen. Die eigenartigste Wahl hat die neuerdings Allah zitierende Elke Krystufek getroffen. Neben ihre Männer-Akte von der Biennale Venedig hängte sie. Miniaturen gleich, Jugendwerke Schieles: Malven an einer Hauswand, ein harmloses Landschaftsidyll des 17-Jährigen. Auch Krystufek hat mit 19 noch lieb und nett gemalt, man glaubt es sofort.

 

Höhepunkt: Wiener Aktionismus

Die zweite Künstlerin, Claudia Bosse, hat ihren Raum in ein etwas angestrengtes Studio-Labor verwandelt, in dem Schiele zerlegt und erforscht wird. Wirkliche kunsthistorische Höhepunkte sind aber die Räume, in denen Günter Brus und Rudolf Schwarzkogler auf Schiele treffen. In vielen Punkten kann der Wiener Aktionismus als Weiterentwicklung des Wiener Frühexpressionismus bezeichnet werden. Es ist ein Geschenk, diese Verwandtschaft hier im Original erforschen zu dürfen: Die Frage der Geschlechter etwa, der Androgynität, des Vereinens von Mann und Frau. Die radikale Selbstdarstellung. Das Existenzielle. Schwarzkoglers gekrümmter Körper mit Kabel-Nabelschnur trifft auf Schieles liegendes Neugeborenes. Brus' nervöse Zeichnungen auf die feinnervigen Schieles, Brus' Selbstverstümmelungen auf die ausgezehrten, geschundenen Selbst-Akte Schieles. Da kann man nur in die Knie gehen, innerlich, und danke sagen.
Leopold Museum, Museumsquartier, 23. September bis 30. Jänner, tägl. außer Die. 10–18, Do bis 21 h.


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